Ausstellung in Kassel widmet sich dem Thema Suizid

Über das Unsagbare sprechen

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10 000 Menschen scheiden in Deutschland jedes Jahr freiwillig aus dem Leben. Einfühlsam widmet sich eine Ausstellung in Kassel diesem Thema – den Gefühlswelten, den Vorurteilen und vor allem den Fragen der Hinterbliebenen.


Totenmaske aus Porzellan (von einem
unbekannten Künstler). Am Ende ein
friedliches Lächeln.

Es ist wohl eine der großen persönlichen Belastungen, die wir uns vorstellen können. Wenn ein Angehöriger freiwillig aus dem Leben scheidet, bleiben Schmerz und Trauer sowieso, aber – noch viel schlimmer – Fragen, Ratlosigkeit, Wut und Vorwürfe. Der Suizid ist ein verschwiegenes Leiden in unserer Gesellschaft. Etwa 10 000 Menschen sterben jedes Jahr in Deutschland durch eigene Hand, die meisten in schweren psychischen, sozialen oder körperlichen Notlagen. Was hat sie in letzter Konsequenz bewogen, den unumkehrbaren Schritt zu gehen? Wäre ihnen zu helfen gewesen? Müssen wir ihnen denn helfen – oder sollten wir ihre Entscheidung respektieren?

In einer zur Jahreszeit passenden Ausstellung (die Zahl der Selbsttötungen ist im Spätherbst weit höher als während der anderen Monate) widmet sich das Sepulkralmuseum in Kassel diesem schwierigen Thema. Seit fast 20 Jahren ist es mit seinen Präsentationen rund um Sterben, Tod, Trauer und Gedenken ein einmaliges Haus. Wer schon einmal eine der vielen Sonderausstellungen gesehen hat, weiß, dass hier auch dem Tod bei aller Ernsthaftigkeit hin und wieder eine augenzwinkernde Seite abgewonnen wird. Da wird unser Umgang mit unserer Endlichkeit durchaus auch mal mit Humor genommen.

Beim Thema Suizid ist das nicht möglich. Warum dann also in diesem Zusammenhang gleich im Untertitel das suggestive „Lets talk about it!“ (Lasst uns darüber sprechen)? Das klingt nach Effekthascherei, die – um es gleich zu sagen – an keiner Stelle der Ausstellung anzutreffen ist. Die etwas unglücklich auf englisch formulierte Aufforderung ist der einzige Kritikpunkt an dieser Ausstellung, die sich auf differenzierte  Weise und sehr behutsam mit der Problematik auseinandersetzt.

Zu sehen sind weder die berühmtesten Selbsttötungen der Geschichte noch die diversen Möglichkeiten, aus dem Leben zu scheiden. Museumsleiter Dirk Pöschmann ist sich sehr wohl bewusst, was das für Folgen haben könnte, gefährdete Menschen sollen durch entsprechende Darstellungen von Suizid gar nicht erst auf den Gedanken zur Nachahmung gebracht werden.

Die vielfältigen Anknüpfungspunkte, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, kommen in keinem der sechs Ausstellungsräume mit dem Holzhammer, Fotos, Videos, Installationen, Skulpturen – alles nimmt sehr zurückhaltend, manchmal erst auf den zweiten Blick zu erkennen, die Auseinandersetzung auf.

Dafür sind die Kunstwerke in größere Zusammenhänge gestellt. Immer wieder stoßen die Besucher auf Vorurteile: „Suizid ist eine freie Entscheidung“, ist zu lesen oder: „Man muss etwas Schlimmes gemacht haben, wenn sich jemand Nahestehendes umbringt“. Dass wir uns so schwer tun, frei von diesen vorschnellen Meinungen an das Thema zu gehen, hat viele Gründe, sagt Museumsleiter Poschmann: „Früher war Suizid strafbar, im Mittelalter wurden Leichen noch einmal getötet. Ihre Familien wurden enteignet, die Kirche verweigerte eine Beisetzung.“

Es geht in der Ausstellung aber auch um die Angehörigen, um ihren Schmerz, ihre Fragen. Sie stehen alleine da, weil kaum jemand mit ihnen über den Verlust sprechen kann und will. Wer durch einen Unfall ums Leben kommt, nach einer schweren Krankheit stirbt oder ein langes Leben hatte – all das gibt Anlass für Gespräche. Poschmann: „Aber bei Suizid fühlen sich die Hinterbliebenen doppelt bestraft.“

Die Ausstellung ist zu sehen bis zum 27. Februar. Es gibt einen Katalog,  umfangreiches Begleitmaterial und ergänzende Veranstaltungen. Informationen: sepulkralmuseum.de

Stefan Branahl