Dreikönigspreis des Berliner Diözesanrats der Katholiken
Stein des Anstoßes – wie Jesus

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Der Dreikönigspreis des Diözesanrats geht in diesem Jahr an das Asylprojekt der Pfarrei Heilige Drei Könige – im Bild die Altarraumgestaltung in der Pfarrkirche St. Christophorus. Foto: Dorothee Wanzek |
Karim, 21 Jahre alt, lächelt etwas verlegen in die Kamera und sagt: „Ich wohne in der Kirche in der Nansenstraße bei Lissy und Kalle, und ich habe eine nette Familie in der Kirche gefunden.“ Mit Kalle ist Pallottinerpater Karl Hermann Lenz gemeint, langjähriger Priester in der Gemeinde St. Christophorus und jetzt in der Pfarrei Heilige Drei Könige; Lissy ist die Pastoralreferentin der Pfarrei, Lissy Eichert. Auch sie gehört der Pallottinischen Gemeinschaft an.
Karim ist mit 14 aus seinem Heimatland Afghanistan geflüchtet, landete nach anderthalb Jahren Flucht mit all ihren Schrecken zunächst in Finnland. Als unbegleiteter Jugendlicher kam er dort in ein Kinderheim. Als er 18 war, wollten die finnischen Behörden ihn nach Afghanistan zurückschicken. Karim schlug sich nach Deutschland durch und fand Asyl in den Räumen von St. Christophorus am Reuterplatz. Hier ist er geschützt.
Lissy Eichert vom „Forum Asyl“ skizziert die Ursprünge des Kirchenasyls: „Wenn jemand verfolgt war und sich an einen heiligen Ort retten konnte, hielt das erst einmal die Verfolger ab. Und so konnte geklärt werden, worum es geht und was zu tun ist. In dieser Tradition gilt eine Kirche als heiliger Raum, als Schutzort für Geflüchtete – bis heute.“
Kirchenasyl ist jedoch kein Ersatz für das staatliche Asylverfahren, denn die Kirche kann weder einen Aufenthaltstitel verleihen noch jemandem zum Asyl in Deutschland verhelfen. Vielmehr gehe es darum, eine bereits getroffene Entscheidung über eine Abschiebung nochmal zu überdenken. Dafür werde mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) verhandelt, „um zu klären, welche humanitären Gründe einer Abschiebungsentscheidung entgegenstehen könnten“, so Michael Haas-Busch vom „Forum Asyl“.
In vielen Fällen ist nicht die Abschiebung in das Heimatland gemeint, sondern zunächst in das europäische Land, in dem die geflüchtete Person zuerst einen Asylantrag gestellt hat. Teil des so genannten Dublin-Verfahrens ist es, die Person in dieses Erst- eintrittsland zurückzuführen. Humanitäre Gründe, die gegen eine Rückführung sprechen, sind beispielsweise Obdachlosigkeit, Perspektivlosigkeit, Armut, wenn in dem Land Zwangsprostitution, Menschenhandel oder in den Unterkünften für Geflüchtete menschenunwürdige Bedingungen herrschen. Ist die Abschiebung angeordnet, beginnt eine sechsmonatige Frist, in der die Person in dieses Ersteintrittsland zurückgeführt werden muss. Verstreicht diese Frist, wird die Bundesrepublik Deutschland zuständig. Um die drohende Abschiebung zu verhindern, wird nun vom „Forum Asyl“ gemeinsam mit dem Katholischen Büro Berlin-Brandenburg ein „Härtefalldossier“ erstellt, in dem Gründe für den humanitären Einzelfall dargelegt sind.
Eine Anerkennung dieser Gründe durch das BAMF ist schwierig, weiß Lissy Eichert vom „Forum Asyl“: „Die aktuelle politische Situation sieht so aus, dass die allermeisten Härtefalldossiers abgelehnt werden und deswegen die Kirche entscheiden muss: Entlassen wir die Person jetzt aus dem Kirchenasyl oder behalten wir sie solange bei uns, bis die Rücküberstellungsfrist abgelaufen ist. Das heißt: Die Kirche muss jetzt tapfer sein und sagen: Wir machen’s trotzdem.“
Wird das Kirchenasyl nach den sechs Monaten nicht beendet, verlängert es sich um weitere zwölf Monate. Im Höchstfall verbringt ein Schutzsuchender also bis zu 18 Monaten im Kirchenasyl. „18 Monate lang sollte Karim sich nach Möglichkeit nur auf dem Gelände von St. Christophorus aufhalten, also nicht alleine zum Arzt gehen oder zum Einkaufen oder mal joggen – er darf nichts, nicht mal hier sein. Das ist Lockdown pur, ein Skandal, gegen den die Kirchenasylbewegung in ganz Deutschland protestiert.“ Karim hat die anderthalb Jahre im Pfarrhaus, „bei Kalle und Lissy“ und seiner „Familie“ durchgestanden. Es gab Krisen, in denen er fast verzweifelt ist. Die Mitglieder vom „Forum Asyl“ hatte dann alle Hände voll zu tun.
Wichtig sei es, in den Monaten der Ausgangssperre Deutsch zu lernen, sagt Lissy Eichert. „Damit, wer im Kirchenasyl ist, nicht das Gefühl hat, die Zeit bleibe stehen, sondern merkt, ich kann etwas lernen. Gleichzeitig ist Deutschlernen natürlich schwierig, wenn jemand keine gesicherte Perspektive hat, in Deutschland bleiben zu dürfen. Da steht immer die Angst vor Abschiebung davor. Und alle Beteiligten brauchen enorm viel Geduld.“
Ebenso wichtig ist die psychotherapeutische Begleitung, „um die Fluchtgeschichte professionell zu bearbeiten, zu sehen, was Karim den ganzen Tag macht, wie er sich fühlt in seinem zwar geschützten aber stark eingegrenzten Raum.“ Gemeinsam mit ihm haben die Mitglieder vom „Forum Asyl“ überlegt, was eine sinnvolle Beschäftigung wäre und was er tun könnte, um seine beruflichen Chancen zu erhöhen.
Viele Schutzsuchende fragen nach Kirchenasyl. Deshalb wünschen sich die Mitglieder vom „Forum Asyl“, dass sich noch mehr Gemeinden dazu bereit erklären. Oder mehrere Gemeinden sich zusammentun, um eine Person oder eine Familie im Kirchenasyl zu unterstützen. „Eine Gemeinde muss sich nicht alleine um alles kümmern“, betont Michael Haas-Busch, „und sie steht auch nicht alleine da. Im Erzbistum Berlin wurde ein Flüchtlingsfonds eingerichtet; die Kooperation mit Erzbistum, Caritasverband und Katholischem Büro funktioniert gut.“
Erzbischof Heiner Koch unterstützt das Engagement von „Forum Asyl“ sowie aller Gemeinden, die ihre Räume für das Kirchenasyl öffnen: „Als Kirche haben wir den Auftrag, für den Schutz von Verfolgten und Bedrängten zu sorgen. In besonderer Weise gilt dies für Personen, die von Menschenrechtsverletzungen bedroht sind oder verfolgt werden. Es ist ein Zeugnis unseres Glaubens, an der Seite derer zu stehen, die keine Stimme haben.“ „Sehr stolz“ sei er auf das Engagement, mit dem viele Gemeinden im Erzbistum sowie Einzelne Geflüchtete unterstützen. „Ich lade alle unsere Pfarreien ein zu prüfen, ob auch sie sich durch Gewährung von Kirchenasyl oder durch andere Unterstützung Geflüchteter für eine Umsetzung des Evangeliums einsetzen können.“
Kirchenasyl ist und bleibt – ganz in der Nachfolge von Jesus – ein Stein des Anstoßes, bestätigt Lissy Eichert: „Doch selbst Hardliner, die skeptisch sind, ob wir hier Recht brechen, sagen uns: Grundsätzlich sind wir ja nicht für Kirchenasyl, aber für diesen konkreten Fall müssen wir mal eine Ausnahme machen. Das ist doch ein Gewinn: zu sehen, wir haben ein gute Rechtsordnung, und trotzdem sind Recht und Gerechtigkeit nicht immer das Gleiche. Es gibt Situationen, da fallen Menschen durchs Raster.“ Am Schluss des Films von Jana Gieth erzählt Karim, der in Finnland auf der Straße leben musste, wie er etwas zurückgibt von der Fürsorge, die er erlebt hat: „Ich teile das Essen für Obdachlose aus, am Mittwoch in der Kirche St. Richard, und am Sonntag wir fahren zum Bahnhof Zoo und teilen das Essen für Obdachlose aus. Ich mag immer Leuten helfen und fühle mich sehr gut, ja.“
Unter www.erzbistumberlin.de/fluechtlinge können Sie den Film von pallotti media® anschauen.