Gehörlosenverein feiert Jubiäum

Reden durch Gebärden

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Sprache und Kommunikation sind für das Christentum grundlegend. Doch was, wenn mein Gegenüber nicht hören kann? Zu Gast bei katholischen Gehörlosen.


Die Arme gehen hoch, die Finger bewegen sich: Die gehörlosen Frauen und Männer singen ein Gebärdenlied. | Fotos: Bode

Die Arme gehen nach oben, Hände und Finger bewegen sich in einem rasanten Tempo. Es „erklingt“ ein „Ein Haus voll Glorie schauet“. Durch die Kirche hallen Laute, doch ein Außenstehender wird das bekannte Kirchenlied kaum erkennen. Es wird von Gehörlosen gesungen – in Gebärdensprache. Die Mitglieder des Katholischen Gehörlosenvereins St. Bernward feiern in der gleichnamigen Hildesheimer Kirche mit Generalvikariatsrat Dr. Christian Hennecke die heilige Messe. Hennecke spricht bedächtig, macht immer wieder kurze Pausen. Doch das ist gar nicht notwendig. Die Gebärdendolmetscherin Sabrina Borcherding übersetzt seine Worte in Windes­eile in Gebärdensprache, und langsames Sprechen behagt ihr nicht, sagt sie später. Das hängt mit der eigenen Grammatik der Gebärdensprache zusammen, bei der Verben eine besondere Rolle spielen. Und wenn die erst spät im Satz kommen, wird es mit der Übersetzung schwierig.

Die Texte, die Hennecke in der Messe verwendet, sind eigens in einfache Sprache transkribiert worden. Der damalige Bischof Heinrich Maria Janssen hat sie 1974 approbiert, das heißt, für den Gottesdienst zugelassen. Seit fast vierzig Jahren liegt ein Rituale mit Texten für Messen, Hochzeiten und Beerdigungen für Gehörlose zur Genehmigung in Rom – aber dort tut man sich offenbar schwer mit der Zulassung. Diakon Michael Faupel, Diöze­sanbeauftragter für Menschen mit Hörschädigung, hat eine Reihe von Lesungen des Alten und Neuen Testaments in Leichte Sprache umgeschrieben.

„Gehörlose sind nicht dumm“

„Man kann alles in Gebärdensprache übersetzen, Gehörlose sind nicht dumm, eigentlich braucht es keine eigenen Texte“, sagt Sabrina Borcherding, die ihren Master als Gehörlosendolmetscherin gemacht hat. Und wenn es für einzelne Begriffe keine Gesten gibt, können sie mit dem Fingeralphabet buchstabiert werden.

Allerdings: „Nicht alle Gehörlose könnten dann der Übersetzung folgen“, sagt Faupel. Die Kirchensprache ist häufig schwierig und viele Gehörlose haben nur einen einfachen Bildungsstand. Der Grund: Sie wurden als Kinder und Jugendliche nicht gefördert, stattdessen als behindert aufs Abstellgleis geschoben.
 


Mit lautbegleitenden Gebärden und mit der Gebärdensprache übersetzen Christina Faupel von der Gehörlosenseelsorge und Dolmetscherin Sabrina Borcherding die Worte der Liturgen.

Dass an diesem Tag Chris­tian Hennecke, der Leiter der Hauptabteilung Seelsorge im Bischöflichen Generalvikariat, am Altar steht, hat seinen Grund. Der Gehörlosenverein hat Jubiläum, er feiert sein 90-jähriges Bestehen. Er wurde 1929 in Hildesheim gegründet und hatte gleich einen schweren Stand. Nur vier Jahre später lösten die Nazis den Verein zwangsweise auf – was die Mitglieder aber nicht von weiteren Aktivitäten abhielt. 1934 feiern sie in aller Stille im Mutterhaus der Vinzentinerinnen ihr fünfjähriges Bestehen, 1950 erfolgt dann die offizielle Widergründung.

Gottesdienst und Plauderstunde

Die Pflege von Freundschaften, die Feier von Festen und die Organisation von Ausflügen stehen damals auf dem Programm des Gehörlosenvereins. Ähnlich ist es auch noch heute. Es gibt Vorträge über kirchliche und religiöse Themen, gemeinsame Unternehmungen und Treffen zum „Gemeindekaffee“ oder zur „Plauderstunde“. Regelmäßig finden auch überregionale Treffen mit Gehörlosen aus anderen norddeutschen Bistümern statt. Am Hildesheimer Domhof hat die Gehörlosenseelsorge einen Treffpunkt eingerichtet und bietet eine Sozialberatung für hörgeschädigte und für hörsehbehinderte und taubblinde Menschen an. Alle 14 Tage feiert Diakon Faupel mit den Gehörlosen in der Kapelle des Altenheims St. Paulus einen Wortgottesdienst mit Kommunionausteilung. Mit Hilfe von lautbegleitenden Gebärden vermittelt er den Gottesdienstteilnehmern die Lesungstexte, die Gebete und die Predigt.

Kirche soll Gehörlosigkeit mehr wahrnehmen

Der Katholische Gehörlosenverein „St. Bernward“ Hildesheim (so der offizielle Name) hat heute nur noch 16 Mitglieder, die meis­ten sind über 50 Jahre alt. Doch an vielen Aktivitäten nehmen auch Nichtvereinsmitglieder teil. Die Vorsitzende Petra Stemmler, Jahrgang 1961, engagiert sich dafür, die Arbeit des Vereins weiter zu führen. Der Austausch und die gemeinsamen Unternehmungen der Gehörlosen sind ihr wichtig. Und sie möchte, dass das Thema Gehörlosigkeit in der Kirche der Hörenden mehr wahrgenommen wird.

„Es wäre schön, wenn bei katholischen Großveranstaltungen und wichtigen Ereignissen Gebärdensprachdolmetscher dabei wären, um gehörlosen Menschen mit teilhaben zu lassen. Wir würden uns sehr freuen, wenn der Bischof uns  besuchen und die heilige Messe mit uns feiern könnte. Vielleicht klappt das 2021 beim Norddeutschen katholischen Gehörlosentag in Hildesheim“, sagt sie.

Matthias Bode

 

Gebärdensprache ist Studienfach  
Gehörlose können sich über die Deutsche Gebärdensprache und/oder durch lautbegleitende Gebärden verständigen.

Die Gebärdensprache besteht neben Handzeichen aus Mimik und Körperhaltung. Sie verfügt über ein umfassendes Vokabular und eine eigenständige Grammatik, die grundlegend anderen Regeln folgt als die Grammatik gesprochener Sprachen. Gebärdensprachen sind ebenso komplex wie gesprochene Sprachen, auch wenn sie anders aufgebaut sind. Die Deutsche Gebärdensprache kann an acht deutschen Hochschulen studiert werden, Absolventen können den Studiengang mit einem Bachelor und Master abschließen.

Von der Deutschen Gebärdensprache unterscheiden sich Lautsprachbegleitende Gebärden. Dabei geht es darum, jedes gesprochene Wort in eine Gebärde umzusetzen. Aufgrund der oft ausgeprägt oralbetonten Erziehung mit Absehen vom Mund, ist die Kommunikation der älteren Generation in höherem Maß durch begleitende Gebärden geprägt.