Brauchtum im Bistum: Sankt Martin
Mit Pferd und Reiter durch den Stadtteil
Foto: Christopher Neundorf/Kirchner-Media
Umhang, Helm und Schwert – sucht Pastoralreferent Johannes Gebbe im Kostümfundus die typische Ausrüstung eines römischen Soldaten heraus, ist Sankt Martin nicht mehr weit. Jedes Jahr am 11. November, sobald es dunkel wird, steigt der Heilige im roten Umhang aufs Pferd und führt den Martinszug durch den Bremer Stadtteil Walle an. Ein Ereignis – in Spitzenzeiten mit bis zu 600 Teilnehmern und Zaungästen. Zwei Kindertagesstätten, eine Grundschule und viele Familien sind dabei.
Diese ökumenische Tradition der benachbarten Kirchengemeinden St. Marien und St. Wilhadi gibt es seit rund 50 Jahren. Sie zähle zu den ältesten in Bremen, sagt Gebbe. Der Pastoralreferent in St. Marien gehört zum Vorbereitungsteam aus Haupt- und Ehrenamtlichen, das sich mehrmals im Jahr trifft. Er selbst probt mit Kindern der dritten Klasse das Martinsspiel und kennt die Geschichte des Heiligen in- und auswendig.
Die Botschaft, die auch heute noch aktuell ist, laute, die Augen offenzuhalten für die Not in der Welt – die Menschen zu sehen, „denen es nicht so gut geht“, erklärt Johannes Gebbe den Kindern. Nächstenliebe und Mitgefühl sind die Schlüsselworte. Er fragt zum Beispiel, ob jemandem von ihnen in der Stadt schon Obdachlose aufgefallen sind und wie sie es mit dem Teilen halten. Der Legende nach ritt Martin, der spätere Bischof, mit seinem Pferd durch die Winterkälte. Auf seinem Weg fand er einen Bettler, der draußen vor dem Stadttor saß, bedeckt nur mit ein paar zerfetzten Lumpen. Er fror so sehr, dass er kaum noch sprechen konnte. Um ihm zu helfen, schnitt Martin seinen wollenen roten Militärmantel, den er über seiner Rüstung trug, in zwei Teile. Einen Mantelteil gab er dem Bettler, damit ihm nicht mehr kalt war.
Sankt Martin ist einer der bekanntesten und beliebtesten Heiligen – aufgrund seines Wirkens und wegen des reichen Brauchtums, das in vielen Kirchengemeinden gepflegt wird. Ist er auch ein moderner Heiliger? Ja, das könne man so sagen. Mit seiner mutigen Tat, erklärt Gebbe, habe Martin Licht in das Dunkel der Welt gebracht und sei ein Vorbild. Licht ins Dunkel bringen die Kinder auch symbolisch mit ihren bunten Laternen, mit denen sie durch die Straßen ziehen und Martinslieder singen.
Geboren wurde der Heilige um 316/17 in der Stadt Sabaria, dem im heutigen Ungarn gelegenen Szombathely. Sein Vater war römischer Soldat und nannte ihn Martinus – nach dem römischen Kriegsgott Mars, was so viel heißt wie „Kriegsmann“. Er wollte, dass auch sein Sohn Soldat wird. Durch einen Freund lernte Martin das Christentum kennen und ließ sich im Alter von 18 Jahren taufen. Damals war er in Amiens im heutigen Frankreich, stationiert, wo er am Stadttor dem Bettler begegnete, mit dem er seinen Mantel teilte.
Für das Martinsspiel wird eine Straße gesperrt
In der darauffolgenden Nacht träumte er von Jesus. Der trug im Traum die Hälfte seines Wollmantels und sagte ihm, dass die Entscheidung, mit dem frierenden Mann zu teilen, richtig gewesen sei. Am nächsten Morgen war Martin klar: Er wollte kein Soldat mehr sein, sondern einfach nur noch anderen helfen. Er verließ die Armee und wurde zum Priester geweiht. Als Einsiedler lebte Martin dann einige Jahre in einer Hütte im Wald.
Die Einsamkeit gefiel ihm. Doch als im Jahr 371 der Bischof von Tours starb, wollten die Menschen den beliebten Mönch Martin zum Bischof haben. Der Legende nach lockten sie ihn mit einer List in die Stadt. Als Martin die vielen Menschen sah, versteckte er sich in einem Stall, aber die Gänse verrieten sein Versteck durch lautes Geschrei. Martin deutete das als Zeichen Gottes und willigte ein, sich zum Bischof weihen zu lassen.
In Bremen wird nicht nur die berühmte Mantelteilung nachgespielt. „Wir greifen auch die Geschichte mit den Gänsen auf“, sagt Johannes Gebbe. St. Marien und St. Wilhadi bestellen wie immer gebackene Martinsgänse. 400 Stück – „mit der klaren Ansage, dass sie jeweils geteilt werden“. Gebacken werden sie in der Bäckerei des Sozialwerks der freien Christengemeinde. Dort arbeiten Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen und Langzeitarbeitslose. Gemeinsam stellt das Team täglich 2000 Brötchen und zahlreiche andere Leckereien her. Für die Martinsgänse gibt es inzwischen eigene kleine Backformen.
Johannes Gebbe hat den Ablaufplan für den 11. November wie immer parat: Nach einem Auftakt mit Musikgruppe beginnt der etwa halbstündige Martinszug, den zwei Reiter – ein Martin-Darsteller samt Begleiter – anführen. Anschließend wird die Straße zwischen den beiden Kirchen gesperrt für das Martinsspiel der Drittklässler. Der Abend endet mit dem Martinslied und dem Teilen der Martinsgänse. Es gibt außerdem Heißwürstchen, Zitronentee für die Kinder und Punsch für die Erwachsenen. Auf dem Kirchplatz von St. Wilhadi brennt ein Martinsfeuer zum Aufwärmen.
Die beiden Reiter kommen seit einigen Jahren mit ihren Schulpferden von einem Reiterhof in Schwanewede und werden dann in Bremen kostümiert. „Vorher hatten wir eine Ponytruppe zu Gast, teilweise mit zehn Ponys. Das war irgendwann zu viel des Guten“, sagt Johannes Gebbe und lacht.
Für den guten Zweck gesammelt wird bei der Martinsfeier nicht. Aber Gebbe verweist zum Beispiel auf die Kita St. Bonifatius, die zur Pfarrei St. Marien gehört. In den vergangenen beiden Jahren verkauften Kinder und Eltern selbst Gebasteltes rund um den Martinstag und spendeten die Einnahmen für die Bremer „Suppenengel“, eine Initiative für Obdachlose.
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