Religiosität der Rumänen war Antrieb auf dem Weg in die Freiheit

In Soutane gegen die Securitate

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Die tiefe Religiosität der Rumänen war vor 30 Jahren ein Antrieb auf dem Weg in die Freiheit. Dennoch erlebte Rumänien von allen Ostblockstaaten den wohl blutigsten Umsturz. Bis heute sind nicht alle Zusammenhänge geklärt.

30 Jahre nach der Revolution leben in Rumänien viele Menschen weiter in bitterer Armut.    Fotos: Benedikt Vallendar

 

Die Rumänen sind ein tief religiöses Volk; vielleicht sogar das religiöseste in ganz Europa, noch vor den Polen, Franzosen und katholisch geprägten Iren. Rund 95 Prozent aller Einwohner Rumäniens bekennen sich zu einer christlichen Kirche. Was auffällt: Rumänien ist geradezu übersät mit Kirchen, Klöstern und Pilgerstätten.
Die tiefe Verwurzelung im christlichen Glauben bildete in den 1980er Jahren den Nährboden, um dem verhassten Kommunismus den Garaus zu machen. „Es war nicht zuletzt der zivile Ungehorsam vieler Christen und deren gute Organisiertheit in Pfarreien und familiären Zirkeln, die den kommunistischen Apparat erodieren und am Ende ins Leere laufen ließen“, sagt Matthias Wanitschke, Theologe und Historiker aus Erfurt.

Der Aufstand begann in einer Kirche
Doch diesen Umstand ignorierten die damals Mächtigen beharrlich: Das Diktatorenehepaar Nicolae Ceauşescu und seine Ehefrau Elena hätte wohl noch einige Jahre leben können, wären sie nicht fünf Tage vor ihrer Hinrichtung am 25. Dezember 1989 von einem Staatsbesuch im Iran nach Rumänien zurückgekehrt. Dort brodelte es bereits, nachdem Sicherheitskräfte in Timişoara bei einer Kundgebung von Regimegegnern in die Menge geschossen hatten, mit am Ende mehreren Dutzend Toten.
Der Aufstand begann in einer Kirche. Auslöser war der Widerstand der reformierten ungarischen Gemeinde gegen die Zwangsversetzung ihres Pfarrers László Tőkés gewesen, gegen die seit dem 14. Dezember 1989 Mahnwachen liefen. Der Aufstand von Timişoara war der Funke, der zum Flächenbrand führte und den Rumänen bis zum Herbst 1990 die lang ersehnte Freiheit bescherte.
Und doch gibt es Zweifel. „Es ist eine relative Freiheit“, sagt Phi-lipp Rasche (39), der seit mehr als zehn Jahren in Rumänien lebt und sich mit seiner Ehefrau in der Nähe von Sibiu um bedürftige Roma-Kinder kümmert. „Ich würde sogar sagen, dass die Revolution vielen Menschen überhaupt nichts gebracht hat, da hier alles so ist, wie vorher“, sagt der gebürtige Sachsen-Anhaltiner und vierfache Vater. Als Streetworker sieht Rasche täglich das Elend in den Roma-Siedlungen, wo Menschen ohne Strom und Wasser in verdreckten Hütten vor sich hinvegetieren. Das Problem: Damals wie heute sind die rumänischen Roma nur Zuschauer bei allem, was in ihrem Land geschieht.
Doch 1990, nach dem Sturz der Diktatur, war die Euphorie groß. In blutigen Kämpfen mit mehr als tausend Toten hatten Bürger die Diktatur in ihrem Land beendet. In den Jahren der Unterdrückung war es den Funktionären nicht gelungen, den Rumänen ihren christlichen Glauben zu rauben.

Das Christentum war in Rumänien der Nährboden für den Sturz des Kommunismus.

Bis heute debattieren Experten darüber, ob die rumänische Revolution von 1989/90 ein Volksaufstand oder eine vom Geheimdienst angezettelte Revolte gegen die Machthaber gewesen ist. „Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte“, sagte der 2014 verstorbene Historiker Hagen Schulze schon zu Beginn der 90er Jahre. Unbestritten war die Unzufriedenheit im Land am Vorabend der Revolution groß, und das nicht nur in der normalen Bevölkerung, sondern auch im Sicherheitsapparat, dessen mittlere und untere Chargen die Mangelsituation auch immer mehr zu spüren bekommen hatten. Von fehlendem Heizmaterial über Stromsperren bis hin zu leeren Ladentheken, gleichwohl die staatlich gelenkten Medien Rumäniens tagtäglich das Gegenteil behaupteten, und Ceauşescu  noch Anfang 1989 den „Import von 2000 Rindern“ angekündigt hatte.

Die Kirchen genießen große Glaubwürdigkeit
Damals wie heute war es in Rumänien vor allem die evangelische Kirche, die dank ihrer Auslandsverbindungen so manche Not lindern konnte. „Teilweise bauten die Leute auf Kirchengelände ihr eigenes Gemüse an, um über die Runden zu kommen“, erinnert sich die Exilrumänin Flavia Bota, die heute als Marketingleiterin in Köln arbeitet. Die Kirche, gleich welcher Konfession, war und ist in Rumänien bis heute der glaubwürdigste Anker, an den sich die Menschen klammern. Auch wochentags gehen junge Leute in die Kirche, zum Gebet, Innehalten oder einfach nur, um eine Kerze anzuzünden.
Bezeichnendes erlebte auch der Sozialarbeiter Gerhard Schönborn, der in seinem Café Neustart auf der Kurfürstenstraße in Berlin seit Jahren rumänische Prostituierte betreut. Immer wieder komme es vor, dass junge Rumäninnen darum bitten, mit ihnen zu beten, sagt Schönborn. Das sei nach seiner Einschätzung kein Widerspruch zu ihrem Tun, sondern resultiere aus einem tief sitzenden Bedürfnis nach Religiosität. Ein Bedürfnis, das zeige, dass Glaube und amtskirchliche Moralvorstellungen eben oft doch zwei Paar Schuhe seien; auch wenn vor allem die katholische Kirche gern das Gegenteil behaupte. Schließlich habe sich auch Jesus Prostituierten angenommen und ihnen seine Wertschätzung gezeigt, sagt Schönborn.
In Rumänien ging das Töten nach dem Sturz der Ceauşescus Ende 1989 unbeirrt weiter. Die rumänische Revolution war die mit Abstand blutigste in ganz Osteuropa. Viele von denen, die den Mut aufgebracht hatten, ihr Land von der Tyrannei zu befreien, starben später im Kugelhagel, ohne dass die Fronten immer eindeutig waren.
Doch warum verlief die Wende nicht so friedlich und fast geordnet ab wie in der DDR, wo Erich und Margot Honecker ein ähnliches Schicksal, wie den Ceauşescus erspart geblieben ist? „Wohl auch, weil die Not hier 1989 nicht so groß war wie in Rumänien“, sagt Historiker Wanitschke. Selbst 30 Jahre danach ist weiter unklar, was wirklich in Rumänien geschehen ist. Eine der deutschen Stasiunterlagenbehörde vergleichbare Einrichtung gibt es dort erst seit 1999. Das Land, das seit 2007 Mitglied der Europäischen Union ist, hat die Verantwortlichen noch immer nicht identifiziert und noch weniger zur Rechenschaft gezogen.

Rumänien war schuldenfrei
Immerhin: Im Gegensatz zu anderen Ostblockstaaten war Rumänien am Abend der Revolution schuldenfrei, was die Bevölkerung jedoch mit hohen Entbehrungen bezahlte. Rund 18 Milliarden US-Dollar hatte Rumänien noch im April 1989 an seine Gläubiger überwiesen. Bis das Fass wenige Tage vor Heilig Abend 1989 überlief. Nicht wenige Historiker vertreten daher die These, dass sich hinter der vermeintlichen Revolutionsfront in Wirklichkeit Militärs und Geheimdienstleute verbargen, die die Ceauşescus ermorden ließen, um sich selbst an die Macht zu putschen; und bis heute im Hintergrund die Geschicke des als korrupt geltenden Landes bestimmen.

Von Benedikt Vallendar