Warum die Klimakrise als Thema keine Priorität hat

Krise? Welche Krise?

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Hochwasser in Heidelberg im Sommer 2024
Nachweis

Foto: imago/epd

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Ist das kein Alarmsignal? Ein Eindruck aus dem überschwemmten Heidelberg Anfang Juni

Die Auswirkungen der Erderhitzung werden auch in Deutschland immer stärker sichtbar, Extremwetter-Katastrophen häufen sich. Trotzdem hat das Thema für viele Menschen keine Priorität. Woran liegt das? Und: Wie könnte es sich ändern? Ein Psychologe gibt Antworten.

Zum Jahreswechsel kamen die Flutbilder aus Norddeutschland, an Pfingsten aus dem Saarland, zuletzt aus Baden-Württemberg und Bayern: Straßen, die im Wasser versinken; Menschen, die mit Schlauchbooten gerettet werden; Schutzwälle, die brechen. Später dann: Schlamm, Zerstörung, Trauer. Klar ist: Der Begriff „Jahrhunderthochwasser“ passt für solche Extremwetter-Katastrophen nicht mehr. Denn sie kommen nicht nur immer heftiger, sondern auch immer häufiger.

Von Jahr zu Jahr spüren Menschen auf der ganzen Welt und eben auch in Deutschland intensiver, wie verheerend die Erderhitzung wirkt. Sie bringt Starkregen und Stürme, Hitzewellen und Dürren. Sie zerstört Häuser, Autos, Ernten, raubt Menschen ihre Heimat, macht Schäden zunehmend unversicherbar. Je heißer die Erde wird, desto größer werden solche Probleme – das ist wissenschaftlich belegt.   

Und doch dringt das Thema Klimaschutz zurzeit schwer durch. Die Fridays-for-Future-Bewegung, die vor Jahren noch Millionen Menschen zu Demonstrationen mobilisiert hat, ist geschrumpft. Die Letzte Generation hat mit ihren Aktionen mehr Ablehnung als Zustimmung für den Klimaschutz erzeugt. Und die Grünen, die sich für eine Energiewende starkmachen, sind bei der Europawahl abgestürzt – von 20,5 Prozent im Jahr 2019 auf jetzt 11,9 Prozent. „Mit dem Thema Klimakrise ist aktuell keine Wahl zu gewinnen“, sagt Felix Peter. „Die meisten Leute haben ganz andere Themen im Kopf, wenn sie ihr Kreuz machen.“

Peter ist Psychologe und engagiert sich bei den Psychologists for Future, die mit ihrer Expertise zu einer Bewältigung der Klimakrise beizutragen versuchen. Wer mit ihm darüber spricht, warum das existenziell wichtige Thema vielen zurzeit so nebensächlich erscheint, spürt schnell: Das Problem ist kompliziert – und es zu lösen, wird nicht leicht.

Zunächst mal haben viele Menschen die Klimakrise schon deshalb nicht ständig im Kopf, weil sie mit so vielen anderen, sich überlagernden Krisen zu kämpfen haben: mit den Nachwirkungen der Corona-Pandemie, mit Wohnungsnot und Inflation, mit Personalmangel in Kitas und Schulen, mit Überforderung durch Migration, mit der Angst vor einer Ausweitung von Russlands Angriffskrieg in Europa.

„Desinformation krallt sich fest“

„Diese Krisen sorgen für eine große Verunsicherung in der Bevölkerung, die von populistischen und rechtsradikalen Kräften ausgenutzt und verstärkt wird“, sagt Peter. „Diese Kräfte verbreiten Desinformation auf vielen Kanälen, die krallt sich in den Köpfen fest und ist da nicht mehr so leicht rauszukriegen.“ Der Erfolg der AfD auf dem sozialen Netzwerk TikTok sei dafür das aktuell deutlichste Beispiel. Peter glaubt, die Auswirkung dieser Desinformation werde massiv unterschätzt. Und er sagt: „Bisher haben die demokratischen Parteien und die klassischen Medien noch keine gute Antwort darauf.“

Viele Menschen, sagt der Psychologe, hätten gar keine Chance, beim Klima zu informierten Entscheidungen zu kommen. Vielleicht, weil sie desinformiert sind. Vielleicht aber auch, weil sie die Dramatik des Problems und die damit verbundenen unangenehmen Gefühle verdrängen. Oder weil ihnen im Stress ihres Alltags die Zeit fehlt, sich intensiv mit dem Thema Klima zu beschäftigen. Dieses Problem wird dadurch verschärft, dass es auch in vielen demokratischen Parteien nur wenige Stimmen gibt, die in der Klimapolitik sachorientiert statt populistisch argumentieren.

Ein Beispiel: Nach der jüngsten Hochwasser-Katastrophe in Bayern behauptete Ministerpräsident Markus Söder (CSU), damit habe niemand rechnen können. Dabei warnen Wissenschaftler seit Jahrzehnten vor genau solchen Katastrophen als Folge der Erderhitzung. Die Bezeichnung „grün“, sagt Peter, werde mittlerweile durch die meisten Parteien stark abgewertet: „Dadurch haben viele Menschen nicht mehr den Eindruck, dass Klimaschutz wirklich dringend notwendig ist.“

Und die Bundesregierung? Ihr Expertenrat für Klimafragen erklärte jüngst, er gehe davon aus, dass Deutschland seine Klimaziele bis 2030 verfehlen werde; bis dahin soll der Ausstoß an Treibhausgasen laut Klimaschutzgesetz um 65 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken. Nach der letzten Bundestagswahl, erinnert Peter, hätten sich SPD, Grüne und FDP als Fortschrittskoalition bezeichnet: „Alle drei Koalitionspartner haben vor und nach der Wahl gesagt, sie wollen Klimaschutz ernst nehmen.“ Nun aber gebe es weniger Fortschritte, als man sich versprochen hat – und die Fortschritte, die es gebe, fänden in den Medien kaum statt.

Letztlich, glaubt der Psychologe, würden Menschen nur dann in ausreichendem Maße langfristig klimafreundlich denken und handeln können, wenn es einen Rahmen dafür gebe: „Die Politik muss zum Beispiel dafür sorgen, dass klimafreundliches Verhalten günstiger und einfacher wird als klimaschädliches Verhalten.“ Seit langem erklären Experten, wie das gehen könnte: durch eine stetig steigende CO2-Abgabe samt sozialem Ausgleich durch ein Klimageld. Je höher die CO2-Abgabe wäre, desto teurer würden beispielsweise Fliegen, Autofahren und Fleischessen. Im Gegenzug würde das Klimageld alle Menschen finanziell entlasten, was für die Akzeptanz der Abgabe wichtig wäre. Ob und wann das im Koalitionsvertrag vereinbarte Klimageld tatsächlich kommt, ist aber weiter unklar.

Viele Dächer bekommen Photovoltaik

Und wie kann nun der zurzeit so zähe Kampf gegen die Erderhitzung neuen Schwung bekommen, um zumindest ihre schlimmsten Auswirkungen zu verhindern? Wie könnten sich mehr Menschen für die Energiewende begeistern lassen, die notwendig ist, damit auch künftige Generationen noch eine lebenswerte Welt haben?

Peter sagt, dazu könnten viele Akteure beitragen. Die Betreiber großer Social-Media-Plattformen und die Politik müssten gemeinsam Desinformation bekämpfen und so die Demokratie schützen. Medien könnten klimafreundliche Entwicklungen stärker sichtbar machen – und etwa häufiger darüber berichten, wie viele Menschen sich eine Photovoltaik-Anlage aufs Dach bauen oder wo sich ein Dorf dazu entschließt, seine Energieversorgung selber in die Hand zu nehmen mit erneuerbaren Energien. Demokratische Politiker könnten aufhören, aufeinander einzuhacken, denn mit ihrer Art des Umgangs prägten sie die gesellschaftliche Debatte.

Und alle Menschen könnten anfangen, einander wieder mehr zuzuhören – um das zuletzt oft so gereizte Klima im Land zu entspannen. Das sei entscheidend, sagt der Psychologe Peter: „Es ist wahrscheinlich gar nicht möglich, die Klimakrise zu lösen, solange wir nicht die gesellschaftliche Klimakrise gelöst haben.“

 

Zur Person

Felix Peter ist Psychologe und engagiert sich bei den Psychologists for Future. Diese Initiative will mit ihrer Expertise beitragen zu einer umfassenden Bewältigung der sozial-ökologischen Krisen und zur Förderung einer nachhaltigen, gesunden, demokratischen, sozial und global gerechten Zukunft.

 

 

 

 

 

Andreas Lesch