„Denkwerkstatt Singlepastoral“ in Heiligenstadt

Singles – die unbekannten Wesen in den Gemeinden

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In Deutschland leben immer mehr Singles – aber in der Seelsorge kommen sie praktisch nicht vor. Eine „Denkwerkstatt Singlepastoral“ möchte das ändern. Die Initiatoren richten einen konkreten Appell an die deutschen Bistümer.

Früher waren Familien die Hauptadressaten der Kirche. Doch angesichts der steigenden Zahl von Singles in den Gemeinden müssen diese stärker in den Fokus rücken.    Foto: imago images/Rolf Kremming

 

Menschen, die alleine leben – Singles – sind längst keine Seltenheit mehr. Seit Jahren wächst ihr Anteil in der Bevölkerung: Lag der Anteil der Singlehaushalte 1991 noch bei rund 34 Prozent, ist er aktuell auf rund 42 Prozent angewachsen, das sind über 17 Millionen Haushalte. Bis 2040, so die Prognose des Statistischen Bundesamtes, werden es über 45 Prozent sein. In Großstädten wie Berlin oder Hamburg sind die Einpersonenhaushalte schon längst in der Mehrheit.
Das stellt auch Pfarrgemeinden vor besondere Herausforderungen – kommen Singles in der üblichen Pastoral doch gar nicht oder allenfalls am Rande vor. Nach der Kinder- und Jugendpastoral geht es gleich mit der Familienseelsorge weiter, später folgt die Seniorenpastoral. Singles fallen häufig hinten runter.
 
Christliche Pionierarbeit in Heiligenstadt
Dies zu ändern, haben sich Personen aus ganz Deutschland vorgenommen, die sich seit längerer Zeit mit der Entwicklung einer „Singlepastoral“ beschäftigen. Vor rund zwei Jahren fanden sie sich zusammen, um bei einem Vernetzungstreffen zum Nachdenken und zum gegenseitigen Austausch über pastorale Angebote für Singles anzuregen. Dann kam Corona und erst jetzt konnten sie mit Unterstützung des Bonifatiuswerks zu einer „Denkwerkstatt Singlepastoral“ in das Marcel-Callo-Bildungshaus im thüringischen Heiligenstadt einladen. Dazu kamen 35 Personen aus ganz Deutschland, die vor Ort bereits Angebote für Singles geschaffen oder dies für die nahe Zukunft geplant haben.
Dabei wurde auf der Tagung schnell deutlich: Es geht nicht um Pastoral für, sondern mit Singles. Den „typischen“ Alleinstehenden gebe es nicht – einige suchen mehr oder weniger intensiv nach einem neuen Partner, manche leiden unter ihrer Lebenssituation, während andere wiederum bewusst alleine leben. Manche hatten noch nie eine eigene Familie, andere haben sie verloren. Ihnen allen gerecht zu werden, ist keine leichte Aufgabe. Eine, die es versucht hat, ist die evangelische Pfarrerin Astrid Eichler. Auch sie lebt allein und setzt sich seit Jahren dafür ein, dass Singles und ihre Bedürfnisse stärker von den Gemeinden wahrgenommen werden. 2006 schrieb sie das Buch „Es muss was Anderes geben“, das zum Verkaufsschlager wurde. Daraus entstand das bundesweite christliche Netzwerk „Solo & Co.“ (www.soloundco.net), das allein lebende Menschen zusammenbringen will. „Viele Singles leben nach dem AES-Syndrom“, sagt Eichler in ihrem Vortrag. „Arbeit, Essen, Schlafen.“ Besonders in speziellen Lebenssituationen wie an Wochenenden oder Feiertagen – insbesondere an Weihnachten oder Silvester – oder bei der Urlaubsgestaltung sowie in Krisenzeiten würden Singles ihr Alleinsein am häufigsten als belastend empfinden.
 
Gefühl der Stigmatisierung
Dem stimmt auch Tobias Künkler, Erziehungswissenschaftler und Soziologe, zu. Der Professor in Kassel hat für eine 2020 veröffentlichte Studie über 3000 sogenannte „hochreligiöse“, meist evangelische, Alleinstehende befragt, wie sie in ihren Gemeinden angenommen werden und welchen Einfluss dies auf ihre Lebenszufriedenheit hat. Das Ergebnis ist ernüchternd: Rund ein Drittel der Befragten fühlt sich in ihren Gemeinden als Single stigmatisiert. Mehr als die Hälfte wünscht sich mehr entsprechende Angebote, aber nur etwa sechs Prozent fänden solche Möglichkeiten vor Ort.
Auch in katholischen Pfarreien sieht es nicht besser aus – deshalb entstand die Idee zu dieser Denkwerkstatt. Michael Hänsch aus Lindlar (Nordrhein-Westfalen), Mitglied im Bonifatiusrat, ist einer der Initiatoren. „Irgendwie passierte in der Pastoral in den Gemeinden nichts bis gar nichts“, sagt Hänsch. Deshalb hat er über Kontakte die Initiative ergriffen, eine Singlepastoral in der Kirche voranzubringen. „Wir wollen Leute zusammenbringen, die das Thema interessiert oder die bereits Erfahrung damit haben“, beschreibt er seine Motivation.
Sein Mitstreiter Stefan Bosewitz aus Köln sieht das ganz ähnlich. „Der Single kommt in der Kirche nicht vor“, sagt der Ingenieur, der sich privat in einer Pfarrei im Kölner Stadtteil Ehrenfeld engagiert. Bis Ende der 1990er Jahre habe es im Erzbistum Köln eine Stelle für Partnervermittlung gegeben, danach sei diese nicht mehr besetzt worden. Über persönliche Kontakte ist er auf das Angebot gestoßen, dass der heutige MDR-Rundfunkbeauftragte der katholischen Kirche, Guido Erbrich, anbietet.
 
Maria Körner und Guido Erbrich stellten die Singlewochenenden des TAG DES HERRN vor. Der auf der Leinwand gezeigte „Single-Bieper“ ist bisher allerdings nur eine Idee.    Foto: Oliver Gierens

 

Erfolgsmodell: Singlewochenenden
Erbrich arbeitet schon lange gut mit dem TAG DES HERRN zusammen. Immer wieder haben Menschen dort Kontaktanzeigen aufgegeben, erzählt Maria Körner vom St. Benno Verlag. Die Inserenten hätten auch immer wieder nachgefragt, ob denn die Kirchenzeitung nicht darüber hinaus Veranstaltungen für Singles anbiete. Die gab es damals noch nicht – doch Körner und Erbrich entdeckten die Marktlücke. 2003 organisierten sie erstmals ein Singlewochenende für Menschen aus dem Verbreitungsgebiet der Zeitung. 2008 gab es einen ersten Singletag. Statt der erwarteten 20 standen unverhofft rund 100 Teilnehmer vor der Tür. Auch die Wochenendformate fanden guten Zuspruch. 2018, so berichtet Erbrich, haben die beiden beispielsweise eine Veranstaltung mit dem Titel „Ich sag mir selber Guten Morgen“ angeboten – ein musikalisches Wochenende mit geistlichen Elementen in Magdeburg. Ein anderes Singlewochenende stand unter dem Motto „Brücken bauen“. Die Teilnehmer waren aufgefordert, auf dem Fußboden kleine Holzbrücken zu bauen. Auch gemeinsame Spaziergänge gehörten fest zum Programm. „Da passiert so viel“, sagt Guido Erbrich. Obwohl die Wochenenden keine „Kuppelveranstaltungen“ waren: Mindestens eine neue Ehe ist bereits entstanden. „Ein Jahr später erhielt ich die Hochzeitsanzeige, ein weiteres Jahr später eine Geburtsanzeige“, erzählte Erbrich.
 
Schlusserklärung richtet sich an die Bistümer
Damit solche und andere Ideen künftig selbstverständlicher Bestandteil der Seelsorge werden, haben sich die Initiatoren der Denkwerkstatt mit einer kurzen Abschlusserklärung explizit an die Seelsorgeamtsleiter der deutschen Bistümer gewendet. Darin machen sie auf die wachsende Zahl an Singles in Deutschland aufmerksam und weisen auf das bestehende Defizit in den pastoralen Angeboten für diese Zielgruppe hin. „Deshalb“, so heißt es in der Erklärung, „sollten kirchliche Leitungs- und Arbeitsebenen Verantwortung übernehmen, dass eine Singlepastoral in der Arbeit der Diözesen und Seelsorgeeinheiten ihren notwendigen Platz gewinnt.“ Im kommenden oder übernächsten Jahr sollen dann in einer weiteren Denkwerkstatt eine erste Zwischenbilanz gezogen und der Austausch weiter intensiviert werden.
 
Von Oliver Gierens