Beratungslehrer bieten Hilfe und Unterstützung an

Vertrauen fällt nicht vom Himmel

Mobbing, schlechte Zensuren, Ärger zu Hause – vor kleinen und großen Problemen ist auch die St.-Ursula-Schule in Hannover nicht gefeit. Beratungslehrerinnen und -lehrer haben gelernt, wie man manches davon aus dem Weg räumen kann: durch Gespräche, Unterstützung, Hilfe. Aber sie müssen auch mit ihren Grenzen leben.

Auffallend still war Sophia in den vergangenen Wochen. Im  Unterricht beteiligte sich die Elfjährige kaum noch, in der Pause stand sie meistens für sich allein – ungewöhnlich für das sonst so quirlige Mädchen. Und dann auch noch hintereinander zwei Fünfen, obwohl sie bisher immer ordentliche Leistungen gezeigt hatte.

Ein fiktives, aber realistisches Beispiel aus dem Alltag der St.-Ursula-Schule. „So oder ähnlich könnte es jeden Tag bei uns vorkommen“, sagt Kirsten Kuhlbusch. Sie und weitere Kolleginnen und Kollegen – sind als Beratungslehrer für solche Fälle besonders ausgebildet. Gleich fünf gibt an dem hannoverschen Gymnasium. Kuhlbusch: „Das ist eine vergleichsweise hohe Zahl, sie macht aber unseren Anspruch als katholische Schule deutlich.“

„Wir sind keine Insel der Glückseligen“

Denn auch hier geben die Schülerinnen und Schüler ihre Probleme und Sorgen nicht an der Eingangstür ab. „Wir sind doch keine Insel der Glückseligen“, beschreibt Bernhard Ratuschny. „Auch bei uns  gibt es wie überall Neid, Mobbing, Ärger, Probleme mit der Familie, Knatsch mit den Freunden. Aber unsere Schüler wissen, dass wir für sie da sind. Sie können uns vertrauen.“

Vertrauen – darauf wird an der St.-Ursula-Schule Wert gelegt. „Aber Vertrauen können wir nicht voraussetzen, das müssen wir uns erarbeiten“, erläutert Lars Reinke. Zuhören können, verschwiegen sein, den jungen Menschen in seiner Situation ernst nehmen, sich aufeinander verlassen können: das seien ganz wesentliche Voraussetzungen dafür, um Probleme ansprechen und im günstigsten Fall lösen zu können. Lehrerin Rita Kleemiß bringt es so auf den Punkt: „Vertrauen ist das Fundament, damit Schule funktioniert. Nur so kann ich mich hier wohlfühlen.“ Aus Erfahrung weiß sie: „Wenn es fehlt, kann das für uns Erwachsene ärgerlich sein. Für Kinder und Jugendliche aber ist es eine Katastrophe.“

Wie geht ein Beratungslehrer vor wenn er merkt, dass etwas aus dem Ruder zu laufen droht – so wie im Fall von Sophia? „Es gibt immer die Möglichkeit, bei einer kurzen Begegnung die Möglichkeit zum Gespräch anzubieten“, sagt Lars Reinke. „Wir signalisieren, dass unsere Tür immer offen steht.“ Manches kann durchaus schnell und auf kurzem Weg geklärt werden, gerade, wenn Probleme in die richtige Relation gerückt werden. „Wenn jemand beim Sport nicht gleich als erstes in eine Mannschaft gewählt wird oder in der Pause nicht sofort im Mittelpunkt einer Clique steht, ist das ja noch lange kein Mobbing“, verdeutlicht Reinke. Das sei inzwischen geradezu ein Modewort geworden, von Schülern und Eltern gleichermaßen geradezu inflationär gebraucht.
 


Lars Reinke, Bernhard Ratuschny, Rita Kleemiß und Kirsten Kulhbusch (v. l.) helfen und beraten. | Foto: Stefan Branahl

Wenn allerdings tatsächlich jemand permanent gemieden, gehänselt oder ausgestoßen wird, bestehe ernsthafter Redebedarf – nicht nur mit den Betroffenen, sondern vor allem auch mit den Tätern und mit denen, die vor dem Mobbing ihre Augen verschließen. Gerade die „Sozialen Netzwerke“ seien da eine ganz neue Herausforderung: Was früher auf eine überschaubare Gruppe beschränkt blieb, geht durch das Internet innerhalb von Sekunden in die ganze Welt. Wobei die Beratungslehrer gerade beim Thema Netzwerke längst nicht alles schlechtreden wollen: „Seit die Kinder und Jugendlichen so intensiv vernetzt sind, fällt es den anderen viel stärker auf, wenn es einem mal nicht so gut geht und möglicherweise Probleme zu befürchten sind. Da wird schon sehr auf einander geachtet“, beobachtet Kirsten Kuhlbusch.

„Oft stecken die Probleme ganz woanders“

Immer wieder sind es Lernschwierigkeiten und schulischer Druck, mit denen sich die fünf Beratungslehrerinnen und -lehrer befassen – besonders häufig bei den älteren Jahrgängen und dann kurz vor den Zeugnissen. Wobei Leistungsverweigerung durchaus tief sitzende Ursachen haben kann: „Wenn nach einem dritten oder vierten Gespräch nicht mehr um den heißen Brei geredet wird, erfahren wir oft, dass das Problem ganz woanders steckt – oft auch in den Verhältnissen zu Hause. „Unsere Kinder kommen ja nicht unbedingt immer aus einer heilen Welt. Da gibt es auch privat ganz unterschiedliche familiäre Konflikte“, beobachten die Beratungslehrer übereinstimmend. „Dann können wir unsere Hilfe und ein klärendes Gespräch auch den Eltern anbieten. Manchmal können wir vermitteln. Aber es kommt durchaus vor, dass wir auf taube Ohren stoßen. Dann sind auch wir machtlos.“

Rat, Hilfe und Unterstützung anbieten – das ist die eine Seite. Besonders dafür ausgebildet sind alle fünf Beratungslehrer. Nicht immer allerdings läuft es so reibungslos wie vor allem bei den jüngeren Schülern, die wie Sophia oft nach ein, zwei Gesprächen lachend zurück in die Klasse laufen und den Ärger schon vergessen haben. Es gibt durchaus Situationen, in denen wir nicht weiterhelfen können – weil unsere Unterstützung nicht akzeptiert wird oder weil das Problem einfach zu groß ist für uns, weil nur noch eine Therapie helfen kann“, sagt Lars Reinke. Auch solche Fälle gibt es, und die muss man akzeptieren. „Aufdrängen wollen und dürfen wir uns nicht! Unser Verhalten, unsere Möglichkeiten, aber auch die Grenzen sind ganz klar geregelt.“

Und da kommt wieder das Thema Vertrauen ins Spiel, ohne das an ein gutes Zusammenleben nicht zu denken wäre. Die Beratungslehrer wissen, dass sie sich auf dünnes Eis begeben, wenn sie einem Schüler mit Drogenproblemen zusichern, das nicht an die große Glocke zu hängen, wenn keine unmittelbare Gefahr droht. Dass sie es nicht allen recht machen können, wenn sie hin und wieder den Rat erteilen, ein Problem auch einfach mal als unabänderlich zu akzeptieren, weil es nicht zu ändern ist. „Wir können nicht für alles eine zufrieden stellende Lösung anbieten. Das müssen wir und unsere Schüler akzeptieren. Aber auch das gehört zu einem guten Vertrauensverhältnis einfach dazu.“

Stefan Branahl