Anstoss 24/2018

Sich bestrahlen lassen

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Der Urologe hatte Prostatakrebs festgestellt. Der Termin zur OP soll schnellstmöglich sein, mit anschließender Bestrahlung. Von einer zur nächsten Sekunde wird meinem Freund der Boden unter den Füßen weggezogen.


Alles ändert sich. Plötzlich stellt die Krankheit sich in den Mittelpunkt. Die Lage ist irgendwie unwirklich. „Zombimodus“, sagt er dazu. Der Anfang 50-Jährige muss sich notgedrungen mit seinem Körper, seinen Stimmungen und Gedanken beschäftigen. Er, der sich gern um andere kümmert, muss sich nun um sich kümmern, Gefühle zulassen, Ängste nicht verdrängen. Und diese Frage mal laut aussprechen,wie viel Zeit eigentlich noch bleibt.
Wir können offen reden, Gott sei Dank. Die Frage nach dem „Warum?“ führt ins Grübeln und zu Selbstverurteilungen. Die Frage nach dem „Wozu?“ könnte den Blick weiten. Zu was drängt mich die Krankheit? Gibt es einen Sinn? Ist diese Krankheit ein Warnschuss, das Leben zu ändern? Krankheit als Strafe Gottes zu betrachten lehnt die biblische Hiobsgeschichte ab. Auch Jesus widerlegt den Gedanken (vergleiche Johannesevangelium 9,1-3). Grenzerfahrung bis zum Tod sind Teil der verwundeten Welt. Täglich ist da die Herausforderung, Grenzen zu integrieren. Schwäche anzunehmen! Das gelingt mir je nach Tagesform mal so oder so. Mein Freund ist da weiter. „Allein bin ich am Ende meiner Möglichkeiten.“ Doch mit Gott, da tut er sich schwer. Die Scheu, gegen die eigene Erfahrung zu vertrauen, ist enorm. Wie funktioniert das, will er wissen. Huch, mir schoss alles Mögliche durch den Kopf. Darauf will ich keine vorgefertigte Antwort geben. „Was mir hilft“, druckse ich unbeholfen, „ist ein Bild von einem Lichtkegel, unter dem ich stehe. Ich stelle mir vor, von Gottes Liebe wie von der Sonne bestrahlt zu werden.“ Im zweiten Schritt fällt mir die Parallele zur Strahlentherapie bei Krebs auf. Mir gefällt diese Vorstellung, dass die Strahlkraft der Liebe Gottes heilend wirkt. Dass Kirchen zu Orten der Heilkraft werden, an denen Menschen sich einfach von der Gegenwart Gottes „bestrahlen lassen“. Bedrängnis, Krankheit oder Tod bleibt mir auch im Glauben nicht erspart. Aber es gibt die Einladung zur persönlichen Verbindung. Aus dieser Verbindung können sich in meiner Not neue Kraftquellen eröffnen, so wie es Psalm 41,4 bezeugt: „Seine Krankheit verwandelst du in Kraft.“

Lissy Eichert, Berlin