St. Heinrich
Oase der Ruhe im Lärm der Großstadt
Ein Gotteshaus zwischen Wohnhäusern: St. Heinrich im Stil der Klassischen Moderne gehört zur prägenden Backsteinarchitektur in Hannovers Südstadt. Eigentlich wollte die Gemeinde mehr – aber die Inflation in den 1920er Jahren machte ihr einen Strich durch die Rechnung.
Der kompakte 30 Meter hohe und 14 Meter breite Turm setzt Akzente, fügt sich dennoch ein in die Straßenfront aus rot verklinkerten mehrstöckigen Wohnhäusern. Ein sachliches Gotteshaus, das die Einheit von Kirche und Alltag betont, ohne auf Tradition und Sakralität zu verzichten. Die Kirche St. Heinrich, die der in Hannover geboren Architekt Eduard Endler geplant hat, wurde 1929 geweiht. Gewünscht hatte sich die Gemeinde ein freistehendes Gotteshaus mit zwei Türmen. Doch die Inflation machte alle zunichte, das Bauvorhaben wurde verschoben. Hannover aber dehnte sich aus: In den 1920er Jahren wurden ganze Stadtteile der Leinestadt neu gebaut, Baulücken geschlossen. Man errichtete Büros, Fabrikanlagen, Wohnhäuser im Stil des Backsteinexpressionismus, meist mit einem Kern aus Stahlbeton, funktional, jedoch mit detailfreudiger Fassadengestaltung – und mittendrin ein modernes Gotteshaus.
Kurze Aufbruchstimmung prägte die Architektur
Der blockhafte Kirchturm von St. Heinrich ist durch drei steile Arkaden gegliedert, der Turm wird von einem Ornamentband gekrönt. Das Kirchenschiff ähnelt einer dreischiffigen Basilika, der großzügige Saalraum ist zurückhaltend und schlicht gestaltet, anders als bei den oftmals überladenen Kirchen des Historismus, die vor dem Ersten Weltkrieg gebaut wurden. Die neuen sakralen Räume der Klassischen Moderne stehen auch für den Aufbruch der jungen Demokratie in der Weimarer Republik. St. Heinrich in Hannover gehört zu den Kirchen, die dieser Stilepoche zugerechnet werden.
„Die Kirche wurde als eine Verbindung von konservativer und moderner sakraler Architektur bezeichnet; einen Bau in den alten Formen der Neuromanik und der Neugotik hielt man nicht für zeitgemäß, aber auch eine hypermoderne Kirchenarchitektur war ausgeschlossen,“ schreibt der Historiker Hans-Georg Aschoff über das Gotteshaus in Hannovers Südstadt, dessen Baustil sich zwischen Expressionismus und Neuer Sachlichkeit einordnen lässt.
Eine Kirche am Puls einer Zeit, die sich auch durch Umbrüche und ihre inneren Widersprüche auszeichnet. Die Gesellschaft geriet in Bewegung, alte Gewissheiten gerieten ins Wanken, auch Kirche und Glaube wurden kritisch befragt. Eine Epoche zwischen Tradition und Emanzipation. Damals gehörten jedoch noch rund 96,5 % Prozent der Menschen einer der beiden Volkskirchen an, das sind fast doppelt so viele wie heute. Einer der Wegbereiter einer neuen Glaubensästhetik bleibt der katholische Religionsphilosoph Romano Guardini. Er schreibt: „Die richtig geformte Leere von Raum (...) ist keine bloße Negation der Bildlichkeit, sondern deren Gegenpol. Sobald der Mensch für sie offen wird, empfindet er in ihr eine geheimnisvolle Anwesenheit.“
In der Zwischenkriegszeit war St. Heinrich als Filialkirche von St. Clemens eine der größten Kirchen in der Region Hannover mit Platz für rund 1200 Personen. Die Kirche wurde im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört und mit Hilfe der Gemeinde bis 1949 wiederaufgebaut. „Von außen sah die Kirche schon immer so aus, im Inneren hat sie sich mehrmals verändert“, weiß Hans-Georg Aschoff. Der Geschichts- professor gehört seit Jahrzehnten zur Gemeinde. Zunächst als Messdiener, später im Kirchenvorstand, hat er die Renovierungsphasen „seiner“ Kirche in Teilen miterlebt. Anfang der 1960er-Jahre wurde das Gotteshaus renoviert und an den Zeitgeschmack angepasst. Nach der Liturgiereform hat man auch den Chorraum 1969 umgestaltet.
Bei der Sanierung an alten Fotos orientiert
Später dann entschloss man sich zu einer Generalüberholung, um auch den Kirchenraum in seiner ursprünglichen Gestalt neu erlebbar zu machen. Ein ambitioniertes Vorhaben und ein finanzieller Kraftakt. Zunächst gab es verschiedene, teils kühne Überlegungen, doch dann einigte man sich auf eine mutige und moderate Lösung. Unter der Leitung von Christoph Gerlach wurde zwischen 1996 und 2003 das Kircheninnere komplett saniert und anhand von alten Fotos dem Zustand von 1929 nachempfunden, die Kreuzwegstationen von Alfred Gottwald stammen von 1938. Zugleich hielten aber auch neue Elemente Einzug, um das Gotteshaus zukunftsfähig für das 21. Jahrhundert zu machen. Unter dem Motto „Räume neu öffnen“ wurde der Altar weiter ins Kirchenschiff gerückt: einladend, offen und nahezu ebenerdig, Chorraum und Seitenschiffe hielt man frei. Die Bankreihen wurden auf die Hälfte reduziert, ein eigenes Farbkonzept verweist auf die Raumstruktur. Neu in Szene gesetzt wurde auch die ausdrucksstarke triumphierende Christusfigur von Heinrich Waldmann aus dem Jahr 1949 im Chorraum. Nun scheint sie über dem Kirchenschiff zu schweben.
Zu einem besonderen Ort der Stille im Großstadtlärm wurde die Anbetungskapelle in einem der Nebenräume im Chorbereich. Für diesen Raum schuf die Künstlerin Dorothee Aschoff vier neue abstrakt gestaltete Kirchenfenster. Wenn die Sonne hineinscheint, leuchten sie in kräftigen Rot- und Blautönen. In ihrer bewusst vieldeutigen Formensprache knüpfen diese Fenster auf besondere Weise an die Erbauungszeit der Kirche an und nehmen den theologischen Impuls von Romano Guardini auf, der Leere – und damit dem Nichtdarstellbaren der Glaubenswirklichkeit – Raum zu geben. Eine Form der Spiritualität, die Generationen verbinden kann.
Die Kirche St. Heinrich in Hannovers Südstadt, Sallstraße 70, ist verlässlich geöffnet. Informationen im Internet unter www.st-heinrich-hannover.de
Karin Dzionara
Stilelemente
Daran erkennen Sie eine Kirche im Stil der Klassischen Moderne:
- Innovative Konstruktion
- Individualität
- Klare Formen
- Funktional gestaltete Räume