Duderstäder Gespräche

Nicht die Stunde der Theologen, sondern der Virologen

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Das Thema hieß Corona und die Tagung fand unter Corona-Bedingungen statt: Die 32. Duderstädter Gespräche des Kolpingwerkes widmeten sich dem Pandemie-Geschehen – und verliefen anders als gewohnt.


Die medizinische Bekämpfung des Virus wurde in den
letzten Monaten in den Mittelpunkt gestellt. Häufig
wurden dabei Folgen vergessen. Fachleute nennen
Einsamtkeit, psychische Probleme, mangelnde Bewegung.

Diverse Sondersendungen, hunderte Talkshows, zigtausende Zeitungsseiten, tägliche Statistiken – Corona beschäftigt die Gesellschaft seit fast eineinhalb Jahren wie kein zweites Thema. Nicht nur in den Medien, sondern auch im Alltag, mit Masken und Kontaktbeschränkungen, mit Veranstaltungsabsagen und Homeoffice, mit mangelnden Sportangeboten und verworfenen Reiseplänen.

Nun klingt die Pandemie langsam ab und  just in dieser Situation widmete das Kolpingwerk im Bistum Hildesheim mit seinen Duderstädter Gesprächen dem Thema große Aufmerksamkeit. Der langjährige Diözesanvorsitzende Andreas Bulitta meinte, dass vieles, was in den letzten Monaten dazu gesagt worden ist, an der Oberfläche geblieben sei: „Der Anspruch von Kolping ist es, das Problem tiefer zu beleuchten.“

Und so lud Kolping hochkarätige Fachleute ein und gab ihnen breiten Raum, ihre Sicht auf die Pandemie darzulegen. Kaum ein Aspekt, der nicht angesprochen wurde: die Auswirkungen auf die Wirtschaft und das Vereinsleben, die Herausforderungen der Pflegekräfte, die Beeinträchtigung der öffentlichen Haushalte, die Folgen für Europa.

Verantwortung an den Staat abgegeben

Ein wichtiges Thema: Wie hat sich die Kirche in der Pandemie verhalten. Dazu äußerte sich der Leiter des Katholischen Büros Niedersachen, Prälat Felix Bernard, durchaus selbstkritisch. Zwar habe die praktizierte Nächstenliebe zumeist funktioniert, aber es habe eine spirituelle Einordnung der Krise gefehlt. „Hilft Beten, ist Corona eine Strafe Gottes? Darauf haben die Kirchen zuächst keine Antwort gegeben“, sagte Bernard. Als die Bundeskanzlerin im vergangenen Jahr erklärt hat, Ostern müsse als Familienfest ausfallen, habe es in der Kirche kein Rumoren gegeben. Niemand habe darauf hingewiesen, dass es nicht um ein Familienfest, sondern um das höchste Fest der Kirche gehe. Bernard: „Es war nicht die Stunde der Theologen, sondern der Virologen“.
Sehr schnell hätten sich die Kirchen anfangs hinter die staatlichen Maßnahmen gestellt und ihre Verantwortung für die Menschen an den Staat abgegeben. Erst als eine muslimische Gemeinde gegen ein Gottesdienstverbot vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt hat, meldeten sich auch die Kirchen zu Wort. Für die Zukunft sei entscheidend, wie präsent die Kirche im Leben des einzelnen und in der Gesellschaft sei.

Pandemie wird zum Gerechtigkeitsproblem

Der Absicht des Kolpingwerkes, das Thema besonders tiefschürfend zu behandeln, kam insbesondere Professor Franz-Josef Bormann nach. Der 56-Jährige ist Lehrstuhlinhaber für Moraltheologie in Tübingen und beschäftigte sich mit ethischen Grundfragen im Angesicht der Pandemie. Er holte weit aus, zitierte antike und zeitgenössische Philosophen, um eine grundlegende Bestimmung des Gerechtigkeitsbegriffes vorzunehmen. Die Pandemie habe zu einer „Asymmetrie der Belastungen“ geführt und damit Gerechtigkeitsprobleme aufgeworfen, sagte er.

Ein Punkt: die Abwägung zwischen dem Schutz vor dem Virus und den Folgen der Maßnahmen. Es dürfe nicht nur darum gehen, die Infektionszahlen und die Mortalitätsra, ich mag befangen seinte niedrig zu halten, erklärte er. Vielmehr müssten auch die negativen Begleiterscheinungen eines Lockdowns für die Gesundheit verschiedenster Personengruppen berücksichtigt werden: Sie reichen von der Verletzlichkeit besonders infektionsgefährdeter Personen in bestimmten Einrichtungen wie zum Beispiel Alten- und Behindertenheimen durch die lange soziale Isolation über die psychischen Beeinträchtigungen vieler Kinder und Jugendliche durch monatelanges Homeschooling bis hin zu verschiedenen Patientengruppen, deren notwendige Operationen aufgeschoben worden sind, weil klinische Kapazitäten für Corona-Infizierte reserviert wurden. Zeitweise sei der Blick auf einzelne Parameter verengt worden und man habe Kollateralschäden ausgeblendet. Trotz aller guten Absichten habe dies zu einem „einsamen Sterben unter bisweilen unwürdigen Bedingungen geführt“.

Gerechtigkeitsprobleme sieht Bormann auch beim Thema Verteilung und zwar sowohl bei der Verteilung des Impfstoffes als auch bei der Verteilung der Las­ten durch die Pandemie. Er forderte nach Ende der Pandemie eine wissenschaftliche Analyse der staatlichen Maßnahmen, um deren Stärken und Schwächen auszuwerten und daraus Informationen für das zukünftige Handeln zu gewinnen.
Claudia Schröder, stellvertretende Leiterin des Corona-Krisenstabes im niedersächsischen Gesundheitsministerium machte darauf aufmerksam, dass das Virus in der Welt sei und auch bleiben werde. Um die Abwartenden und Überlegenden von einer Impfung zu überzeugen, plane die Regierung eine Werbekampagne. Im Herbst solle durch die Impfung von 80 bis 85 Prozent der Bevölkerung eine Herdenimmunität erreicht werden.

Joachim Frank, Chefkorrespondent einer Kölner Verlagsgruppe und Vorsitzender der Gesellschaft katholischer Publizisten widersprach dem mehrfach geäußerten Verdacht, die Medien seien während der Pandemie der verlängerte Arm der Regierung gewesen. „Fernsehen und Zeitungen haben im Gegenteil zur Meinungs- und Wissensbildung beigetragen“, meinte Frank. Das Vertrauen in die Medien habe während der Pandemie zugenommen, das gelte insbesondere für den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk sowie die regionalen Tageszeitungen.

Kolping fordert „gerechten Ausgleich“

Die Teilnehmer der Tagung verabschiedeten die „Duderstädter Erklärung“ in der sie die Politik auffordern, die zu Tage getretenen Schwächen des gegenwärtigen Gesundheitssystems abzustellen und die sozialen Ungleichheiten zu vermindern.

„Ein gerechter Ausgleich der Belastung der Generationen ist notwendig. Das gilt sowohl für das staatliche System der Altersvorsorge als auch für die dauerhafte finanzielle Tragfähigkeit der staatlichen Lasten zur Sicherung der Sozialsysteme“ heißt es in der Erklärung.

Auf die hilfreichen Strukturen der Caritas während der Pandemie verwies Thomas Uhlen, Landessekretär der Caritas in Niedersachsen. Er appellierte, sich in Kirche und Caritas besser zu vernetzen und kreativ zu denken. Der Mensch müsse im Mittelpunkt stehen. „Es kommt auf ein starkes Hilfsnetzwerk für die Schwachen an“, sagte Uhlen. Dabei sollte auch auf mehr Internetangebote gesetzt werden.
Erstmals fanden die Duderstädter Gespräche hybrid statt, als Vor-Ort-Tagung im Kolping-Ferienparadies in Duderstadt und mit der Möglichkeit, der Veranstaltung zu Hause am Computer zu folgen – wovon aber nur rund zehn Personen Gebrauch machten. Im Ferienparadies waren es immerhin 36 Teilnehmer, normalerweise nehmen rund 150 Männer und Frauen an den Duderstädter Gesprächen teil. Markus Brinkmann, stellvertretender Diözesanvorsitzender des Kolpingwerkes und Mitorganisator der Veranstaltung sagt: „Wir sind stolz darauf, dass wir unter diesen Bedingungen ein anspruchsvolles Programm zusammenstellen und dem Virus trotzen konnten.“

Matthias Bode und  Johannes Broermann

 


Leben ist Begegnung
 


Matthis Bode
Redaktionsleiter

Als ich das Programm der Duderstädter Gespräche in die Hand bekam, war ich überaus skeptisch: „Corona – die Welt im Ausnahmezustand“, las ich da. Haben wir das Thema nicht alle satt? Wird da nicht alles nur wiedergekaut, was wir längst wissen?

Ich musste mich im Laufe der Tagung eines Besseren belehren lassen. Man kann tatsächlich drei Tage über das Thema sprechen, – und tatsächlich Neues zutage fördern. Dabei zeigte es sich, dass es lohnt, einmal in die Tiefe zu gehen und nicht jeden Aspekt nur anzukratzen. Die Tagung bot darüber hinaus die Möglichkeit, mit ausgewiesenen Fachleuten persönlich ins Gespräch zu kommen. Wo hat man das sonst? Also durchaus ein Erfolg.

Zugleich wurden aber auch die Grenzen eines digitalen Formats deutlich. Nur rund zehn Personen setzten sich vor ihren heimischen Computer, um die Veranstaltung zu verfolgen. „Alles wirkliche Leben ist Begegnung“ zitierte ein Referent den jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber. Und damit traf er den Nagel auf den Kopf.

Das Schulterklopfen unter alten Bekannten, das Mettwurstbrot zum Abendessen, das Bier an der Kellerbar – das lässt sich nicht digital ersetzen. Und so waren die diesjährigen Duderstädter Gespräche auch ein wichtiger Hinweis darauf, wie wichtig der Austausch von Angesicht zu Angesicht ist, wie bedeutend das persönliche Miteinander.

Dies sollten wir trotz mancher guten Erfahrung in der digitalen Welt der letzten Monate nicht vergessen.