Krippenausstellung in Telgte

Immer wieder neu

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Nach Betlehem eilten Hirten und Könige. Zur traditionellen Krippenausstellung in Telgte wird sich möglicherweise niemand auf den Weg machen können. Trotzdem ein Blick auf das „Geheimnis der heiligen Nacht“.


Das Glück der Heiligen Nacht spiegelt sich in den
Gesichtern der Hirten. Staunend, andächtig, lächelnd
schauen sie in den Stall.

Kann die Heilige Familie noch einsamer sein als in diesem Jahr? Kein Mensch gesellt sich zum Kind im Stall, zu den Hirten und Königen. Ausgerechnet im 80. Jahr der Krippenausstellung in Telgte bei Münster bleiben die Werke von kreativen Hobbybastlern und professionellen Künstlern von der Öffentlichkeit weitestgehend unbeachtet. Notgedrungen, denn das RELIGIO, das Museum für religiöse Kultur, darf – wenn überhaupt – erst unmittelbar vor Weihnachten, am 20. Dezember, öffnen. „Wir hoffen, dass wenigstens im Januar die Chance auf einen Besuch besteht“, sagt Anja Schöne.
 


Krippe mit Spiegelung. Wer wie die heilige Familie in
die Kugel schaut, entdeckt sich mitten im Geschehen.

„Das Geheimnis der Heiligen Nacht“ hatte die Museumsleiterin schon im Sommer als Thema der Ausstellung vorgegeben und in den vergangenen Wochen rund 140 Krippendarstellungen in den Räumen der beiden gegenüberliegenden Gebäude unmittelbar neben der Telgter Wallfahrtskapelle aufgebaut. „Das Interesse begrenzt sich schon lange nicht mehr auf die Region, aus ganz Deutschland kommt inzwischen die Beteiligung.“

Das Thema, tausendfach erzählt – und trotzdem immer wieder neu interpretiert. Das macht den eigentlichen Reiz der Telgter Krippenausstellung von Jahr zu Jahr mehr aus. Natürlich kommt sie aus aktuellem Anlass um Corona nicht herum, auch wenn das Thema Gott sei Dank nicht dominiert. Augenzwinkernd greift es der polnische Holzbildhauer Marian Ulc auf, er hat seinen Figuren einen Mundschutz verpasst, die Könige bringen als Geschenk Klopapier statt Gold.  Und bei Franz-Josef Hartmeyer liegt das Kind im gedrechselten Covid-19-Modell.
 


Licht verwandelt das Chaos. Die angestrahlten
Dioden werden zum Kind in der Krippe.

Um die Ecke denken – dazu fordern andere Darstellungen auf. Mal muss der Betrachter durch ein Schlüsselloch schauen, dann die Perspektive wechseln, damit sich die Silhouetten der Figuren verändern oder – genial durchdacht – das angestrahlte heillose Durcheinander von Dioden eines ausgeschlachteten Radios sich in den Schattenwurf eines Kindes in der Krippe verwandelt.
 


Ganz erfasst von der frohen Botschaft ist der Verkündigungsengel.

Ganz aktuell ist die Telgter Ausstellung nicht nur, weil sämtliche Exponate extra für das diesjährige Motto gebaut, gemalt, geschnitzt oder modelliert worden sind. Auch die Beiträge aus dem Wettbewerb arsLiturgica des vergangenen Jahres sind zu sehen: Modelle einer zeitgemäßen Krippendarstellung für eine Kirche im Bistum Essen, die allesamt mit den klassischen Sehgewohnheiten brechen. Ganz anders bei den Hirten von Annette Hiemenz: Auf Zehenspitzen recken sie sich Schulter an Schulter am Fenster des Stalls, und in ihren Gesichtern strahlt die Freude über das, was sie erblicken.

Was immer wieder deutlich wird: Das Geheimnis von Weihnachten ist eng verknüpft mit Hoffnung. Anrührend drückt es ein inzwischen über 90 Jahre alter Pfarrer in seiner Schnitzerei aus: Zwei Jungen klettern in einem Steinbruch und streben nach dem göttlichen Licht. Dazu schreibt er: „Unsere Lebensaufgabe – Arbeit wie in einem Steinbruch. Bis wir ihn hinter uns gelassen haben. Dann werden wir sehen, was wir gesucht und geglaubt haben: Gott ist Liebe!“

Stefan Branahl