Christliche Wohngruppen des Vereins „Offenes Herz“

Mit Herz für alle Einsamen

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Essen teilen, gemeinsam singen und beten und sich Menschen in Not zuwenden – das verbindet junge Christen, die in Wohngruppen des Vereins „Offenes Herz“ zusammenleben – jetzt auch in Berlin-Spandau.


Donata von Jagwitz (links) und Stephanie Bartelt im Gemeinschaftsraum der neuen Spandauer Wohngemeinschaft.
Foto: Andrea von Fournier

 

„Möchten Sie Kaffee, Tee oder Ingwer?“ Im offenen Küchenteil wirtschaftet Donata von Jagwitz routiniert und effizient. Keiner der neun jungen Erwachsenen, die diese Küche benutzen, vermag zu sagen, wie viele Tassen welchen Getränks, wie viele Gläser Wasser oder Wein von hier aus schon auf den langen Esstisch im Wohnzimmer kamen. Das christliche internationale Wohnprojekt des Vereins „Offenes Herz“, das es seit 2010 in Berlin-Neukölln gibt, hat seit kurzem einen weiteren Standort in Berlin-Spandau.
Zwei nebeneinanderliegende Altbauwohnungen konnte der katholische Träger mithilfe der Jugendlichen und einer Architektin umplanen, sodass sie den Bedürfnissen der jungen Bewohner angepasst sind. Nach Sponsorensuche und anstrengender Bauzeit ist zum Jahresanfang das meiste fertig geworden.
Wer etwas Luxuriöses erwartet, sieht sich getäuscht. Der Dielenboden schimmert hell, es ist freundlich und zweckmäßig für die Bewohner. In kleinen Zweibettzimmern mit einfacher Ausstattung wird geschlafen, Bäder wurden verändert, die Gemeinschaftsräume sind großzügig bemessen und so gestaltet, dass die neun Jugendlichen – zurzeit zwischen 20 und 28, christliche Studenten und Berufseinsteiger aus Deutschland, Spanien, Chile und Italien – zusammensitzen, Werte teilen, Gebetszeiten abhalten, Freunde oder Kommilitonen einladen können.
Im Fokus ihrer Werteorientierung steht für die jungen Menschen der Nächste, der ein offenes Ohr, Trost oder Begleitung braucht. „Wir missionieren nicht!“, sagt Donata von Jagwitz vehement. Denn hierzulande habe das Wort keinen guten Klang. Anderswo ist das nicht so, weiß die 26-Jährige, die gerade ihre Masterarbeit in Musikpädagogik eingereicht hat und ihrem Studienabschluss entgegensieht. Mit ihren Eltern und Geschwistern, katholisch erzogen, hat sie in mehreren Ländern gelebt und ist später in den Freiwilligendienst von „Offenes Herz“ getreten. Das ist der ursprüngliche Zweck des Vereins, den auch Donatas Mutter Oda von Jagwitz vertritt: Junge christliche Menschen gehen ins Ausland und sammeln Erfahrungen, leben in einem „Offenes Herz“-Haus unter den Einsamen, Verlassenen, seelisch Armen – oft Kindern – der Gegend, schenken ihnen ihre Zeit und Aufmerksamkeit und vermitteln mit ihrem Glauben die tröstende Gegenwart Gottes.

Gebet und Gottesdienst in der Hauskapelle
Dass es auch in deutschen Großstädten viel Einsamkeit gibt, selbst bei jungen Menschen, die auf den ersten Blick den Eindruck vermitteln, mit beiden Beinen im Leben zu stehen, hat nicht nur Donata erfahren. So entstand aus dem Freiwilligendienst heraus die Idee, dass ehemalige Freiwillige, die in Berlin studieren oder arbeiten wollten, eine Zeitlang  im Neuköllner „Offenes Herz“-Haus als Wohngemeinschaft (WG) christlich zusammenleben könnten, bis sie ihren eigenen Weg gehen. Vor sechs Jahren zog Donata dort ein. „Ich bin wegen des Wohnprojekts nach Berlin gekommen, ein Lehramtsstudium hätte ich auch anderswo absolvieren können“, sagt sie. Der Umzug in die neue Wohnung in Spandau schenke ihr nun wieder neue spannende Erfahrungen und Mitbewohner. Jeder von ihnen bringe seine je eigenen Netzwerke ein, sodass viele Freunde hinzukämen, die gern und oft abends in den Räumlichkeiten zum Essen und zu Gesprächen eingeladen würden.
Die fünf jungen Männer und vier Frauen in Spandau richteten eine kleine Hauskapelle ein, in der sie sich regelmäßig zur Laudes, Vesper und anderen Gebetszeiten treffen. Befreundete Priester kommen auf Einladung, sodass mehrmals monatlich eine heilige Messe gefeiert wird. Die Kapelle entstand unter dem Eindruck des Ukraine-Krieges: „Ukrainische Freunde haben die Kunstwerke beigesteuert“, erklärt die Chilenin Stephanie Bartelt (28), Donatas Zimmergenossin. Der rohe Tabernakel wurde von einem Bekannten eines WG-Mitstreiters aus einem Stück Holz geschnitzt, ein anderer Künstler hat abstrakte Bilder des Kreuzwegs gestaltet. Über dem Altar soll bald eine Ikone hängen, an der eine Ukrainerin arbeitet, deren Sohn im Krieg umgekommen ist. „Jedes Stück ist auch mit einer Freundschaftsgeschichte verbunden, genau wie die Bilder in den anderen Räumen“, erklären die beiden jungen Frauen.
Vieles im Zusammenleben der WG-Bewohner ist so, wie in jeder Wohngemeinschaft: Man teilt sich die Miete, Kosten für Lebensmittel und anfallende Aufgaben. „Wer als Erster abends da ist, kocht meist“, sagt Donata und schon müssen sie und Stephanie lachen, „… manche öfter als andere!“.
Zum morgendlichen Gebet kommt, wer Zeit hat. Abends ab 19 Uhr sind meist alle zu Haus. Das bietet die Gelegenheit, im WG-Kreis oder mit anderen Leuten das Essen zu teilen. „Der schönste Tag ist Sonntag“, findet Stephanie. Da gebe es einen späten Brunch und die Aufgaben und Termine der kommenden Zeit würden besprochen.
Die Chilenin war zuvor im Freiwilligendienst, unter anderem in Italien. Mit ihrem technischen Ingenieurabschluss wollte sie in Deutschland den Berufseinstieg wagen und kam so in die WG. Jetzt hat sie eine Stelle bei einem Gasturbinenhersteller gefunden und Gleichgesinnte, die sich mit ihr darüber freuen. Sie wird nicht ewig in der WG bleiben.
Anders als vor Jahren, wo der Verein für seine WG-Plätze auf einem Internetportal warb, gehen die frei gewordenen Plätze in der Hauptstadt jetzt über private Netzwerke weg wie warme Semmeln.

Ein wacher Blick für Bedürfnisse anderer
Dass beim freundlichen Zusammenleben – Jungen und Mädchen in getrennten Wohnungen, Gemeinschaftsräume für alle – die praktische Ausübung des christlichen Glaubens nicht zu kurz kommt, darauf achten alle. Donata von Jagwitz besucht regelmäßig eine Berlinerin im Altenheim. Sie erzählt von einer Frau, die mehrere WG-Mitglieder unabhängig voneinander einsam Bus fahren sahen. Man sprach sie an, lud sie zum Essen ein. „Zu einem runden Geburtstag haben wir ihr einen Tisch bereitet, der ihre Augen mit Tränen der Freude füllte“, erinnert sie sich. Man ist bis heute in Kontakt geblieben. Davon gibt es weitere Beispiele.
Wenn Donata die WG verlässt, wird eine andere junge Frau ihr Bett beziehen und Teil der christlichen Gemeinschaft werden. Zuvor wird die „Neue“ zum Essen eingeladen, vielleicht mehrmals, man wird sich kennenlernen, damit die Jugendlichen entscheiden können, ob man zueinander passe, miteinander leben könne, gleiche Werte teile. Die Konfession sei nicht ausschlaggebend. Man möchte und wird weiterhin eine Mission in Berlin verfolgen.
 

Andrea von Fournier