Interview mit dem Sozialethiker Bernhard Emunds

Reiche sollen mehr Steuern zahlen

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Die Bundesregierung beschließt gewaltige Ausgaben – um die Corona-Folgen abzufedern, die Menschen in der Inflation zu entlasten, die Bundeswehr besser auszurüsten. Sozialethiker Bernhard Emunds sagt: Wohlhabende sollten stärker als bisher zur Finanzierung herangezogen werden.

Seit der Corona-Pandemie und wegen der Inflation schnürt die Bundesregierung ein Entlastungspaket nach dem anderen. Wie beurteilen Sie als Sozialethiker die Maßnahmen? 

Die Pakete sind sozial unausgewogen. Da wird mit einer riesigen Gießkanne viel Geld ausgeschüttet. Vom Tankrabatt, der Gaspreisbremse und den Maßnahmen zur Überwindung der kalten Progression profitieren auch die Wohlhabenden – und sie profitieren sogar stärker als die Menschen mit geringem Einkommen. Wer gut verdient, kann sich höhere Energie- und Lebensmittelpreise jedoch leisten. Etliche Geringverdiener dagegen rutschen jetzt unter die Armutsgrenze. Und wer bisher schon arm war, weiß nun gar nicht mehr ein und aus. Trotz der bisher beschlossenen Maßnahmen.

Aber zugleich wurde das Bürgergeld eingeführt. Und schon zuvor entfiel die Hälfte der Ausgaben des Bundes auf soziale Zwecke. Zudem steigt seit 2020 die Staatsverschuldung rapide an. Betreibt die Ampel nicht eine Politik auf Kosten nachfolgender Generationen? 

Die Staatsverschuldung ist nicht einfach eine Folge hoher Sozialausgaben. Vielmehr sind hier alle Ausgaben sowie die Höhe der Steuern und Abgaben relevant. Auch hat die Bundesrepublik bisher kein Schuldenproblem. Im internationalen Vergleich stehen wir weiterhin hervorragend da. Ende des letzten Jahres lag die Staatsverschuldung zum Beispiel in Frankreich, Spanien und den USA zwischen 110 und 130 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, in Deutschland dagegen bei 70 Prozent.

Aber?

Die vergangenen Monate waren geprägt von ungeheuren Ausgaben, auch abseits des Sozialbudgets. So soll beispielsweise die Bundeswehr mit 100 Milliarden Euro aufgerüstet werden. Wenn der Ukrainekrieg einige Jahre anhält und ständig neue Ausgabenpakete geschnürt werden, könnte unser Land doch noch in eine problematische Finanzlage geraten. Allein deswegen sollte die Regierung künftig nur noch sozialpolitische Maßnahmen beschließen, die zielgenau sind. Zugleich müssen wir die Wohlhabenden und Spitzenverdiener zur Bewältigung der aktuellen Krisen heranziehen. Das ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit.

Welche Instrumente kommen dafür infrage?

Die fünf Wirtschaftsweisen haben jüngst empfohlen, die Maßnahmen gegen die kalte Progression zu verschieben und den Spitzensteuersatz vorübergehend zu erhöhen oder befristet einen Energie-Solidaritätszuschlag für hohe Einkommen einzuführen. Das halte ich für einen pragmatischen Ansatz, zumal sich fast alle Volkswirte darin einig sind, dass die bisherigen Entlastungen verteilungspolitisch eine Schieflage haben.

Wie viel Geld würden die Empfehlungen der Wirtschaftsweisen in die Staatskasse spülen?

Gemeinsam mit dem verschobenen Abbau der kalten Progression würde ein Energie-Soli in Höhe des Soli Ost den Staatshaushalt im nächsten Jahr um rund 20 Milliarden und 2024 um etwa 25 Milliarden entlasten. Den Spitzensteuersatz würde man wohl so festlegen, dass er zu einer ähnlichen Summe führen würde.

Welche Instrumente abseits eines Energie-Solis wären für Sie denkbar? 

Hier denke ich vor allem daran, dass die steuerliche Entlastung der Vermögen rückgängig gemacht werden sollte. Im Gegensatz zu etlichen anderen Staaten erlaubt sich Deutschland seit 1997 den Luxus, weder eine private Vermögenssteuer zu erheben noch das Eigentum an Grund und Boden in nennenswertem Umfang zu belasten. Dabei zeigt eine Berechnung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, dass hierzulande ein Prozent der erwachsenen Bundesbürger, also rund 600 000 Menschen, inzwischen 35 Prozent des gesamten Vermögens besitzen. Die wohlhabendsten zehn Prozent besitzen 67 Prozent. Die untere Hälfte hingegen, also rund 30 Millionen Menschen, besitzt gerade mal 1,4 Prozent. Dieser Vermögenskonzentration muss aus Sicht der Christlichen Sozialethik unbedingt entgegengewirkt werden.

Was ist mit der Erbschafts- und Schenkungssteuer? Schon heute wird in Deutschland ein Großteil des Vermögens nicht erarbeitet, sondern vererbt.

Die Übertragung von Vermögen von Eltern auf ihre Kinder ist in der Tat eine wichtige Ursache der steigenden wirtschaftlichen Ungleichheit. Gleichwohl wurde die Erbschaftssteuer hierzulande in der Vergangenheit derart ramponiert, dass sie bei hohen Beträgen schlichtweg lächerlich ist. Wer zum Beispiel in den letzten zehn Jahren in den Genuss einer Schenkung oder Erbschaft von mehr als 20 Millionen Euro kam, zahlte im Schnitt gerade einmal 2,8 Prozent Steuern darauf.  

In der Bundesrepublik gab es schon einmal einen Lastenausgleich. Adenauer hat ihn 1952 eingeführt. Die anschließenden Wahlen gewann die Union haushoch. Haben Sie eine Idee, warum sich Konservative und Liberale heute mit einer stärkeren Besteuerung von Reichen so schwertun? 

In Deutschland gibt es eine ungemein starke Lobby von Familienunternehmen, die sich seit Jahrzehnten sehr erfolgreich gegen alle steuerlichen Belastungen von Vermögen zur Wehr setzt. In der Mittelschicht schüren sie Ängste um das Haus der Eltern oder Großeltern. Außerdem behaupten sie, dass eine höhere Erbschaftssteuer oder eine Abgabe auf Vermögen viele Familienunternehmen in den Konkurs treiben würde. Doch dafür gibt es nicht den geringsten empirischen Anhaltspunkt.

Mahner befürchten dennoch, dass große Unternehmen mit ihren Arbeitsplätzen aus Deutschland abwandern könnten, wenn man hier die Abgaben erhöht. Was sagen Sie zu der Theorie?

Wenn es nicht um die Produktion einfacher Massenware geht, ist die Höhe der Steuern bei Standortentscheidungen nur ein Aspekt neben vielen anderen und längst nicht der wichtigste. Bedeutsamer sind die Qualifikation der Beschäftigten und die Güte der Infrastruktur. 

Kritiker werfen der SPD, den Grünen und nun auch den Wirtschaftsweisen vor, sie würden Umverteilung betreiben. Andererseits beklagen die Sozialverbände, dass viele Menschen in Deutschland immer ärmer werden. Wer hat recht?

Der Begriff Umverteilung ist zu einer Art Kampfbegriff geworden. Dabei generiert jeder Staat Einnahmen und gibt Geld aus und beeinflusst damit die Verteilung. Bereits die öffentliche Subventionierung von Theatern und Opernhäusern, die ich nicht infrage stelle, ist eine Umverteilung – allerdings zugunsten der wohlhabenden Bildungsbürger. Fakt ist außerdem, dass wir es in Deutschland seit zwanzig Jahren mit einer verfestigten Armut zu tun haben. Schon vor der aktuellen Energiekrise lebten 15 Prozent der Deutschen in Armut, weitere 12 Prozent verdienen so wenig, dass sie jederzeit in Armut abrutschen können. Das heißt: Der Umstand, dass Güter des Grundbedarfs so viel teurer werden, stellt mehr als ein Viertel der Bevölkerung vor große Probleme, noch irgendwie über die Runden zu kommen. 

Die FDP hat sich bisher gegen alle Steuererhöhungen ausgesprochen und auch einige Sozialvorhaben der Ampel ausgebremst. Wie beurteilen Sie die Politik der Liberalen?

In das Lamento über die Ampelkoalition, das zum Teil auch in kirchlichen Kreisen zu hören ist, möchte ich nicht einstimmen. Die Ampel wurde gleich zu Beginn mit einer übergroßen Krise konfrontiert. Das Problem ist allerdings, dass die beschlossenen zusätzlichen Maßnahmen alle auf Pump finanziert werden, weil die FDP partout jedwede Steuererhöhung ablehnt. Doch angesichts der enormen Herausforderungen, die mit dem Klimawandel und der Energiewende noch auf uns zukommen, werden sich höhere steuerliche Belastungen für die oberen 20 oder 25 Prozent der Bevölkerung nicht vermeiden lassen. 

Sehen Sie die Möglichkeit, dass die FDP einlenkt?

Ich könnte mir vorstellen, dass die FDP aus ihrer Steuersenkungsecke herauskäme, wenn auch aus der Union entsprechende Signale kämen. Doch leider hat sich die CDU unter ihrem Vorsitzenden Friedrich Merz für einen scharfen Oppositionskurs entschieden, der zuletzt, beim Bürgergeld, auf Kosten von Arbeitslosen ging. Die Union täte besser daran, wieder mehr auf die sozialen Stimmen in den eigenen Reihen zu hören. 

Interview: Andreas Kaiser

Andreas Kaiser