Ungewöhnliche Kunst in Berlin-Marienfelde
Mönch schreibt auf Fassade
Das Künstler-Ehepaar David Mannstein und Maria Vill mit Pfarrer Harry Karcz (rechts) vor den beiden Postern in der Klosteranlage Zum Guten Hirten. Fotos: Marie Wildermann |
Zwei Klosterschülerinnen sind aus dem Einmachkeller auf die Fassade der Klosteranlagen Zum Guten Hirten gekommen. Die riesigen Schwarzweiß-Fotos gehören zu den Paste Ups (auf die Fassade geklebte überdimensional große Poster), die das Künstler-Ehepaar Maria Vill und David Mannstein an insgesamt neun Orten im südlichen Berliner Bezirk Marienfelde verteilt haben. Anlass ist das 800-jährige Jubiläum von Marienfelde.
Der Pfarrer der katholischen Kirche Zum Guten Hirten, Harry Karcz, begrüßt das Paste Up-Projekt. „Die Familie ist aktiv in der Kirchengemeinde, Maria Vill im Pfarrgemeinderat engagiert“, erzählt er. Dass die beiden Künstler die katholischen Orte im Bezirk herausstellen, freut ihn sehr. „Bei diesem Projekt können wir deutlich machen, welch große Rolle die katholische Kirche in Marienfelde in den letzten 100 Jahren gespielt hat“, sagt er.
Späte Würdigung und Anerkennung
Die knapp zwei Dutzend Kiezspaziergänger, die an einem Rundgang zu allen Postern teilnehmen, stehen draußen vor der Kirche, rings herum Klosteranlagen. Bis in die 1970er Jahre, bis zur Aufgabe des Klosters, haben sich die Schwestern vom Orden Zum Guten Hirten um Mädchen und junge Frauen gekümmert. Um 1900 war das Kloster ein Zufluchtsort für Mädchen, die in Berlin in die Prostitution oder in kriminelle Milieus geraten waren. Die Ordensschwestern gaben den jungen Frauen neben Geborgenheit und Stabilität auch eine neue wirtschaftliche Perspektive durch eine Ausbildung zur Hauswirtschafterin. Die Plakate an den Fassaden zeigen zwei Schülerinnen aus diesem Klosteralltag. „Im Einmachkeller“ steht auf der historischen Postkarte, die als Vorlage für das Paste Up diente. Die Portraits wirken wie eine späte Würdigung und Anerkennung der Arbeit der Ordensschwestern.
Auch während des II. Weltkriegs und in der Nachkriegszeit war das Kloster eine Anlaufstelle für Mädchen auf der Suche nach Schutz und einem sicheren Zuhause. „Bis heute kommen immer wieder ältere Frauen, die mir erzählen, dass sie bei den Schwestern Zuflucht fanden, dass sie eine Ausbildung machen konnten und bis heute dankbar dafür sind“, sagt Pfarrer Karcz. Es sei wichtig, auf diese positiven Erfahrungen aufmerksam zu machen, vor allem in einer Zeit, in der die katholische Kirche nur noch mit Missbrauchsskandalen in Verbindung gebracht werde. Heute sind auf dem Gelände des ehemaligen Klosters rund um die Kirche Einrichtungen des Erzbistums und der Caritas – unter anderem die Jugendhilfe, eine Schule für Kinder mit Förderbedarf, die Migrationshilfe und eine Einrichtung für altersgerechtes Wohnen.
Auch am Notaufnahmelager, einem langgestreckten Fünfziger-Jahre-Bau haben die Künstler die Fassade umgestaltet: Dort ist nun eine Flüchtlingsfamilie aus der DDR aus den Fünfzigern zu sehen. Heute wohnen in diesem Übergangswohnheim immer noch – oder wieder – Geflüchtete. Sie kommen aus aller Welt.
Gründung durch Templerorden
Während die Gruppe weiterschlendert zum nächsten Street-Art-Projekt, erzählt Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler, was Historiker vom Ursprung des Stadtteils zusammengetragen haben: „Man vermutet, dass Ritter des geistlichen Templerordens vor etwa 800 Jahren das Dorf Marienfelde gründeten.“ Die Feldsteinkirche aus dieser Zeit ist die älteste Dorfkirche Berlins und wird bis heute, ohne Unterbrechung, als Kirche genutzt.
Pater Matthias schreibt an die Fassade von St. Alfons. |
Auch die Kirche St. Alfons, die zum Pastoralen Raum Lankwitz-Marienfelde gehört, hat ein Paste Up verpasst bekommen. Es zeigt Pater Matthias, der einen Satz an die Kirchenfassade schreibt: „Die Barmherzigkeit erhebt sich über das Gericht.“ „Das ist der zentrale Satz aus der Lehre von Alfonso Maria de Liguori“, erklärt Maria Vill und damit ein zentraler Grundsatz des von ihm gegründeten Redemptoristen-Ordens. Die Patres haben den Standort St. Alfons aufgegeben und sind ins thüringische Heiligenstadt gezogen. Um das Foto für das Paste Up an der Fassade in Berlin zu machen, reisten Maria Vill und David Mannstein zu Pater Matthias ins Kloster St. Klemens nach Thüringen.
Für das Künstler-Paar sind diese Paste Ups mehr als nur Kunstaktionen. Es sind Herzensanliegen. Ganz besonders auch das Paste Up auf der Dr.-Jacobsohn-Promenade. Der idyllische Weg ist nach dem jüdischen Arzt Dr. Moritz Jacobsohn benannt, der für sein großes Engagement für mittellose Patienten bekannt war. 1938 musste er wegen der Nazis aus Deutschland fliehen. Das riesige Bild an der Fassade zeigt einen Mann in weißem Kittel, halb hinter einer Wand verschwunden. Oder hinter einem Riss, der sein Leben zerteilte.
Maria Vill ist gläubige Katholikin. Schon als Kind war sie Ministrantin und engagierte sich später in der katholischen Jugendarbeit. Glaube, Spiritualität, christliche Werte – all das ist ihr sehr wichtig, in diesem Geist erzieht sie ihre drei Kinder. „Der Glaube ist für mich zugleich Basis und Wegweiser in meinem Leben“, sagt die Künstlerin. „Die Kirche hat mir sehr viel gegeben und wenn ich ein kleines bisschen auch der Kirche geben kann, freue ich mich.“
Nach den Reaktionen des Publikums dieses kleinen Kiezspaziergangs zu urteilen, hat sie das an diesem Tag auf jeden Fall erreicht.
Von Marie Wildermann