Anstoß 45/22
Teilen reicht nicht
Teilen ist gut. Auf diese kurze Formel könnte man die Botschaft des Martinsfestes eindampfen.
Überall in unserem Land war in den vergangenen Tagen der heilige Martin unterwegs. Er kommt mit seinem Pferd, der Bettler tritt an ihn heran und Martin teilt, was er hat. Er gibt ihm die Hälfte seines Mantels, damit er nicht erfrieren muss.
Mit Sicherheit gehört Martin von Tours zu den bekanntesten und beliebtesten Heiligen, die wir kennen. Selbst Muslime finden es gut, sein Beispiel als Vorbild an die Kinder weiterzugeben. Als vor Jahren in Hamburg gefordert wurde, den Martinsumzug in Laternenumzug umzubenennen, waren es Muslime, die darauf verständnislos reagiert haben.
Teilen ist gut. Das geben wir den Kindern gern mit auf den Weg. Zwei Gedanken beschäftigen mich dabei. Martin hat nicht abgegeben, was er selbst nicht mehr gebraucht hätte. Er hat geteilt, was zu seiner Ausrüstung gehört hat. Was würden wir machen, wenn es unsere Kinder sind, die plötzlich ernst machen? Wenn sie ihre guten Sachen an jemanden verschenkten, der sie nötiger braucht? Teilen ist gut, aber so?
Das bringt mich zu einem nächsten Gedanken. Es wird überliefert, dass der spätere Bischof einen einfachen Schemel dem prunkvollen Bischofsstuhl vorgezogen hat. Vielleicht ist das die andere Seite der Medaille, der zweite Teil seiner Botschaft: Teilen ist gut und weniger brauchen ist noch besser. Was nützt es, Hörnchen zu teilen, wenn es davon so viele gibt, dass ich am Ende mit drei halben Hörnchen dastehe.
Mir gehen manche Ansprüche durch den Kopf, die gerade in der Krise erhoben werden. Ich denke an die horrenden Forderungen nach mehr Lohn, die am besten die Inflation komplett ausgleichen sollen, zumindest für Teile der Bevölkerung, die politisch oder durch eine Gewerkschaft gut vertreten sind.
Teilen ist gut, so lange am Ende alles so bleibt, wie es ist und die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter auseinanderklappt. Natürlich ist das eine Systemfrage. In diesem Sinn war Martin mit seinem Schemel ein Systemsprenger und ein Dorn im Auge derer, die teilen gut finden, solange es nicht ans Eingemachte geht.
Pfarrer Marko Dutzschke, Lübbenau