Osterimpuls
Über Verwandlungen ...
Ostern – ein Fest, das verändert. Vom Tod zum Leben, von Verzweiflung zur Hoffnung. Wie steht es aber um die Bereitschaft, Veränderungen anzunehmen. Gedanken von Sr. Birgit Stollhoff, Congregatio Jesu Hannover.
„Anstelle von Heimat / halte ich die Verwandlungen der Welt.“ Dieser Satz von Nelly Sachs hat mich ein Jahr lang begleitet. Es war das Jahr nach meinen ersten vier Jahren in Hannover, unser sogenanntes „Tertiat“, die Vorbereitung auf die letzten Gelübde. Jetzt stand zunächst für ein halbes Jahr ein unbekanntes Land und eine neue Sprache an: Schweden, ein Praktikum in der Stockholmer Innenstadtpfarrei St. Eugenia. Wieder also ein Aufbruch: Wieder einen Ort, eine Gemeinschaft, einen Job und Menschen loslassen. So wie schon öfter im Leben, und seit ich im Orden bin mit doppelter Schlagzahl. Dieses Mal, im Tertiat, aber vielleicht mit einer anderen Perspektive: Jetzt ging es darum, sich endgültig zu entscheiden.
Dass eine Ewigprofess ein Verzicht auf Heimat bedeutet, mag einleuchten: Der Verzicht auf Partnerschaft, auf eigene Kinder, auf ein eigenes Haus – damit gibt man immer ein Stück Stabilität auf, Geborgenheit und Beziehungen. Die Entscheidung für ein apostolisches Ordensleben bedeutet, sich Gott und der Gemeinschaft zur Verfügung zu stellen und beinhaltet damit immer Berufs- und Ortswechsel. Das gilt ganz besonders für meinen Orden, der im Sinne Ignatius von Loyolas die „Sendung“ durch die Oberen betont.
Verwandlung meint aber viel mehr als nur örtliche Veränderungen, als ein Leben als Pilgerin. Verwandlung meint auch, dass ich mich mit meiner ganzen Identität Gott zur Verfügung stelle. Verwandlung heißt, mich durch neue Situationen zu verändern oder neue Facetten zu entdecken, mich auch an Grenzen zu stoßen. Zuallererst verwandelt sich mein Bild von mir. Und so war dieses Tertiat in Schweden für mich eine echte „Verwandlungserfahrung“: Ich war im fremden Land meiner Muttersprache, meiner größten Stärke beraubt. Für mich hat sich das sehr nackt und hilfsbedürftig angefühlt. War ich damit ein anderer Mensch? Vielleicht. Ich war mehr angewiesen auf die Menschen, deren Zeit, Offenheit, Verständnis für meine Sprachlosigkeit. Ich habe verstanden, wie sich Ausländer bei uns fühlen, aber auch ältere, schwerhörige Menschen. Es war eine gute Erfahrung! Im Miteinander mit den Menschen in der Pfarrei dort habe ich entdeckt, wie schön es ist, den „normalen“ Alltag der Menschen zu teilen: „Freude und Hoffnung, Trauer und Leid der Menschen von heute“ (so das II. Vatikanische Konzil) – da gehört Kirche hin. Danach habe ich gebeten, auch pastoral arbeiten zu dürfen, selbst wenn es bedeutet, sich dafür mit einem weiteren Studium zu qualifizieren.
So wie mir ist es vielleicht auch den Jüngern mit Jesus gegangen: Das Umherziehen mit Jesus war bekannt und vertraut. Aber Nachfolge ohne Jesus – geht das? Ohne den Mittelpunkt? Alles hat sich geändert. Und dann kommt Jesus wieder – so vertraut und gleichzeitig so anders. Die Jünger kennen ihn, er isst mit ihnen, er lässt Thomas in die Wunden fassen. Und gleichzeitig erkennen die Emmaus-Jünger ihn nicht, Maria von Magdala muss sich zweimal – zu sich? Zu ihm? – umdrehen. Wird jetzt wieder „alles wie früher“? Nur ein „Zurück auf Start“? Jesus sendet seine Jüngerinnen und Jünger wieder los in die Heimatlosigkeit. Aber mit einem neuen Auftrag: Verkündet die Verwandlung, die ihr selber gesehen und erlebt habt. Jesu Auferstehung verwandelt auch die Jünger – von Jüngern zu Nachfolgern, von der Gemeinschaft zur Kirche.
Was ist „Verwandlung“ oder „Auferstehung“?
Zunächst ist es Sterben und Zustimmung zum Sterben. „Leben hat immer nach Abschied geschmeckt.“ So bringt es Nelly Sachs auf den Punkt. Ein Abschied von Menschen und Beziehungen, die so nicht mehr weiterbestehen werden. Für mich bei den Gelübden auf Lebenszeit etwa auch ein endgültiger Abschied von eigenen Kindern, aus der Generationenfolge, aber auch von beruflicher und privater Selbstständigkeit und – schlimmer – Selbstbestimmung.
Ich habe in diesem Tertiats-Jahr viel über den Tod nachgedacht. Mich schreckt der Gedanke, dass es eine endgültige Grenze gibt, eine Grenze, an der es ein „nie gehabt“, „nie gemacht“ oder „nie gelebt“ gibt, auch ein „zu spät“, ein „nie wieder“. Im Praktikum bei einer Tageszeitung, die sich jeden Tag neu erfindet, ist mir klargeworden: Nur so funktioniert aber Entwicklung, Veränderung, nur so entsteht Neues. Wenn ich ewig leben würde, würde ich durch meine Existenz die Welt an ihrer kreativen Weiterentwicklung hindern. Seither fällt es mir leichter zu wissen, dass ich alles – jede Aufgabe – nur eine begrenzte Zeit und ersetzbar mache. Auch das Sterben ist so gedeutet ein Dienst an der Gemeinschaft und trägt zur Zukunft bei.
Verwandlung ist auch die Zustimmung in etwas völlig Neues, in einen ungeahnten, unbekannten Zustand. Das Beängstigende an diesem Neuen ist: Man kann es nicht selber machen. Die Auferstehung ist genau genommen eine Auferweckung – Gott handelt, Gott macht neu. Das, was da kommt, ist noch nicht erdacht, nicht erfunden, nicht geahnt. Es ist ganz anders. Heimat kann ich mir erschaffen, Verwandlungen geschehen an mir und meiner Umwelt.
Auch für die Jünger ist Ostern ein Abschied von Jesus. Sie sind zunächst „alleingelassen“. Aber die Beziehung zu Jesus bleibt dennoch. Er begegnet ihnen wieder, er bleibt Teil ihres Alltags, er nimmt die Zweifel wahr. Und verabschiedet sich mit dem großen Zutrauen, die Welt verwandelt zu haben und gleichzeitig Nachfolger zu haben, die diese Verwandlung weiter fortsetzen. Etwas, das sich die Jünger in ihrer Angst zunächst eben nicht zugetraut hätten – da brauchte es schon einen, der durch geschlossene Türen geht. Und so ist es konsequent, dass auf Ostern der Heilige Geist folgt. Verwandlung braucht dafür umso mehr Vertrauen und Ermutigung. Aus eigener Kraft schaffen wir Menschen das nicht.
Geplante Veränderung – ungeplante Verwandlung
Für mich folgte auf diese noch selbst geplante Veränderung „Studium“ die ungeplante Herausforderung „Jugendarbeit“. Also wieder eine Verwandlung, wieder etwas Neues mit denjenigen, die Spezialisten für Verwandlung am eigenen Leib sind – den Jugendlichen. Ich hatte vergessen, dass mein Leben nicht so dramatisch ist im Vergleich zu dem von Jugendlichen. Und jetzt darf ich sie, die Experten für die Zukunft, für Ohnmacht und Mut und für Neues, begleiten. Ich sehe, wie in einer bunten Gemeinschaft alle, die Großen und die Kleinen, Jugendliche mit verschiedensten Begabungen, Hintergründen und Ausbildungen gemeinsam stark werden und Verantwortung übernehmen.
Ich lerne, wie viel Mut die Jugendlichen brauchen, um sich ihre Zukunft zu erarbeiten oder gar von uns Erwachsenen einzufordern. Und ich ahne, warum Jesus dieser gemeinsame Alltag so wichtig war – weil er die Grundlage von Beziehung ist. Und so lasse auch ich mich wieder verändern von den Jugendlichen.
Was bleibt dann? Was ist wichtig? Was ist vielleicht die eine Konstante zwischen Tod und Auferstehung, Verlust von Heimat und Verwandlung? „Trennt dich der Tod, ein leises Haar / Das Lieb von Liebe schied?“ schreibt Nelly Sachs. Der Tod ist leicht, nur eine feine Wand in der Liebe. Und Liebe ist leicht, hat Zeit für ein Lied in Trauerohren oder ein Lächeln in das Gesicht des „Todernst“, sie tanzt eine Hoffnung oder bläst eine Pusteblume über den vollen Kalender. Was zählt, was bleibt, ist die Liebe. „Bleibt in mir, dann bleibe ich in Euch.“
Sr. Birgit Stollhoff