Die Zahl der Kirchenaustritte steigt. Was sind die Folgen?
Unsere Botschaft bleibt wichtig
kna/Harald Oppitz
Alle hatten geahnt, dass die Zahl groß sein würde. Aber so groß? 522 821 Menschen haben 2022 in Deutschland ihren Austritt aus der katholischen Kirche erklärt. 45 Prozent mehr als im Jahr zuvor – und schon der Wert von damals war ein negativer Rekord. Die Kirche schrumpft, schnell und immer schneller. Was nun?
Vielleicht hilft es, sich zunächst einmal bewusstzumachen, wie sehr das schmerzt, was da passiert. Und mit anderen darüber zu reden. Durch die Kirchenstatistik ist der Schmerz in eine Zahl gegossen, aber auch sonst ist er immer da. Jeder Gläubige spürt ihn auf seine Weise. Großeltern schmerzt es, wenn ihre Enkel kaum mehr das Vaterunser können. Eltern schmerzt es, dass sie ihren Kindern keine Kirche als Heimat mehr bieten können, die sie früher selbst erlebt haben. Ehrenamtlich Engagierte schmerzt es, wenn sie Familiengottesdienste liebevoll vorbereiten und nur zwei Familien kommen.
Pfarrgemeinderäte schmerzt es, dass sie, wenn sie nach 20 Jahren mal andere ranlassen wollen, kaum noch Nachfolger finden. Priester schmerzt es, dass sie sich abmühen können, wie sie wollen – und die Leute trotzdem gehen. Pastoralreferentinnen schmerzt es, wenn sie sehen, dass sie bald riesige pastorale Räume betreuen sollen, und fürchten, in der Anonymität zu versinken.
Reformbefürworter schmerzt es, dass der Vatikan Veränderungen hartnäckig ablehnt – was maßgeblich dazu beiträgt, dass die Austrittszahlen anders als in den vergangenen Jahren in der katholischen Kirche in Deutschland deutlich steiler ansteigen als in der evangelischen. Und alle Gläubigen schmerzt es, dass sie sich immer häufiger für ihre Kirchenmitgliedschaft rechtfertigen müssen – und dass ihre Institution nur noch Negativschlagzeilen macht, obwohl es in ihr nach wie vor auch so viel Positives gibt.
Der Schmerz wird bleiben. Denn die Probleme, die hinter der Erosion der katholischen Kirche liegen, sind komplex – und von den einzelnen Gläubigen nicht zu lösen. Die Kirche wird kleiner und gesellschaftlich unbedeutender werden. Aber es wird weiter Christinnen und Christen geben, an vielen Orten. Gott wird bei ihnen sein, auch und gerade in schwierigen Zeiten. Und die christliche Botschaft wird wichtig bleiben – erst recht in einer Welt, die schon wegen der Auswirkungen der menschengemachten Erderhitzung vor gewaltigen Erschütterungen steht.
Jeder kann die Welt prägen – mit seinen Möglichkeiten
Egal wie sehr die Kirche schrumpft: Jeder Christ kann seinen Glauben leben – in seiner Familie, seinem Freundeskreis, seinem Kartenclub, seinem Chor und seiner Gemeinde. Jeder kann die Welt mit seinen Möglichkeiten prägen und menschenfreundlicher machen – nicht mehr, aber eben auch nicht weniger. Jeder kann sich klarmachen, welchen Auftrag Jesus uns gegeben hat.
Wenn wir uns auf diesen Auftrag besinnen und im besten Sinne einfach unser Ding machen, dann verschwindet der Schmerz über die schrumpfende Kirche zwar nicht. Aber er dominiert nicht mehr so sehr. Weil da auch neue Hoffnung wächst. Und eine Perspektive aufscheint, wie es weitergehen kann. Trotz allem.