Gedenkort an der Potsdamer Propsteikirche
„Opi, wir vermissen dich!“
An der Peter-und-Paul Kirche ist es geschützter als am bisherigen Gedenkort auf dem Alten Markt. Fotos: Thomas Marin |
Die täglich gemeldeten Opferzahlen der Coronapandemie sind schon lange kaum noch zu verarbeiten. Mehr als 70 000 Menschen starben in Deutschland seit Beginn der Seuche, in Potsdam sind es mehr als 220. Hinter den nackten Zahlen verbergen sich aber Menschen, konkrete Einzelschicksale, trauernde Angehörige, manchmal auch Wut und Ratlosigkeit.
Gisbert Fanselow und Manfred Stede, beide Professoren der Potsdamer Universität, initiierten deshalb gemeinsam mit dem Chefarzt der Havelland-Kliniken, Matthias Ingenlath, einen Gedenkort. Am Obelisk auf dem Alten Markt, zwischen Nikolaikirche und Landtag, hatten seither Angehörige Kerzen und Blumen abgelegt, Karten und Gedenktafeln sollten an die Verstorbenen erinnern. Der etwas einsame Standort zog allerdings neben Gedenkenden auch Vandalen an. Die Betreuung des Ortes war schwierig. Matthias Ingenlath brachte das Thema in den Pfarrgemeinderat von St. Peter und Paul ein und fand Mitstreiter. Am Aschermittwoch übertrugen die Initiatoren die Kerzen vom Obelisken zum neuen Ort vor der Propsteikirche. Graphiker Peter Rogge gestaltete ein Gedenkplakat, das einen der beiden Schaukästen ganz ausfüllt.
In der geöffneten Kirche gibt es ein Gedenkbuch
Einem Kästchen kann man ein Gebet entnehmen, eine Tafel mit Kreide lädt zum Malen und Schreiben ein. „Opi, wir vermissen dich“, steht dort. Kinderhände haben Schmetterlinge gemalt, einen Engel und ein Herz. Kerzen und Blumen stehen hier sicher, der Ort am Ende der Potsdamer Fußgängerzone ist leicht zugänglich und gut einzusehen. Eine Großveranstaltung wird aus dem Gedenken nicht. Das war aber auch nicht das Anliegen der Initiatoren.
„Es bleiben immer wieder Leute stehen“, berichtet Claudia Sobotta, die hier schon öfter kleine Gespräche erlebt hat. Die Lehrerin der Potsdamer Marienschule hatte im Pfarrgemeinderat auch von ihren eigenen Erfahrungen berichtet. Anfang Dezember starb ihr Vater, angesteckt hatte er sich ausgerechnet beim Gottesdienst. „Ich will da gar keine Vorwürfe machen, aber ich habe erlebt, dass das gar nicht so einfach zu verarbeiten ist.“ Als Angehörige und Mitglied im PGR sieht sie nun ihre Aufgabe darin, anderen einen Anlaufpunkt anzubieten, einen Ort, zu dem man kommen kann, ohne vereinnahmt zu werden.
Immer wieder bleiben Menschen hier stehen und stellen eine Kerze ab. |
Ökumenisch soll das Angebot bleiben und sich auch an Nichtreligiöse richten. Gerade deshalb ist der Gedenkort außerhalb des Kirchengrundstücks angesiedelt. Jeden Sonntagnachmittag soll es eine kleine Gedenkfeier geben. Claudia Sobotta zögert ein wenig, von Andachten zu sprechen. „Kleine behutsame Momente“ sollen es sein, die den Trauernden vermitteln, dass sie nicht allein gelassen werden mit der Trauer, mit dem Schmerz, nicht die Hand gehalten zu haben, sich nicht einmal von den Verstorbenen verabschiedet zu haben.
Wer sich doch in die geöffnete Kirche traut, kann hier in einem Buch seine Gedanken hinterlassen. Am Aschermittwoch haben die Initiatoren und Vertreter der Stadtpolitik Nachdenkliches in das Buch geschrieben. Liedtexte finden sich und Einträge in russischer, polnischer und arabischer Sprache. Hier ist auch Raum für Vorwürfe an die Verantwortlichen eines großen Ausbruchs mit vielen Toten im Bergmann-Klinikum im vergangenen Jahr. Von kollektiver Katastrophe und dem Bedürfnis kollektiver Aufmerksamkeit für die Hinterbliebenen schreibt einer der Initiatoren, macht dabei aber auf das Sterben von Individuen aufmerksam. Jeder Mensch habe der Welt etwas besonderes gegeben. Andere hinterlassen ein schlichtes Gebet. „Herr, bitte behüte meinen Schatz, ruhe sanft. Mir gib die Kraft, das Alleinsein zu packen“, heißt es dort. Nur ein kleiner Einblick in die Nöte von Menschen, denen das öffentliche Jonglieren mit steigenden und sinkenden Zahlen keinen Trost zu schenken vermag.
Der Potsdamer Gedenkort soll bleiben, eine Befristung ist nicht vorgesehen. Im Gegenteil, ein Banner am Kirchturm ist geplant, mit der Kerze aus dem Schaukastenplakat. Von weitem aus der Fußgängerzone sichtbar, soll es an die Toten der Pandemie erinnern. Für die Umsetzung sammelt die Propsteipfarrei Spenden.
Von Thomas Marin