Anstoss 04/2018

Scheibchenweise

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Seit gut einem halben Jahr hat Cottbus seinen eigenen Elbenwald. 600 Kostümierte kamen damals, um den neuen Fanartikel-Shop einzuweihen. Was für ein Geschäft, wenn Menschen so sein wollen wie Harry Potter, Luke Skywalker oder wer auch immer.


Aber man wird nicht zu einem Zauberlehrling, nur weil man mit einem Stock herumwedelt und einen Hogwarts-Pullover trägt.
Als Kind habe ich davon geträumt, mich durch einen Meteoriteneinschlag in Supermann zu verwandeln. Aber man wird auch nicht zum Superhelden, nur weil man sich ein Cape umhängt. Gott sei Dank, habe ich das vor den ersten Flugversuchen begriffen.
Wir haben unsere Vorstellungen, wie wir sein wollen. Andere haben ihre Vorstellungen, wie wir sein sollen: „Davon könntest du dir ruhig mal eine Scheibe abschneiden.“ Mehr als einmal habe ich diesen Spruch von Eltern gehört. Wenn das möglich wäre, könnte man sich sozusagen scheibchenweise in einen anderen Menschen verwandeln. Zum Glück geht das genauso wenig, wie durch ein Kostüm.
Im Leben geht es nicht darum, ein anderer zu werden. In den ersten Wochen des neues Kirchenjahres hören wir im Evangelium die Berufungsgeschichten der ersten Jünger. Jesus lädt ein: „Kommt her, folgt mir nach“ (Markus 1,17).
Und die Jünger folgen ihm. Aber nicht, indem sie sich mit einem Kostüm als Jesus Christus verkleiden oder versuchen, ihn nachzumachen. Jesus sind die Jünger so willkommen, wie sie sind.
Papst Benedikt XVI. hat einmal, lange bevor er Papst geworden ist, gesagt: „Es gibt so viele Wege zu Gott, wie es Menschen gibt.“ Anders gesagt, Gott braucht Originale. Er braucht mich genauso, wie ich bin. Vielleicht kann man sogar sagen: Wenn ich mich auf Gott einlasse, höre ich auf, ein anderer sein zu wollen und werde mehr und mehr zu dem, der ich bin und sein kann.
Dafür würde ich mir gerne eine Scheibe von den Jüngern abschneiden. Denn es bedeutet eigentlich, sich an jemandem ein Beispiel zu nehmen. Ich möchte mir etwas von dem Mut abschneiden, mit dem sich die Jünger auf Jesus Christus eingelassen haben. Und ich möchte mir etwas von der Entschlossenheit abschneiden, mit der sie versucht haben, ihrem Weg treu zu bleiben.
Das würde mir gefallen, wenn über mich einmal jemand sagt: Das war ein Original.

Marko Dutzschke, Cottbus