Theologieprofessorin Julia Enxing im Interview

Schöpfungsauftrag ernst nehmen

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Seit April ist Julia Enxing Professorin für Systematische Theologie am Institut für Katholische Theologie der TU Dresden. Im Interview spricht sie über ihr aktuelles Schwerpunktthema, die Rolle der Theologie für einen gerechten Umgang mit der Schöpfung. 

Die Theologin Julia Enxing mit ihrer Hündin Lucy.    Foto: Amac Garbe

 

Wie sind Sie eigentlich darauf gekommen, sich als Theologin den Tieren zuzuwenden?

Als Theologin lasse ich mich von den relevanten Themen der Zeit herausfordern. Nachdem die Ausmaße der sexuellen Gewalt innerhalb der Kirche vor zehn Jahren ans Licht kamen, habe ich mich beispielsweise intensiv mit „Schuld und Sünde in der Kirche“ befasst. Die Rolle des Menschen in der Schöpfung ist als Thema schon länger aktuell. Mir scheint, dass es da noch viele offene Fragen gibt, zu der sich auch die Theologie positionieren sollte.
Deshalb habe ich mich 2017 an der TU Dresden beworben, unter anderem mit einem künftigen Forschungsschwerpunkt in der Schöpfungstheologie. Das Projekt passt sehr gut an diese Technische Universität, weil es von der interdisziplinären und interkonfessionellen Zusammenarbeit lebt, und die fällt einem hier gewissermaßen in den Schoß. Eigentlich geht es mir darum, das Zusammenspiel von menschlichem und nicht-menschlichem Leben in den Blick zu nehmen.
Ich hätte mein Hauptaugenmerk  dabei auch auf die Pflanzen legen können. Dass ich die Tiere ausgewählt habe, hängt sicher damit zusammen, dass ich eine sehr enge Bindung zu Tieren habe. Ich habe Veterinärmedizin studiert, bevor ich mich der Theologie zuwandte. Vielleicht fällt mir deshalb besonders auf, dass es in der Theologie eine gewisse Tiervergessenheit gibt. Dabei begegnen uns Tiere überall in der Bibel: In der „Lamm Gottes“-Symbolik zum Beispiel. Jesus reitet auf einem Esel in Jerusalem ein. Das Motiv der Schlange finden wir schon in der Schöpfungserzähltung. Gott wird mit einem Adler verglichen oder mit einer Henne. Gott spricht sogar an einer Stelle durch einen Esel zu einem Propheten...

Ein wichtiger Beitrag zu dieser Thematik war die Enzyklika Laudato si von Papst Franziskus. Welche Auswirkungen sollte diese Enzyklika Ihrer Ansicht nach auf die Gläubigen haben?

Wir sind Teil einer Weltkirche. In der katholischen Kirche ist uns  das wohl besonders stark im Bewusstsein. Dass wir einen Papst haben, der aus Lateinamerika stammt, sollte unseren Horizont zusätzlich weiten: Wir haben eine Verantwortung für die Welt. Es ist erschreckend, wie sehr wir in den Industrienationen unseren Lebensstil auf Kosten der Bewohnenden anderer Erdteile und auf Kosten der Umwelt führen. Damit stellen wir uns über die Schöpfung, als wären wir ihr Höhepunkt. Dabei ist der Höhepunkt der Schöpfung doch der Sabbat. Als Menschen sind wir stärker als viele andere Lebewesen darauf angewiesen, dass die uns umgebende Schöpfung intakt ist. Obwohl wir intelligent genug sind, das zu erkennen, verhalten wir uns ausbeuterisch. Besonders im Nordteil der Erde haben wir uns von der Grundlage unseres eigenen Lebens entfremdet. Dabei hätten wir Alternativen. Durch Laudato si möchte der Papst uns wachrütteln, unseren Lebensstil zu hinterfragen. Fast alle pflichten ihm bei. Doch es fehlt an Mut, Konsequenzen zu ziehen. Wir haben uns in unserem Leben eingerichtet. Ich denke, dass es unsere Aufgabe als Christinnen ist, zu irritieren, zu provozieren, einen Gegenentwurf zu dem zur Verfügung zu stellen, was andere als Kriterien eines guten Lebens betrachten. Jeder hängt mit jedem zusammen in dieser Welt. Über unsere Zukunft können wir deshalb nur gemeinsam entscheiden.

ZUR PERSON
Raum für große Fragen
Schon als Kind hat sich Julia Enxing (Jahrgang 1983) große Fragen gestellt: Warum gibt es so viel Ungerechtigkeit? Warum leben wir in Europa so privilegiert? Warum werden die Tiere so schlecht behandelt? Warum sind wir da? Auch die Frage nach Gott spielte dabei eine Rolle. Julia Enxing studierte zunächst Veterinärmedizin in Leipzig, wechselte dann jedoch das Studienfach. Sie studierte in Mainz Katholische Theologie, promovierte 2012 in Münster und habilitierte sich 2017 an der Frankfurter Jesuitenhochschule St. Georgen. Seit April 2019 vertrat sie die Professur für Systematische Theologie am Institut für Katholische Theologie der TU Dresden, ein Jahr später wurde sie Lehrstuhlinhaberin.
Mit Dresden hat sie sich als Theologin bewusst für einen Ort entschieden, an dem Religion nicht als selbstverständlich betrachtet wird.

Welche Bedeutung hat die Erkenntnis, dass die ganze Schöpfung miteinander verwoben ist?

Wir nehmen uns das Recht heraus zu entscheiden, welche anderen Lebewesen ein Recht zu leben hat. In unserem Kulturkreis haben wir beispielsweise entschieden, dass wir Schweine essen, Meerschweinchen aber auf rosa Kissen setzen. Wir tun so, als sei das selbstverständlich, doch anderswo hat man ganz anders entschieden.
Der Schöpfungserzählung ist zu entnehmen, dass die Tiere vor uns den Auftrag „Seid fruchtbar und mehret euch!“ erhalten haben. Durch unser Einwirken sind viele Arten vom Aussterben bedroht. Wir hindern also die Tiere daran, ihrem Schöpfungsauftrag gerecht zu werden. Natürlich ist es unvermeidlich, an anderem Leben schuldig zu werden. Aber es ist durchaus möglich, den Tieren mehr Respekt und Wertschätzung entgegenzubringen. Eine Möglichkeit dazu wäre, bewusster zu konsumieren. Die Corona-Krise hat uns unsere Verwobenheit mit nicht-menschlichem Leben einmal mehr vor Augen gehalten. Sie hat deutlich gemacht, dass wir nicht alles kontrollieren und beherrschen können. Zudem ist Folgendes interessant: Studien belegen einen Zusammenhang zwischen Rassismus und Speziesismus: Menschen, die Tieren weniger Wert zubilligen, haben sehr häufig zugleich eine abwertende Einstellung gegenüber bestimmten Menschengruppen. Ich denke, wir sind uns noch nicht hinreichend bewusst, welche Folgen solche Haltungen für die gesamte Gesellschaft haben. Die Überzeugung, dass andere Lebewesen uns zur Verfügung stehen und von uns „gebraucht“ werden können, schlägt sich beispielsweise auch in unserer Arbeitswelt nieder.

Denken Sie, dass es Zeiten gab, in denen Menschen einen respektvolleren Umgang mit Tieren pflegten?

Ich meine, schon. Das Bewusstsein dafür, dass Mensch und Tier aufeinander angewiesen sind, war zu anderen Zeiten größer. In der biblischen Zeit waren Tiere Mitarbeitende des Menschen. Sie hatten wie der Mensch ein Recht auf Sabbatruhe. Man durfte sie also nicht endlos ausbeuten. Es gab natürlich auch Tieropferung. Aus heutiger Sicht ist das gewiss schwer nachvollziehbar, aber dahinter stand das Anliegen, zur Verbindung zwischen Gott und Mensch beizutragen.
Heute sieht man einen Unterschied zwischen kleinbäuerlichen Regionen der Welt, wo Mensch und Tier enger zusammenleben und zum Beispiel der industriellen Schlachtung, die uns ermöglicht, an einem Tag eine immense Menge an Tieren zu töten. Tiere werden dadurch zu einer Ware, zu der wir keinen Bezug mehr haben.

Sie plädieren dafür, Tiere auch in religiöse Rituale einzubeziehen, zum Beispiel die gemeinsame Bestattung von Mensch und Tier im gleichen Grab zu ermöglichen. Droht da nicht die Gefahr, Tiere zu vermenschlichen?

Wer Tiere vermenschlicht oder verniedlicht, wird ihnen nicht gerecht. Ich möchte auch keinesfalls beurteilen, ob Tiere sich in menschlicher Weise zu Gott bekennen können. Aber wenn Menschen darauf hoffen, dass das Leben hier auf der Erde nicht das einzige ist und dass Gott die ganze Schöpfung erlösen und neu machen will, dann sind die Tiere doch in diese Hoffnung mit eingeschlossen und auch die Beziehung, die ich zu ihnen habe – in welcher Weise auch immer diese Verwandlung geschehen wird!

Fragen: Dorothee Wanzek