Ewige Profess bei den Missionaren Identes

Missionarin an der Uni

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Mit einer Mitschwester hat die Idente-Missionarin Marie-Thérèse Gerstner ihre ewigen Gelübde abgelegt. Sie fand auf Umwegen zu ihrer Gemeinschaft und erklärt, warum auch akademisches Wirken missionarisch sein kann.

Marie-Thérèse Gerstner bei ihrer ewigen Profess in der Pfarrkirche Heilig Kreuz
in Frankfurt (Oder).    Fotos: Privat

 

„Eigentlich hatte ich es nur für einen formalen Schritt gehalten. Aber als es so weit war, war es dann doch sehr aufregend und wichtig, zumal auch meine ganze Familie angereist war.“ Zwölf Jahre nach ihrem Erstgelübde legte Marie-Thérèse Gerstner in der Pfarrkirche Heilig Kreuz in Frankfurt (Oder) ihre ewige Profess ab. Sie gelobte, ihr restliches Leben in Armut, eheloser Keuschheit und Gehorsam gegenüber ihrer Gemeinschaft, den Missionare Identes, und ihrer Kirche auszurichten. Dass sie einmal Teil einer Glaubensgemeinschaft werden würde, hatte sich abgezeichnet. Dass es ausgerechnet die Missionare Identes werden würden, nicht unbedingt.

Wunsch nach Heiligkeit entsteht in der Jugend
Als Marie-Thérèse sieben Jahre alt war, folgte Familie Gerstner dem Ruf eines Bischofs und zog aus dem belgischen Eupen nach Ecuador, half in der Stadt Santo Domingo den Armen. Die Exerzitien in der Niederlassung „Tierra de la Paz“ (dt. Land des Friedens), einem Ort der Stille inmitten eines von Armut und Gewalt geprägten Umfeldes, seien enorme spirituelle Erfahrungen gewesen, sagt sie.
Je erwachsener sie wurde, desto mehr habe sie über sich als Person nachgedacht. „Ich bemerkte bestimmte negative Charaktereigenschaften, die sich zum Beispiel im Umgang mit meinen sieben Geschwistern äußerten, besonders meinem Zwillingsbruder. Mein Vater gab mir ein Buch des heiligen Franz von Sales über die Tugend der Sanftmut. Beim Lesen begriff ich: Ich brauche Hilfe, wenn ich in meinem Leben Gutes tun will.“
Hinzu kam der Unfalltod ihres damaligen Schuldirektors, der für sie fast wie ein Vater gewesen sei. Sie erinnert sich, wie sie vor seinem Grab stand und sagte: „Du kannst mich doch nicht einfach allein lassen. Du musst mir doch sagen, wo es langgeht in meinem Leben.“ Bei der Eucharistiefeier am Gedenktag habe Gottes Liebe sie geradezu überwältigt. Der Gedanke, Gott für seine Liebe etwas zurückgeben zu wollen, „in Heiligkeit zu leben“, nahm in ihr Gestalt an. „Ich ging ja schon täglich in die Messe, las im Neuen Testament, hatte meinen Rosenkranz und hatte all diese religiösen Praktiken. Aber das reichte mir nicht mehr.“

Abkehr von den eigenen Vorurteilen
Eigentlich hatte Marie-Thérèse Gerstner eine klare Idee von einem gottgeweihten Leben: „In einem Kloster weit ab vom Schuss, in strenger Klausur, mit Ordenstracht und festen Gebetsvorschriften – so stellte ich mir das vor.“ Doch es kam anders.
Bevor sie sich ihrem Studium widmen wollte, ging sie für ein halbes Jahr ins südindische Kochi, um dort als Englischlehrerin in einem Waisenhaus zu unterrichten. „Als ich ankam, stellte ich fest: Das Waisenhaus war noch gar nicht gebaut.“ Sie wurde für drei Wochen bei einer lokalen Ordensgemeinschaft untergebacht. „Ich verstand niemanden, niemand verstand mich. Ich dachte mir: Gott, was soll ich hier?“
In dieser für sie schwierigen Zeit lernte sie die Gemeinschaft Missionare Identes kennen, von der sie schon in Ecuador gehört hatte, eine der neuen Formen geweihten Lebens. Dieser beizutreten, sei für sie zunächst jedoch überhaupt nicht in Frage gekommen. „Ich hatte ja wie gesagt meine klaren Vorstellungen, denen die Idente-Missionare mit ihrer Verwurzelung in den Städten und ihrem normalen Kleidungsstil so gar nicht entsprachen.“
Doch Gerstners Bild geriet allmählich ins Wanken. „Ich war berührt von den Exerzitien und auch, wie sie über den Glauben und speziell Christus’ Gegenwart im Hier und Jetzt sprachen.“ Beeindruckt habe sie auch die dortige Superiorin, die eine große Weisheit ausgestrahlt habe.
Sie erzählt von einem Schlüsselereignis: „Als ich eines Tages durch den lärmenden indischen Verkehr fuhr, hatte ich ein tiefes Gespräch mit Christus. Ich versprach ihm: Egal, was diese Frau dir sagt, du wirst es tun, denn du wirst mir durch sie zeigen, was dein Wille ist.“ Als sie der Vorsteherin von ihrer inneren Unruhe erzählte, habe diese entgegnet: „Du wirst deinen Frieden nicht finden, bis du erkennst, dass dies deine Berufung ist.“ Das sei für sie der Umbruch gewesen, von da an habe sie sich geöffnet und zunehmend festgestellt: Die Spiritualität der Missionare Identes war genau das, was sie immer gesucht hatte.
Nach einer fünfjährigen Probezeit legte sie 2010 ihre Erstgelübde in Madrid ab. In der spanischen Hauptstadt begann sie ein Wirtschaftsstudium. Nach einem Auslandsjahr in Paris ging sie nach Rom, studierte dort Philosophie und anschließend Theologie, erlangte einen Lizentiat-Abschluss in biblischer Exegese.

Auch als Akademikerin missionarisch wirken
„Als ich gerade am Päpstlichen Bibelinstitut in Rom meine Abschlussarbeit abgegeben hatte, erhielt ich die Nachricht, dass am neuen Zentralinstitut für Katholische Theologie (IKT) der Berliner Humboldt-Universität jemand für die Biblische Theologie gesucht wird. Die Anforderungen entsprachen genau meinem Profil“, erzählt Marie-Thérèse Gerstner. Dabei ging sie eigentlich von einer Versetzung innerhalb Italiens aus. Nach einiger Überlegung bewarb sie sich dennoch – und wurde genommen. Am Lehrstuhl für Bibelwissenschaften des IKT arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin, schreibt parallel an ihrer Doktorarbeit.
Ob denn ausgerechnet eine Universität der richtige Ort sei, um missionarisch zu wirken? Ja, findet Marie-Thérèse Gerstner. „Die Theologie ist einer der wichtigen Orte, an dem man über Gott spricht. Und was an Unis geforscht und gelehrt wird, strahlt früher oder später in die Gesellschaft.“ Deshalb gehe es den Missionare Identes darum, Kultur und Wissenschaft theologisch und philosophisch im christlichen Sinne mitzuprägen. Zumal: „Viele unserer Studenten helfen später als Religionslehrer Kindern und Jugendlichen, die Bibel zu entdecken. Ich habe die Erfahrung gemacht: Je tiefer wir das Wort Gottes lesen, desto mehr spricht es auch wirklich zu uns.“

Marie-Thérèse Gerstner während ihrer Zeit in Indien.


Ohnehin ist eine Missionarin für die 33-Jährige nicht zwingend jemand, der andere überzeugen müsse. „Die Liebe jeden Tag in sich selbst neu zu entfachen und damit versuchen, andere mitzunehmen, menschliche Beziehungen fördern: Darum geht es mir.“ Dies sei überall erforderlich, selbst im reichen Deutschland. „Selbst hierzulande gibt es viel innerliches Leid, gerade auch unter Jugendlichen. Und das, obwohl es genug Arbeit und so viel Wohlstand gibt“, sagt sie.
Was ihr eigenes theologisches Verständnis betrifft, hat Gerstner eine klare Auffassung. „Theologie bedeutet für mich nicht, zu erzählen, was andere Leute oder die Gesellschaft gern hören wollen. Ich will meinen Studenten vermitteln, die biblischen Texte ernst zu nehmen, wie sie sind – und nicht zu manipulieren, bis das erwünschte Ergebnis passt. Den historischen Kontext zu berücksichtigen, gehört natürlich auch dazu.“
An ihrer Kirche schätzt die Missionarin unter anderem den verbindenden Gedanken. „Ich kann überall auf der Welt in die Messe gehen und weiß: Ich gehöre dazu. Und obwohl ich kein Wort verstehe, weiß ich genau, was gerade passiert“, sagt Marie-Thérèse Gerstner. Auf diese Internationalität der katholischen Kirche ist sie stolz, auch wenn dies bedeuten könne, dass Veränderungen sich nicht so schnell herbeiführen ließen, wie sich viele Katholiken in den westlichen Ländern das manchmal wünschen würden.

Von Stefan Schilde