Warum in den Gleichnissen Jesu nicht nur Gott durchschimmert, sondern sie zugleich auch Handlungsanregungen sind
So ist der Himmel
Foto: kna/Katharina Ebel
Was ist der Unterschied zwischen einer Person, die jemandem hilft, um dabei von anderen gesehen zu werden, und einer Person, die das Gleiche tut, weil es Gottes Wille ist? Die erste Person ist wie ein Regen auf die Erde, unter der ein felsiger Untergrund ist. Er wäscht die fruchtbare Erde ab und auf dem felsigen Grund darunter wird nichts mehr wachsen. Die zweite Person ist dagegen wie Regen in einem Garten. Selbst ein feiner Nieselregen wird dort Frucht hervorbringen.
Schon mal gehört oder gelesen? Vermutlich eher nicht, auch wenn das mit dem felsigen und dem fruchtbaren Boden an das Gleichnis vom Sämann erinnert. Oder auch an das Gleichnis vom richtigen Fasten, das lieber im Verborgenen geschehen soll als öffentlich und aus Prahlerei. In jedem Fall erinnert uns der Text an die biblischen Gleichnisse, auch wenn dieser ausnahmsweise aus dem Koran (Sure 2, Verse 264-265) kommt.
Gleichnisse zeigen eine Eigenschaft Gottes
Dass das aber auch ein religiöser Text ist, ist kein Zufall, denn solche Gleichnisse sollen einen eher abstrakten, wenig vorstellbaren Begriff veranschaulichen. Zum Beispiel, wenn religiöse oder philosophische Begriffe auf eine dafür wenig vorgebildete oder sensibilisierte Zuhörerschaft treffen. So wie im Koran. Oder eben in der Bibel, weshalb Gleichniserzählungen fast automatisch mit Jesus in Verbindung gebracht werden.
Wie soll man auch anders über göttliche Dinge sprechen als in Bildern? Bildersprache ist nicht konkret, sondern offen und mehrdeutig. Wo reine Beschreibungen von Gott an ihre Grenzen stoßen, können Bilder etwas über eine Eigenschaft Gottes aussagen. So kann im Alten Testament von Gott behauptet werden, dass er wie ein Felsen, eine Burg, ein Hirte, eine Frau, ein Bogenschütze, ein Adler, ein Panther, ein Löwe oder sogar wie eine Motte ist. Und alle diese Bilder sind dafür da, eine ganz bestimmte Seite des Gottesbildes zu veranschaulichen, etwa seine Beständigkeit oder seine Fürsorge.
Und wo ein einfaches Bild nicht mehr ausreicht, muss eine Erzählung her. So kommt es zu der häufigen Einleitung Jesu: „Mit dem Himmelreich verhält es sich so …“ Und dann folgt ein sogenanntes Gleichnis über etwas, was sich sonst nur schwer beschreiben lässt.
Über 40 solcher Gleichnisse sind von Jesus in den Evangelien nach Matthäus, Markus und Lukas überliefert. Oft sind sie sehr kurz. Das Himmelreich ist „wie ein Senfkorn, das ein Mann nahm und in seinen Garten säte. Es wuchs und wurde zu einem Baum und die Vögel des Himmels nisteten in seinen Zweigen“ (Lukas 13,19). Kürzer geht es kaum und doch ist es eine Erzählung, die eine Menge bietet. Sie ist einfach zu merken und weiterzuerzählen. Sie beschreibt ein Alltagsphänomen, das alle kannten, denn Senfpflanzen gab es sehr häufig zu dieser Zeit in Palästina. Sie bietet wenig Ausschmückung und kommt genau auf den Punkt.
Nicht immer wird man aus dem Gleichnis schlau
Deswegen waren solche kurzen Gleichniserzählungen bei Rabbinern und Schriftgelehrten sehr beliebt – zu denen ja auch Jesus gehörte. Aber Moment: Was genau ist denn der wichtige Punkt beim Gleichnis vom Senfkorn? Eindeutig ist das oft nicht zu sagen, denn der Textzusammenhang fehlt, also die Situation, in die hinein diese Geschichte damals gesprochen wurde. Die Evangelisten konstruieren diese zwar, aber passen die von Jesus überlieferten Gleichnisse in ihren eigenen Erzählfluss ein. Beim Gleichnis vom Senfkorn ließe es sich zum Beispiel vorstellen, dass Jesu Anhänger ihn einmal gefragt haben, wo denn sein Himmelreich, seine Gottesherrschaft bleibe, da doch rundherum nur Gegner seien, die Römer alles regierten und sich kaum jemand um den Willen Gottes zu scheren scheine. Jesus aber entgegnete im Gleichnis, dass das Reich Gottes immer schon da sei, und – selbst, wenn es winzig klein sei – immer auch schon bereit, sich auszubreiten und alle Menschen zu erreichen.
Überhaupt ist die Suche nach dem Himmelreich oder der Gottesherrschaft – also der Frage, wo und wie der Wille Gottes in dieser Welt getan werden und was dabei entstehen kann – einer der wesentlichen Inhalte der Gleichnisse, von denen einige in diesen Wochen verkündet werden. Und nicht immer ist man nach dem Hören dieser Gleichnisse schlauer und weiß besser, wie es sich verhält oder was man tun soll.
Darüber stritten sich schon die beiden Denker des 18. Jahrhunderts, Gotthold Ephraim Lessing, der das Gleichnis eher als Enthüllung des Göttlichen ansah, und Johann Gottfried Herder, der meinte, dass eine Gleichnisrede mehr „zur Einkleidung und Verhüllung einer Lehre“ diene als zu ihrer Enthüllung. Es gibt daher noch einen wesentlichen Grund, warum Jesus in Gleichnissen lehrte. Es ging ihm offensichtlich nicht nur darum, dass seine Zuhörer etwas vom Göttlichen begriffen, sondern dass sie von den Personen der Gleichnisse auch ergriffen wurden, dass diese ihr Herz bewegten.
Dass die Gleichnisse vom verlorenen Sohn und vom barmherzigen Samariter auch heute noch sofort verständlich sind, hat genau damit zu tun: dass man eben nicht nur Verstand aufbringen muss, um sie zu verstehen, sondern dass die (Un-)Barmherzigkeit der Figuren unmittelbar aufscheint und das Herz bewegt, im eigenen Leben selbst so zu handeln.
Jesu Gleichnisse dienen also nicht nur der Erklärung von dem schwer beschreibbaren Göttlichen, sie dienen auch der Herzensbildung, dem Anstoß, das eigene Leben zu ändern, und wählen da nebenbei oft genug die Armen, Ausgestoßenen und Verachteten jener Zeit zu ihren Helden.