Monika Grütters im Gespräch: Darf Kunst verletzen?
Setzt euch damit auseinander!
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„100 Peitschenhiebe, wenn du nicht vor Lachen stirbst“, sagt der Prophet Mohammed auf dem Titel des Satiremagazins Charlie Hebdo.
Frau Grütters, Sie engagieren sich für Kunst und Kultur. Warum?
Schon in der Schulzeit habe ich mich für Literatur und für darstellende Kunst begeistert. Literatur erzählt Geschichten, und Bilder tun es auf ihre Weise auch. Und: Kunst, besonders Musik, spricht eine universelle Sprache. Deshalb kann die Kultur Brückenbauer sein zwischen Ländern, Kulturen, Generationen.
Der Staat fördert Theater, Museen, einzelne Künstlerinnen und Künstler. Warum ist das wichtig?
Zwei Diktaturen in Deutschland haben uns gelehrt, wie wichtig es ist, dass Kunst und Kultur frei agieren können: unabhängig von politischen Interessen, auch von reichen Geldgebern. Staatlich fördern wir die Kunst, damit sie auch ein kritisches Korrektiv sein kann.
Und welche Kunst wird gefördert?
Natürlich gibt es Kriterien dafür. Aber dazu gehört nicht, dass Kunst besonders hübsch, bequem oder politisch passend ist. Tatsächlich erkennt man die Freiheitlichkeit einer Gesellschaft daran, wie sie mit ihren Künstlerinnen und Künstlern umgeht, auch mit unbequemen, andersdenkenden. In Diktaturen und totalitären Staaten sind sie in Gefahr.
In der Corona-Zeit wurde diskutiert, ob Kultur systemrelevant ist. Ist sie?
Ja, jede Gesellschaft, die wach und lebendig sein will, braucht Kultur. Es sind ja nicht nur die Wissenschaften, sondern auch Künstlerinnen und Künstler, die neue Ideen haben, die herausfordern, die Lust haben am Experiment. Ohne sie gibt es keinen Fortschritt. Gerade deshalb ist Kultur manchmal eine Zumutung. Kunst muss nicht zwangsläufig gefallen.
Darf sie verletzten?
Die Kunstfreiheit, die das Grundgesetz in Artikel 5 garantiert, findet ihre Grenzen nur im Strafrecht. Jugendschutz, Diskriminierung, Antisemitismus, Rassismus, Pornografie – das sind Grenzen, die die Gesetze vorgeben. Verletzte Gefühle gehören nicht dazu, die muss man aushalten. Freiheit, hat Rosa Luxemburg mal gesagt, ist immer die Freiheit des Andersdenkenden. Das gilt für beide Richtungen.
Und was ist mit dem Schutz religiöser Gefühle, des Glaubens?
Im Strafrecht gibt es den Paragrafen 166, Blasphemie-Paragraf genannt. Dort geht es aber nicht um eine Beleidigung Gottes – was man über Gott sagt, fällt unter Religions- und Meinungsfreiheit. Vielmehr geht es um die Beschimpfung religiöser oder weltanschaulicher Bekenntnisse, und zwar so, dass sie „geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören“. Das ist schon eine ziemlich große Hürde in unserer säkularen Gesellschaft.
Andere Gesellschaften und andere Religionen sehen das anders.
Tatsächlich gibt es nur in 25 Prozent aller Länder Religionsfreiheit, und das trifft dort natürlich auch die Kunst. Und was andere Religionen betrifft: Denken Sie an die Mohammed-Karikaturen von Charlie Hebdo und die Satanischen Verse von Salman Rushdie. Für uns fiele beides unter Kunstfreiheit – andere verübten ein Massaker in der Redaktion von Charlie Hebdo und verhängten über Salman Rushdie die Todesstrafe.
Sind Christen großzügiger in dem, was sie akzeptieren?
Ganz offensichtlich. Jedenfalls hier in unserer freiheitlichen Gesellschaft.
Gibt es für Sie trotzdem Grenzen, wenn Kunst sich an Religion abarbeitet?
Ich würde Künstlerinnen und Künstler immer fragen, was sie antreibt. Steckt ein kluger Gedanke dahinter oder ist es Provokation um der Provokation willen? Hühner in Windeln durch den Paderborner Dom tanzen zu lassen, ist plump und leider eine vertane Chance. Über den Frosch, den Martin Kippenberger in den 1970ern ans Kreuz nagelte, sprechen wir noch heute.
Es fällt trotzdem unter Kunstfreiheit?
Natürlich. Was aber nicht heißt, dass wir Christen nicht protestieren dürften. Wir sind ja nicht verpflichtet, derartige Auftritte gutzuheißen. Im Gegenteil: Wir sollten unbedingt die Auseinandersetzung suchen – das wiederum müssen dann die Künstlerinnen und Künstler aushalten. Es sollte aber eben eine inhaltliche Auseinandersetzung sein und nicht der Ruf nach Verboten. Mit einer Ausnahme.
Welcher?
Wenn es um Kunst in sakralen Räumen geht. Kirchen können wunderbare Orte für Konzerte, Performances, Tanz, Theater sein. Aber der Eigentümer sollte sich schon genau ansehen, für was er die Kirche öffnet. Gerne für alles, das sich mit dem Glauben auseinandersetzt. Aber wenn der Zweck ist, zu verletzen, zu verhöhnen oder den Ort zu entweihen, dann hat das keinen Sinn.