Kinofilm „Gotteskinder“ zeigt evangelikalen Fundamentalismus

Schrecklich fromm

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Flora Li Thiemann
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Foto: W-FILM

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Überzeugend: Flora Li Thiemann in ihrer Rolle als Hannah.

Der Kinofilm „Gotteskinder“ zeigt, welcher religiöse Fundamentalismus hinter der modernen Fassade freikirchlicher Gemeinden lauern kann – und wie junge Menschendaran leiden. Er geht an die Nieren und macht manchmal auch wütend.

In der fiktiven „Church Of Belief“ ist die kleinbürgerliche Vorstadtwelt im wahrsten Wortsinn noch heil, fast heilig; zumindest vordergründig. Alles hier ist „Celebration“. Die Kirche ist vergleichsweise jung, dynamisch und auch digital bestens aufgestellt. Es wird viel gesungen. Die Hände zum Himmel. Es gibt Lobpreis, Handauflegen, Befreiungsgebete und reichlich Segnungen, wie man das auch aus manchen charismatischen Gemeinden kennt. Doch während die beiden christlichen Großkirchen beharrlich schrumpfen, verbuchen evangelikale Glaubensgemeinschaften seit Jahrzehnten Zuwachs. Vor allem in den USA, in Teilen Südamerikas und Asiens boomen sie. Auch hierzulande steigen die Mitgliedszahlen mitunter noch rasant, sagt Regisseurin Frauke Lodders. 

Ein Jahr hat die Absolventin der Kunsthochschule Kassel, in der vielfältigen, keineswegs homogenen freikirchlichen Szene recherchiert und war „fasziniert und erschrocken zugleich“, wie sie sagt. Denn hinter dem „modernen und durchaus einladenden Äußeren“, befinde sich häufig „eine strikt konservative Welt, in der streng patriarchale Regeln gelten“. Unter der Oberfläche brodelt es. Vor allem junge Menschen kommen mit der Diskrepanz ihrer eigenen Gefühlswelt und dem religiösen Fundamentalismus der Umwelt, der Eltern oft nicht gut zurecht. Genau darum geht es in Lodders neuem Kinofilm Gotteskinder. 

Timotheus, genannt Timo, gespielt von Serafin Mishiev, kämpft verzweifelt gegen seine Homosexualität an, seine „sexuelle Missprägung“, wie es in seinem Umfeld heißt. Er betet, er hadert, weint und ohrfeigt sich selbst. Schließlich will Timo nur eines, seinen Vater stolz machen. Um sich von seinen vermeintlichen Dämonen, „der Sünde“, zu befreien, besucht er sogar ein Seelsorgeseminar, das aber nichts anderes ist als eine knallharte Konversationstherapie für Heranwachsende, die 2020 auf Initiative des damaligen Bundesgesundheitsministers Jens Spahn (CDU) in Deutschland verboten wurde. Nicht ohne Grund: Auch in Lodders Kinofilm erinnern manche Methoden an finsterste, mittelalterliche Exorzismusrituale. 

„Das alles ist falsch, ganz falsch“

Auch das Leben von Timos Schwester Hannah, dargestellt von Flora Li Thiemann, ist keinesfalls frei von Komplikationen. Während sich Hannah auf ein öffentliches Keuschheitsgelübde vorbereitet, um sich „die Reinheit des Körpers und ihrer Seele“ zu bewahren, verliebt sie sich ungewollt in den revoltierenden Nachbarsjungen Max (Michelangelo Fortuzzi), dessen Vater gerade gestorben ist. Auch wenn die beiden jungen Menschen unterschiedlicher kaum sein könnten, fühlen sie sich voneinander angezogen. Sie machen gemeinsam Musik und gehen heimlich miteinander ins Kino, obwohl Hannah das nicht dürfte. Kino und Musik gelten in der „Church Of Belief“ als Versuchung. Ausgerechnet auf einem christlichen Festival küssen die Beiden sich das erste Mal. „Das alles ist falsch, ganz falsch“, stammelt Hanna und macht sich bitterste Selbstvorwürfe. „Ich hätte das Ganze unter Kontrolle haben müssen.“

Schließlich eskaliert das Geschehen. Max konfrontiert Hannahs Vater: „Weißt Du eigentlich wie krass du Deine Familie einschränkst.“ Daraufhin entführen die Evangelikalen Max und verfrachtet ihn gewaltsam in jene Einrichtung, in der Timo gerade gegen seine sexuelle Neigung ankämpft. Es kommt zum finalen Drama. Mehr soll nicht verraten werden. 

Klar ist alles im Film extrem verdichtet: Die ganze religiöse und psychologische Konfliktwelt komprimiert in einer Familie. Dennoch fesselt Gotteskinder. Während die Darstellung mancher Erwachsener, etwa vom Hannahs Vater David, gespielt von Mark Watzke, zuweilen etwas hölzern und gewollt wirkt, überzeugen die jungen Schauspieler, wie sie verliebt umeinander turteln, verschämt kichern und mit sich ringen und hadern. Allen voran die Berlinerin Flora Li Thiemann, die bereits für ihre Rolle in dem Kinofilm „Nellys Abenteuer“ aus dem Jahr 2016 als beste Darstellerin ausgezeichnet wurde. 

Gotteskinder geht an die Nieren, kriecht schleichend unter die Haut und macht oft auch wütend. Aber genau so soll Kino sein. Das englische Wort Emotion entstammt nicht umsonst vom Begriff Motion, also Bewegung. Filme, sogenannte Motion Pictures, sollen bewegen.

"Gotteskinder. Regie: Frauke Lodders. Kinostart: 30. Januar (117 Min.)

Uraufgeführt wurde Gotteskinder, für dessen Drehbuch Lodders den Hessischen Filmpreis erhielt, bereits im Januar 2024 auf dem Saarbrücker Max-Ophüls-Filmfestival. Ende Januar kommt das von Arte und dem NDR koproduzierte Drama in die deutschen Kinos.