Mittendrin, um Leben zu teilen
Das Ökumenische Forum Hafencity vereint Bewohner, die vielen christlichen Konfessionen angehören. Sie gehen dabei der Frage nach, wie Kirche in Zukunft aussehen kann – und wie flexibel sie sein können, wenn sie aufeinander zugehen.
Die Ziegel sind nicht eng an eng zu einer geschlossenen Wand gemauert. Zwischen ihnen wurden vielmehr Lücken gelassen, die Licht und Luft hineinlassen in die Kapelle, deren Halbrund sie bis zu den hölzernen Eingangstüren formen. Sie bilden einerseits eine Einheit, andererseits zeigen sie Offenheit. Das korrespondiert mit dem Kerngedanken des Ökumenischen Forums Hafencity, in dessen Erdgeschoss sich die Kapelle auftut. Einerseits wird das Verbindende unter den christlichen Konfessionen ausgedrückt, andererseits Offenheit für anderes.
Die Kapelle befindet sich in einer Umgebung, wo man sie nicht vermutet: Hinter einer postmodernen Backsteinfassade an der vierspurigen Shanghaiallee in Hamburgs neuestem und weiter im Entstehen begriffenen Stadtteil Hafencity. Einziger Hinweis: An der Traufkante unter dem Dach glänzt eine Glocke.
Rund 50 Menschen leben dort in 23 Wohnungen, deren Größen von zwei bis fünf Zimmer reichen. Hinzu kommt eine internationale Wohngemeinschaft mit sieben Zimmern. „Angemietet hat sie der Trägerverein des Ökumenischen Forums Hafencity. Er vermietet sie zu den ortsüblichen Preisen weiter, wobei neun von ihnen Sozialwohnungen sind“, berichtet Geschäftsführer Henning Klahn. Derzeit wird eine gut 42 Quadratmeter kleine Zwei-Zimmer-Wohnung für knapp 820 Euro Warmmiete angeboten. Dem Trägerverein gehören Akteure aus 21 christlichen Kirchen an. Von Anfang an dabei: das Erzbistum Hamburg.
Suche nach neuen Formen der Ökumene
Seit 2012 lebt bereits die Katholikin Hannah Hufnagel dort, die mit ihrem elf Monate jungen Sohn Noah vor der Kapelle erscheint. „Mein Mann ist evangelisch-lutherisch“, sagt die 36-Jährige. Das sei auch ein Grund gewesen, hierher zu ziehen. „Die Kapelle, ist weder nur meine, noch nur seine Kirche, sondern unsere Kirche. Wir fühlen uns hier ganz anders zugehörig“, sagt Hufnagel, die momentan ihre Dissertation in Geschichte vollendet.
„Mittendrin, um Leben zu teilen“ – so lautet der Anspruch des Ökumenischen Forums Hafencity. „Unsere Zielgruppe sind Christen, die fragen: Wie sieht Kirche in Zukunft aus?“, erläutert Geschäftsführer Klahn. Das bedeute auch, neue Formen etwa für ökumenische Gottesdienste zu finden. „So hat es die Reihe ‚Zwei aus 21‘ gegeben, bei der zwei Geistliche verschiedener Konfessionen einen gemeinsamen Gottesdienst gestaltet haben.“ Dazu zählten beispielsweise Geistliche der bulgarisch-orthodoxen Kirche und der Mennoniten. Klahn: „Dabei schauen wir auch: Wieviel Flexibilität haben wir.“
Attraktiv war für Hannah Hufnagel auch die Mischung der Generationen im Ökumenischen Forum Hafencity. „Wenn hier nur junge Leute gewohnt hätten, wären wir hier nicht hergezogen“, sagt sie. So sei sich ergänzende Nachbarschaftshilfe möglich. Ältere Mitbewohner holten die Kinder bei der Kita ab, umgekehrt kauften jüngere für die älteren mit ein, berichtet Hufnagel.
„In einzelnen Aspekten gibt es den Gedanken des Teilens“, sagt Klahn. Ein Beispiel ist das Car-Sharing. Geteilt werden auch Gemeinschaftsräume im sechsten Stock, in denen sich die Bewohner monatlich zu gemeinsamen Abenden treffen – bedingt durch die Pandemie finden diese momentan aber nur per Videokonferenz statt. Aus gleichem Grund fällt derzeit auch das gemeinsame Frühstück am Samstag aus. Zweimal pro Jahr gibt es zudem Haustage, wo über die Strukturen im Haus gesprochen oder eine Ausfahrt unternommen wird.
Eine weitere Zielguppe ist die Nachbarschaft“, sagt Klahn. In dem neuen Stadtteil entstehe neues Zusammenleben. „Dem kann sich Kirche nicht entziehen.“ Kirche sei durch die Kapelle präsenter, man komme mit Menschen der Umgebung ins Gespräch, zumal viele von ihnen ihre Kinder in nahe Kitas brächten.
Urban Gardening für den Stadtteil
Auch vor dem Eingang wirkt das Ökumenische Forum in die Hafencity hinein, zeigt Präsenz. Und zwar mit Urban Gardening. So haben die Bewohner vier Flächen um die Baumbepflanzungen am Gehweg der Shanghaiallee gestaltet. Farbenfrohe Blumen sprießen dort nun frühlingshaft. Das Beispiel wurde in der Nachbarschaft aufgegriffen. „Man muss gar nicht immer gleich so groß denken, um etwas für den Stadtteil zu tun“, sagt Hufnagel.
Die Bepflanzungen sind aber auch Zeichen der Auseinandersetzung mit Umweltfragen. „Da entstehen Allianzen über die Konfessionen hinweg“, berichtet Hufnagel. Ganz in diesem Sinne findet sich auf der weitläufigen Dachterrasse, die einen fantastischen Blick auf die Dächer der Hafencity gestattet, auch eine „Bienenkapelle“. Unter dem abgerundeten Kegel, den der Künstler Terence Koh geschaffen hat, siedelt ein Volk von 30 000 Bienen. Wenn keine Pandemie herrschte, könnte man sich sogar unter die Waben an der Decke setzen – durch ein Netz geschützt vor Stichen der fleißigen Insekten.
Text u. Foto: Matthias Schatz