Start für die Aufarbeitung
Die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen und ihren Hintergründen wird für das Erzbistum Hamburg voraussichtlich im Sommer beginnen. Das Besondere: Die Bistümer Osnabrück, Hildesheim und Hamburg arbeiten dabei zusammen.
In den vergangenen Monaten haben mehrere deutsche Bistümer Studien über sexuellen Missbrauch vorgelegt. Das Kölner Gutachten, das mit einjähriger Verspätung am 18. März vorgestellt wurde, hat am meisten Aufsehen erregt – es folgte das Rücktrittsgesuch von Erzbischof Stefan Heße. Weniger Wirbel machten ähnliche Studien des Bistums Aachen und des Erzbistums Berlin.
Im Norden befindet sich der Prozess der Aufarbeitung in der Vorbereitungsphase. In wenigen Wochen soll es losgehen. Die Besonderheit: Bei der Aufarbeitung wollen die Bistümer der Metropolie Hamburg, also Hamburg, Osnabrück und Hildesheim zusammenarbeiten. „Das ist sinnvoll, weil es sowohl mit Hildesheim als auch mit Osnabrück Berührungspunkte gibt“, sagt Generalvikar Ansgar Thim.
Bis zur Gründung des Erzbistums Hamburg 1995 waren die Priester aus Hamburg und Schleswig-Holstein Priester des Bistums Osnabrück, zuständig war der Osnabrücker Bischof und das Osnabrücker Personalreferat. Desgleichen gehörten die südelbischen Teile Hamburgs zum Bistum Hildesheim. Die katholische Kirche in Mecklenburg war bis 1995 de facto selbstständig. Eine Studie über Mecklenburger Missbrauchsfälle im Zeitraum von 1945 bis 1989 ist bereits durch ein Forschungskonsortium der Universität Ulm in Arbeit.
Der erste gemeinsame Schritt der Aufarbeitung in den Diözesen Hamburg, Hildesheim und Osnabrück wird die Bildung einer „Aufarbeitungskommission“ sein. Sie setzt sich zusammen aus drei Vertretern der Kirche – jeweils aus den drei Bistümern –, aus drei bis fünf Vertretern der Landesregierungen und aus drei Vertretern des Betroffenenrates.
Betroffene sollen beteiligt werden
„Wir sind jetzt dabei, diesen Betroffenenrat zu bilden“, sagt Generalvikar Thim. „Mein Wunsch ist, dass sich die Kommission im Sommer zusammensetzt, sodass sie im Herbst mit der Arbeit beginnen kann.“ Was unmittelbar bevorsteht: Ein Aufruf, auf den sich Betroffene melden können, die in diesem Rat mitarbeiten wollen. Dass Betroffene beteiligt werden müssen, ist eine Vorgabe der Deutschen Bischofskonferenz. Sie hat in einer Erklärung im April 2020 Standards für die zukünftige Missbrauchs-Aufarbeitung der 27 deutschen Bistümer festgelegt.
In allen Bistümern sollen Kommissionen gebildet werden, in denen Vertreter der Kirche, Betroffene, Experten aus Wissenschaft, Justiz und öffentlicher Verwaltung zusammenarbeiten. Ihre Aufgabe ist es, die Zahl der Missbrauchsfälle im jeweiligen Bistum zu erfassen. Ferner sollen sie untersuchen, wie die kirchlichen Verantwortlichen mit den Fällen, den Tätern und den Betroffenen umgegangen sind. Und sie sollen „Strukturen identifizieren, die sexuellen Missbrauch ermöglicht oder erleichtert oder dessen Aufdeckung erschwert haben.“ Nach fünf Jahren muss die Kommission einen vorläufigen Abschlussbericht vorlegen.
„Unsere Kommission“, sagt Generalvikar Thim, „wird nicht selbst die Aufarbeitung leisten, sondern einen Rahmen dafür festlegen.“ Danach werden die drei Bistümer unabhängige Institutionen beauftragen, die die Aufklärungsarbeit machen und dazu Zugang zu allen Akten bekommen. „Das könnte eine Universität sein oder ein Anwaltsbüro“, so Thim. „Ich finde es bemerkenswert, dass die Kirche hier zum ersten Mal zusagt, dass sie unabhängig von sich selbst aufarbeiten lässt. Die Mehrzahl der Kommissionsmitglieder wird nicht von der Kirche gestellt.“
In den Querelen um die Kölner Missbrauchsstudie wurde lange diskutiert, ob die Namen der Verantwortlichen veröffentlicht werden. Wie wird es im Erzbistum Hamburg sein? Ansgar Thim: „Das legt die Kommission fest. Aber ich gehe davon aus, dass wir auch Namen nennen. Ich spreche mich deutlich dafür aus, offen und transparent zu arbeiten.“
Als im Jahr 2010 die Dimension des sexuellen Missbrauchs in der Kirche deutlich wurde und viele Betroffene sich meldeten, war der heutige Generalvikar der Missbrauchsbeauftragte und Personalreferent des Erzbistums und kennt daher viele Missbrauchsfälle und deren Hintergründe. „Wichtig ist, dass wir schnell und gründlich aufarbeiten“, sagt er. „Und ich bin entschieden für eine umfassende Aufarbeitung. Sie muss historische, systemische, psychologische und rechtliche Aspekte berücksichtigen. Warum kam es überhaupt zu solchen Entwicklungen? Der enge juristische Blick, der nur Pflichtverletzungen betrachtet, reicht für mich nicht.“
Text: Andreas Hüser