Anstoss 13/19

Innensichten

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Ein Grafensohn, der nicht imstande schien, etwas zu lernen, wurde vom Vater für ein Jahr in die Lehre gegeben. Zurückgekehrt berichtete er, dass er nun die Sprache der Hunde verstehe.


Das gefiel dem Vater nicht und der Sohn kam noch zwei weitere Jahre anderswo in die Lehre. Nach dem zweiten Jahr verstand er, was die Vögel sprechen und nach dem dritten, was die Frösche quaken. Voll Zorn verstieß ihn der Vater. Dem Sohn gelang es jedoch durch seine ungewöhnlichen Fähigkeiten, sein Glück zu machen und sogar Papst zu werden.
Das Märchen von den drei Sprachen wurde bei einem Besinnungswochenende in unserer Gemeinde erzählt und gedeutet. Die Hunde stehen für das Wilde und Ungezähmte im Menschen. Dazu gehören die leiblichen Grundbedürfnisse, kraftvoll und stark, Hilfe zum Über-leben und Durchhalten, aber auch mit Potenzial zum Zerstören. Verstehe ich die Sprache des Unterbewussten, um es zu zähmen und zum Freund zu machen? Dem Sohn gelingt es, den Zorn der wilden Hunde zu verstehen. Er löst ihren Bann und hebt einen Schatz. Kann ich den starken Impulsen, dem ungehobenen Schatz in mir, auf die Spur kommen und ihn heben?
Die Vögel stehen für das innere Hören, die Inspiration, das, wovon ich nicht weiß, woher ich es hab, nur, dass es nicht aus mir selbst ist. Die christliche Tradition verbindet den Heiligen Geist mit dem Bild der Taube. Dem Sohn fliegen im Märchen zwei Tauben auf die Schulter. Sie raten ihm, wie er als Papst das Rechte sagen und tun soll. Wozu bin ich gerufen?
Die Frösche, mal über, mal unter Wasser, stehen für Alltägliches, Routiniertes. Dem muss ich nicht ständig nachgehen, das läuft so. Nur manchmal taucht es auf und wird bewusst. Es folgt die Frage, nach dem Spannungsfeld von freier Entscheidung und dem Sich-treiben-lassen.

Die Froschperspektive ist ganz anders als die der Vögel. Bodenverhaftet geht es oft nur um die „nächste Fliege“, für das große Ganze braucht es aber wenigstens ab und an die Draufsicht, den Blick vom Berg, um im richtigen Verhältnis zu sehen, was klein, was groß, was wichtig und was unwichtig ist. „Fremdsprachen“ lernen, um sich selbst zu erkennen – ein gutes Vorhaben für die Fastenzeit.
 
Angela Degenhardt, Sangerhausen