Baueinheiten der NVA
Schule der DDR-Opposition
Schulterstück eines Bausoldaten. | Foto: Schäfer-Hartmann/wikimedia |
30 Jahre nach Ende der DDR sind die Bausoldaten noch immer ein weitgehend unbekanntes Kapitel. Die Katholische Akademie im Bistum Dresden-Meißen hat ihnen deshalb jüngst im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig einen Studientag gewidmet. Gekommen waren vor allem zahlreiche ehemaligen Bausoldaten. Akademiedirektor Thomas Arnold: „Wir wollen mit diesem Studientag einen Beitrag zur historischen Aufarbeitung leisten und die persönlichen Erfahrungen ehemaliger Bausoldaten mit der wissenschaftlichen Forschung abgleichen.“
„Zugeständnis an religiöse Kreise“
Mit den Baueinheiten ging die DDR im Ostblock einen Sonderweg. Vergleichbare Möglichkeiten gab es in anderen Staaten des „Warschauer Vertrages“ nicht. Nachdem 1962 die Wehrpflicht eingeführt worden war, wuchsen die Probleme vor allem mit jungen Christen, die den Wehrdienst aus Gewissensgründen ablehnten. Deshalb wurden 1964 die Baueinheiten geschaffen. Hier konnten junge Männer ihren Wehrdienst ohne Waffe ableisten. Sie waren dennoch voll in das militärische System integriert und wurden häufig zum Bau militärischer Anlagen eingesetzt.
Offiziell wertete die SED die Baueinheiten als „Zugeständnis der Arbeiterklasse an die religiösen Kreise“, sagte Stephan Wolf von der Stasi-Unterlagenbehörde. Dabei behielt sie die Bausoldaten fest im Blick: „Der Wehrdienst war in der DDR Recht und Ehrenpflicht. Die Bausoldaten waren da ein militärischer Fremdkörper, eine ideologische Schwachstelle und ein Einfallstor feindlicher Ideologien.“ Wie wichtig die Bausoldaten für die Stasi waren, zeigt sich für Wolf etwa am von Stasi-Minister Mielke erstellten Jahresplan 89: Dort ist von insgesamt 71 Seiten eine halbe Seite allein ihnen gewidmet.
Dabei war die Zahl der Bausoldaten gering. Laut Thomas Widera vom Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung in Dresden gaben in den 25 Jahren des Bestehens der Baueinheiten 27 000 Männer eine entsprechende Erklärung bei der Musterung ab. 15 000 wurden eingezogen. Die Zahl der Bausoldaten stieg gegen Ende der DDR deutlich an. Daneben gab es 6000 Totalverweigerer, von denen die Hälfte zu Haftstrafen verurteilt wurde, darunter 2700 Zeugen Jehovas.
Trotz der geringen Zahlen waren die Baueinheiten die größte Zusammenführung feindlich-negativer Kräfte. Die 18 Monate wurden für viele zu einer „Schule der Opposition“. Die Verantwortlichen reagierten mit verschiedenen Taktiken: Mal wurden die Bausoldaten in kleinen Grüppchen für Hausmeisterdienste in Militärobjekten eingesetzt, dann gab es Zeiten mit großen Baueinheiten. Die größte war die Baueinheit in Prora mit 360 Bausoldaten, die beim Bau des Fährhafens Mukran eingesetzt waren. Gerade in den großen Einheiten gab es vermehrt Eingaben und Beschwerden an Armee- und Parteiführung. Die Bausoldaten waren „Sand im Getriebe der NVA“, so Widera.
Die Bemühungen der Stasi mit Inoffiziellen Mitarbeitern (IM) Einfluss zu nehmen, waren wenig erfolgreich, so Stefan Wolf. Es gelang kaum, Bausoldaten als IM zu werben. Schwierig war auch die Einschleusung von IM, weil sie mit einer entsprechenden Biografie ausgestattet werden mussten. Die Bausoldaten untereinander kannten sich aber häufig aus anderen Bezügen. So waren unter den 2100 Bausoldaten 1989 nur zehn IM und ein Eingeschleuster. Dazu kamen 23 IM unter den Vorgesetzten.
Gewissenskonflikte junger Christen
Für viele Bausoldaten war die Entscheidung für diese Form des Wehrdienstes ein fataler Kompromiss, wie es Joachim Klose sagte, selbst Bausoldat und heute sächsischer Landesbeauftragter der Konrad-Adenauer-Stiftung. Das klarere Zeugnis wäre die Totalverweigerung gewesen. „Welchen Unterschied macht es, einen Panzer zu fahren oder den Schießübungsplatz für Panzer zu bauen?“
Vor allem in der katholischen Kirche fühlten sich viele Jugendliche mit ihren Gewissenskonflikten allein gelassen. Während sich Teile der evangelischen Kirche in der DDR schon in den 60er Jahren mit dem Thema beschäftigten, die jungen Männer bei ihrer Entscheidung begleiteten und Handreichungen herausgab, hielten sich die katholischen Bischöfe weitgehend zurück. Der Journalist Raphael Ledschbor, der in den 80er Jahren Bausoldat war, kann sich zwar „an viele Predigten zur Jugendweihe erinnern, aber an keine einzige zum Bausoldaten-Dienst“. Oft erfuhren junge Katholiken davon nur über ökumenische Kontakte, wobei es auch hier - zum Beispiel im Bistum Magdeburg - Ausnahmen gab, wie Teilnehmer berichteten. In der Regel sehr engagiert waren die katholischen und evangelischen Geistlichen an den jeweiligen Standorten, an denen Bausoldaten stationiert waren.
Wer sich für den Bausoldatendienst meldete, musste mit Konsequenzen für sein weiteres Leben rechnen. Das galt zum Beispiel für den Wunschstudienplatz. Viele Bausoldaten müssen deshalb bis heute mit einer gebrochenen Biografie leben. Trotzdem wollen sich viele nicht als SED-Opfer sehen. „Ich fühle mich nicht als Opfer, denn wir sind die Sieger der Geschichte“, formulierte ein Teilnehmer. Das sieht auch der Sächsische Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Lutz Rathenow, so: „Ohne Menschen wie Sie hätte es die Friedensbewegung in der DDR nicht gegeben.“ Dresdens Bischof Heinrich Timmerevers dankte zum Abschluss den Teilnehmern: „Sie haben mir ein wichtiges Kapitel DDR-Geschichte erklärt. Ich habe einen großen Respekt vor Ihrer Lebensleistung.“
(Bericht über die Haltung der katholischen Kirche in der DDR zu Wehrpflicht und Bausoldatendienst)
Von Matthias Holluba