Städtisches Museum Göttingen

Powerfrau in goldener Rüstung

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In der Ausstellung „Stadt.Macht.Glaube“ präsentiert das Städtische Museum Göttingen die Geschichte rund um die Reformationszeit. Die Kirchenkunstschätze gehören zu den bedeutendsten Sammlungen ihrer Art in Norddeutschland. Eine zentrale Rolle spielt Maria.


Der Dreißigjährige Krieg in Göttingen: Geschosse gehen über der Stadt nieder. Dieses Monumentalgemälde (hier ein Ausschnitt) entstand drei Jahrzehnte nach Ende des Konfessionskrieges. Es wurde vermutlich von Justus Münsch gemalt.

Still und in sich gekehrt oder stolz und kämpferisch, mütterlich oder majestätisch – Maria hat viele Gesichter. Von keiner anderen biblischen Figur und auch unter den Heiligen gibt es so viele Facetten. Seit Jahrhunderten wird das Bild der Maria oder Madonna, je nach Zeitgeist, auf vielfältige Weise dargestellt: Maria mit Heiligenschein, mit einer Lilie als Zeichen der Reinheit, mit Maiglöckchen als Symbol für den Frühling, Maria mit einem weiten Schutzmantel für Menschen in Not, mit Strahlenkranz und Krone.

Im Städtischen Museum Göttingen sind 26 Marienfiguren aus sechs Jahrhunderten zu sehen. Glanzvoller Star unter den Madonnen ist die monumentale „Madonna im Strahlenkranz“ aus dem Zisterzienserinnenkloster Teistungenburg im thüringischen Eichsfeld. Museumsleiterin Andrea Rechenberg weiß, dass diese golden schimmernde überlebensgroße Skulptur sofort die Blicke auf sich zieht. „Diese Marienfigur ist unser beeindruckendstes Objekt.“

Maria als Kämpferin für den Glauben
 


Maria im Wandel der Zeit: Die „Thronende
Maria“ aus Bilshausen entstand um 1150
und wurde später überarbeitet, auch das
Jesuskind wurde erneuert.

Eine Glaubensfürstin als Powerfrau mit kunstvoll verziertem Brustpanzer, modischer Frisur, großen, tropfenförmigen Ohrringen, Krone, Zepter und Reichsapfel als Zeichen ihrer Macht: Sie ist die himmlische Königin.

Selbstbewusst präsentiert sie das Jesuskind, es trägt ein Hemdchen, das ebenfalls eher einem Panzer gleicht, und es hält die Weltkugel in der Hand. Ein „apokalyptisches Weib“, von Sonnenstrahlen umgeben und auf der Mondsichel stehend, dieses Motiv geht auf die biblische Offenbarung des Johannes zurück und findet sich in zahlreichen Darstellungen. „Man sieht es ganz deutlich: Diese Maria ist eine Kämpferin für ihren Glauben“, erläutert die Museumsleiterin.

Das Kunstwerk aus der Mitte des 18. Jahrhunderts ist eine Antwort der katholischen Kirche auf die neue Lehre des Reformators Martin Luther, die sich im Norden durchgesetzt hatte. Die katholische Reform oder auch Gegenreformation prägte sämtliche Bereiche des Lebens, die Kirchen wurden in großem Stil barockisiert und auch die Marienverehrung wurde stark gefördert.
Doch selbst in der Kirche wechseln die Moden, so hat später die Neugotik die üppige Kunst des Barock abgelöst. Dass die kirchlichen Kunstschätze aus den unterschiedlichen Epochen erhalten geblieben sind, ist auch ein Verdienst der Museumskultur des 19. Jahrhunderts. Damals sammelten und stifteten kunstsinnige Bürger, Kaufleute und Mäzene ausgemusterte Altäre, Skulpturen oder Gemälde, um an die reiche Tradition christlicher Kunst zu erinnern.
 


Die „Madonna im Strahlenkreuz“ zeigt
Maria als Himmelskönigin. Das Werk
stammt aus dem Zisterzienserinnenkloster
Teistungenberg und wurde um 1750 geschaffen.

Im Städtischen Museum Göttingen, das im sogenannten Hardenberger Hof, einem Adelspalais aus der Renaissance untergebracht ist, findet sich auch die Kirchenkunstsammlung, sie gehört zu den bedeutendsten ihrer Art in Norddeutschland. Die ältesten Objekte reichen ins 12. Jahrhundert zurück. Um die kostbaren mittelalterlichen Stücke angemessen zu präsentieren, hat man den Fachwerkbau um 1900 mit einem Anbau im Stil einer Kapelle versehen und mit einem Kreuz bekrönt, obwohl dort kein Gottesdienst gefeiert werden sollte.

Ein Kirchenbau als Kulisse für die Kunst, selbst die Fensternischen sind mit mittelalterlichen Glasfragmenten ausgestattet, etwa aus dem Kloster Amelungsborn: „Dieser Anbau, in dem wir unsere mittelalterlichen Altäre zeigen, war, so gesehen, der erste Museumszweckbau in Niedersachsen“, betont Andrea Rechenberg. Das Städtische Museum Göttingen verwahrt rund 80 000 Objekte in den Depots.

Gegen den neuen Glauben regte sich Widerstand

Die Ausstellungsfläche im Haus am Ritterplan wird seit Jahren saniert. Auf einem Teil der Fläche zeigt das Museum die Ausstellung  „Stadt.Macht.Glaube“ – mit Blick auf die Zeit des 16. und 17. Jahrhunderts. An den Treppenstufen, die zu den Schauräumen führen, sind die Schlüsselbegriffe jener Epoche angebracht: darunter Schlagworte wie „Prozession“, „Machtkampf“, „Gesang“, „Glaube“ oder „Kelch“. Denn mit der Reformation hielt der neue Glaube Einzug in die Stadt Göttingen, zunächst gegen den Widerstand des etablierten Rates, der Kurie und der Klöster. Doch die Gilden, Innungen und Handwerker konnten sich durchsetzen, dabei war der Streit um den wahren Glauben oft nur Mittel zum Zweck.

Aus den Kirchen der Stadt räumte man die Bilder und die Heiligen, die Bildschnitzer fanden kaum noch Arbeit, die Klöster wurden aufgelöst und umgenutzt, Machtkonstellationen veränderten sich. Eine Epoche im Umbruch. Zwei riesige Wandbilder erinnern an die Belagerungen, Niederlagen und Siege der Stadt im Dreißigjährigen Krieg – ein frühes Mahnmal für den Frieden. „Diese Werke hat der Rat der Stadt in Auftrag gegeben“, sagt Rechenberg, „vieles spricht dafür, dass man damals schon die Erinnerung an die Schrecken dieses furchtbares Krieges wachhalten wollte.“
 


Bei der Marienkrönung handelt es sich um eine Altarszene
aus dem 15. Jahrhundert.

Unter dem Motto „Maria wird Kult“ weist eine stilisierte Lilie den Weg zu den vielen anrührenden Mariendarstellungen. Die romanische  aufrecht „Thronende Madonna aus Bilshausen“ zählt zu den wertvollsten Stücken, sie wurde im Verlauf der Jahrhunderte mehrmals überarbeitet und teils auch neu „gestylt“, ihr Kopf diente als Reliquienbehälter.
Im 13. Jahrhundert entwickelt sich dann das Bild der Schmerzensmutter mit dem toten Christus im Arm, die Pietà, ein Leidensmotiv, das die Emotionen der Gläubigen wecken soll, ebenso wie die Andachtsbilder der trauernden Madonna.

Später rückten Szenen aus Marias Leben in den Mittelpunkt, etwa die Darstellung der Anna Selbdritt: Die heilige Anna mit ihrer Tochter Maria und dem Jesuskind. Oder auch Maria im Moment ihrer Krönung. Maria mit Goldblech und Edelsteinen oder schlicht aus Holz – sie bleibt eine mächtige Fürsprecherin der Frommen. „Das fängt mit einer verklärten Himmelskönigin an, man kann aber auch eine junge Revolutionärin in Maria sehen“, skizziert die katholische Theologin Martina Kreidler-Kos die Bildervielfalt von Maria. Bis heute ist Maria in der katholischen Kirche von zentraler Bedeutung, auf sie berufen sich konservative sowie reformorientierte Frauen.

Die meisten Mariendarstellungen im Städtischen Museum Göttingen, aber auch die Heiligenfiguren wie der heilige Albanus oder der heilige Thomas von Aquin, Monstranzen, Altäre und Reliquienbehälter stammen aus dem Eichsfeld, das überwiegend katholisch geblieben ist.

Museum hat auch einen Raum der Religionen

„Wir können bei uns im Museum die unterschiedlichen Glaubensformen präsentieren und zeigen, auf welche Weise die Reformation die politischen und kulturellen Entwicklungen geprägt hat“, betont die Historikerin Andrea Rechenberg. „Es gibt viele Möglichkeiten, die Exponate zu befragen“. In Göttingen gab es um 1900 zahlreiche jüdische Bürger, die dem Museum zu seiner Gründung Exponate aus der jüdischen Kulturgeschichte übergeben haben. Deshalb besitzt das Haus eine wichtige Sammlung von Tora-Wimpeln. Die Museumsleiterin verweist auch auf den „Raum der Religionen“. Hier werden die drei großen Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam kurz vorgestellt. „Das ist uns sehr wichtig. Zu uns kommen viele Schulklassen, hier können wir erklären, wie vielfältig das religiöse Leben heute ist“.

Das Städtische Museum Göttingen ist dienstags bis freitags von 10 bis 17 Uhr, samstags und sonntags von 11 bis 17 Uhr geöffnet und jeden ersten Donnerstag im Monat bis 19 Uhr.

Karin Dzionara