Fußball.Macht.Gesellschaft

Stadien als Grabsteine

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Mit einem Requiem für die Menschen, die beim Bau der Stadien für die Fußballweltmeisterschaft gestorben sind, hat die Reihe „Fußball.Macht.Gesellschaft“ begonnen. Veranstalter sind die Katholische Kirche in der Region Hannover, die Per-Mertesacker-Stiftung und das Fußballmuseum Springe.


Steine auf dem Weg zum Altar: Sie
stehen für die Arbeiter, die beim
Bau der WM-Stadien gestorben sind.

Steine liegen im Weg zum Altar in der Basilika St. Clemens, verstreut, wie zertrümmert. Die Orgel ist furios, im wahrsten Sinne des Wortes: „Dies irae“ erklingt, der „Tag des Zorns“, der Hymnus über das Jüngste Gericht: „Tag der Zähren, Tag der Wehen / da vom Grabe wird erstehen / zum Gericht der Mensch voll Sünden / lass ihn, Gott, Erbarmen finden.“

Es ist ein „Eröffnungsspiel“ der besonderen Art für eine Fußball-Weltmeisterschaft – ein Requiem, eine Totenmesse: „Wir beten heute für Menschen, die wir nicht kennen, die wir nie kennenlernen werden“, sagt Propst Christian Wirz. Denn das Requiem wird gefeiert für die Arbeiterinnen und Arbeiter, die auf den Baustellen für die Stadien der WM in Katar ums Leben gekommen sind. Nicht nur ihre Namen sind unbekannt, auch die genaue Zahl der Opfer. Die ungenauen Statistiken der katarischen Behörden lassen aber eine Zahl zwischen mindestens 6500 und 15  000 Toten zu.

Das Requiem ist der Auftakt einer Veranstaltungsreihe, mit der das Fußballmuseum Springe, die Per-Mertesacker-Stiftung und die Katholische Kirche in der Region Hannover Alternativen zum FIFA-Spektakel bieten wollen. Leitgedanke: „Nicht Katar – eine bessere WM ist möglich.“ Nach dem Auftakt setzt die Reihe einen besonderen Schwerpunkt auf die Finalrunden zwischen dem 3. und 18. Dezember.

Für Propst Wirz ist mit den Toten von Katar die Leichtigkeit des Fußballspiels, die Unbeschwertheit einer WM verloren gegangen: „Den Ausrichtern war es so ernst, dass sie bereit waren, über Leichen zu gehen.“ Nun werde versucht, die Toten vergessen zu lassen, damit fröhliche Spiele gefeiert werden können: „Die Mauern der Stadien sollten das Unrecht verdecken, aber wie große Grabsteine werden sie erst recht daran erinnern.“

Die Steine im Mittelgang der Basilika sollen genau daran erinnern – und „an jene, die sie gebaut haben und dabei zu Tode gekommen sind.“ Es ist nicht verboten, Fußball zu schauen, betont Wirz: „Aber es ist verboten, die Toten zu vergessen.“ Am Schluss des Requiems nehmen die Mitfeiernden einen dieser Steine mit nach Hause. Zum Gedenken.
 


Protestieren gemeinsam: Thomas Harling, Marcus Olm
und Dirk Schröder vor der Clemenskirche.

„Wir wissen, dass Fußball für viele Menschen in der Region eine große Bedeutung hat“, sagt Thomas Harling, Kulturbeauftragter der Katholischen Kirche in der Region Hannover: „Gleichzeitig hat der Fußball eine nicht zu unterschätzende gesellschaftliche Verantwortung, der er sich nicht entziehen kann.“ Die anhaltende Kritik an der Vergabe der Weltmeisterschaft durch die FIFA an Katar, an den Arbeitsbedingungen beim Bau der Stadien, an den ökologischen Folgewirkungen und nicht zuletzt an der Menschenrechtssituation im arabischen Emirat wird in der Veranstaltungsreihe aufgegriffen: „Mit Begeisterung für das Spiel, nachdenklich und mitunter humorvoll“, betont Harling. Denn es gehe darum, einen genauen Blick darauf zu werfen, wie Fußball, Macht und Gesellschaft zusammenhängen.

„Fußball ist unsere Leidenschaft, bei uns vergeht kein Tag ohne Fußball“, ergänzt Dirk Schröder, 1. Vorsitzender des Fußballmuseums Springe: „Für uns gibt es daher nichts Schöneres und Aufregenderes als ein Fußballgroßevent wie die WM.“ Doch gerade deshalb könne diese WM nicht unterstützt werden, die in einem Land ohne Fußballtradition und ohne Fußballkultur stattfindet. „Klarer als jemals zuvor ist es bei dieser WM geworden, dass es der FIFA nur noch um Geld, Politik und Sichtbarkeit geht.“

Auch für Marcus Olm, Projektleiter Sport der Per-Mertes­acker-Stiftung und Stiftungsrat, zeigt die Vergabe nach Katar, wie weit sich der kommerzielle Sport von den Ideen und Tugenden des eigentlichen Spiels entfernt hat. Doch gerade der Fußball als eine wichtige Möglichkeit zur sozialen Integration von Kindern und Jugendlichen muss sich mit Werten und gesellschaftlichen Idealen auseinandersetzen: „Dafür stehen wir als Stiftung und daher sind gerade die Situation der Arbeiter und der Umgang mit Minderheiten vor Ort nicht mit unseren Wertvorstellungen in Einklang zu bringen.“ Die Stiftung möchte Kindern und Jugendlichen aufzeigen, dass es universelle Werte gibt, die nicht verhandelbar sind.

Rüdiger Wala

 

Alternativprogramm zu den Top-Spielen der Weltmeisterschaft

Zum Achtelfinale am Samstag, 3. Dezember, kann selbst Fußball gespielt werden – bei einem Tipp-Kick-Turnier mit literarischen Einwürfen, dem „Schönen Spiel“. Das Turnier beginnt um 17 Uhr im Vereinsheim der Spielgemeinschaft Bernwardswiese (Brückstraße 26, 30519 Hannover). Anmeldungen bis 25. November unter E-Mail: anmeldung@fussball-macht-gesellschaft.de. Um 19 Uhr wird das Finale ausgetragen. Dabei wird Professor Stefan Krankenhagen von der Universität Hildesheim aus seinem Buch „Die Poesie des Fußballs“ lesen. Musikalisch wird die Veranstaltung von Leo Harling und Karl Kell mit den Songs der deutschen Fußballnationalmannschaft begleitet.

„Abseitsfalle“ ist die Alternative zum Viertelfinale am Donnerstag, 8. Dezember, überschrieben. Dabei werden unter anderem Carsten Linke (ehemals Profi und jetzt Aufsichtsrat bei Hannover 96), Tabea Giesecke (Gesellschaft bedrohte Völker) und Cornelia Johnsdorf (Kirchlicher Entwicklungsdienst) über die WM in Katar, die Menschenrechte und den Fußball des Geldes diskutieren. Die Veranstaltung wird von Dirk Tietenberg (HAZ) moderiert. Sie beginnt um 19 Uhr im Vereinsheim von Eintracht Hannover (Hoppen­stedtstraße 8, 30173 Hannover).

Zum Halbfinale am Donnerstag, 15. Dezember, hat „Der Platzwart“ das Wort. Bruno Brauer und Uwe Janssen werden als Platzwarte in Wort und Gesang die Fußballspiele in der Wüste ankreiden. Beginn ist um 19 Uhr im Forum St. Joseph (Isernhagener Straße 64, 30163 Hannover) Tickets unter www.fussball-macht-gesellschaft.de

„Besser als Messi“: Die Alternative zum Finale verbindet am Samstag, 17. Dezember, den Fußball mit der Königin der Instrumente, der Orgel. Dabei wird das DFB-Pokalfinale von 1992 zwischen Hannover 96 und Borussia Mönchengladbach als Stummfilm gezeigt und von Stephan Graf von Bothmer live an der Orgel begleitet. Beginn ist um 19 Uhr in der Kirche St. Augustinus (Göttinger Chaussee 145, 30459 Hannover).

Weitere Informationen: www.fussball-macht-gesellschaft.de