Kirche St. Joseph im Wedding

Viele Ideen, wenig Geld

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Für die Dauer der Sanierung der St. Hedwigs-Kathedrale in Berlin finden die Gottesdienste des Erzbischofs und des Domkapitels in der Kirche St. Joseph im Wedding statt. Die Kirche beeindruckt durch ihre Farbenpracht im Stil der Beuroner Schule.

Blick in den Altarraum der St. Josephs-Kirche. | Fotos: Alfred Herrmann
 
Farbenprächtig zeigt sich St. Joseph im Berliner Wedding. Während der Sanierung der St. Hedwigs-Kathedrale dient die Kirche als Ausweichquartier von Erzbischof und Metropolitankapitel. Nach dem Krieg übertüncht, ließ die Pfarrgemeinde in den letzten Jahren mit viel Mühe die Farbenvielfalt im Stil der Beuroner Malschule wieder Stück für Stück nach vorne holen. Nur noch das Langhaus fehlt.
„Im A sehen Sie auch ein M.“ Martin Hoffmann zeigt auf einen königsblauen, goldgelb umrandeten Buchstaben, dessen Querbalken ein marianisches M andeutet. Das A befindet sich auf einem Steinfragment in der vierten von fünf Nischen der Apsis, direkt hinter dem Altar der St. Josephskirche. Wie ein Puzzle wurden hier die Überreste einer Engeldarstellung zusammengesetzt. Der größte Teil des Cherubim allerdings musste aufskizziert werden, schwarz auf grünen Grund. „Die wenigen Brocken sind alles, was von den ehemals fünf Engeln übrig geblieben ist“, erklärt der Architekt. „Sie fielen nach der Bombenexplosion 1945 nach hinten, in eine Kammer in der Mauer. Dort haben wir sie 2009 wiederentdeckt.“ In den anderen drei Nischen – in der Mitte befindet sich heute der Tabernakel – erinnern auf weiße Stoffbahnen kopierte historische Aufnahmen an die zerstörten Himmelsboten.
 
Herz-Jesu-Altar

Ursprüngliche Wandgestaltung
Hoffmann leitet seit 2005 die Freilegung und Wiederherstellung der historischen Ausmalung in St. Joseph. Bereits unter Pfarrer Konrad Beißel wuchs ab 1999 das Interesse, die ursprüngliche Wandgestaltung wiederherzustellen. Welch einmaliges Kleinod sich unter der gelben Wandfarbe verbarg, offenbarten damals historische Fotoaufnahmen.
Die 1909 geweihte Kirche wurde von Pater Ludgerus entworfen, ein Benediktiner der Abtei Maria Laach und unter seinem bürgerlichen Namen Wilhelm Rincklake ein bekannter Kirchenbauarchitekt. Er plante allerdings nicht nur die neoromanisch inspirierte dreischiffige Basilika, sondern gab auch ein Konzept zur Ausmalung des Gotteshauses vor. Als Mönch eines Klosters der Beuroner Benediktinerkongregation wählte er die Motivik der sogenannten Beuroner Malschule.

 
Kunst zur Verherrlichung Gottes
Das bedeutet unter anderem: Keine Fläche, die nicht mit einer anderen Farbe bemalt ist – 30 verschiedene Farben wurden bislang extrahiert – und reiche Ornamentik, mal verspielt, meist aber in linearen geometrischen Formen. Die ausgemalte Kirche bildet ein Gesamtkunstwerk. So umschließt ein angedeutetes Mauerwerk in Rot und Gold die fünf Engelnischen der Apsis. Oben, im Halbrund gibt es ein großes Mosaik zu sehen, der Triumph des Kreuzes, eine Nachbildung von San Clemente in Rom. Davor strahlt ein blau goldener Sternenhimmel.
Die Seitenschiffe zeigen sich in Rot, Gelb, Blau und Gold. Die Ornamente hinter den beiden Seitenaltären wirken wie eine altenglische Tapete, rot auf grau. Große Wandfresken darüber fungieren als Altarbilder. Maria mit dem Kind über dem einen, Jesu mit offenem Herzen über dem anderen Altar, um sie herum aufgereiht Apostel und Evangelisten, Heilige und Ordensgründer. Alle ikonographisch gut erkennbar, meist frontal oder im Profil dargestellt. Statuengleich wirken die Figuren entrückt, gar mystisch. Auch das ist typisch Beuroner Schule: die Verherrlichung Gottes, die Anbetung und Versenkung soll in dieser benediktinischen Kunst, die im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts entstand, zum Ausdruck kommen. Ein besonderes Highlight bildet der Kreuzweg, ein großartiges Zeugnis der südwestdeutschen Kunstschule, eingefasst in reiche Ornamentik. Als Fresko direkt auf die Wand gemalt, ist er Abbild des berühmten Stuttgarter Kreuzwegs, der im Krieg mit der Zerstörung der Marienkirche unwiederbringlich verlorenging.  
 
Im Gespräch: Architekt Martin Hoffmann und Reinhold Thiede vom Pfarrgemeinderat.
Nur wenige erhaltene Beuroner Kirchen
„Viele Ideen und wenig Geld, das ist der rote Faden, der sich durch die Geschichte von St. Joseph zieht“, meint Reinhold Thiede vom Pfarrgemeinderat und muss schmunzeln. Als der Kirchbau fertiggestellt war, fehlte der Arbeiterpfarrei das Geld für die Innenausstattung und die Ausmalung. Letztere wurde daher erst zwischen 1921 und 1925 umgesetzt. Kurios, denn der Stil der Beuroner Kunstschule zwischen Jugendstil, Nazarenerkunst und Ägyptenverehrung, war da bereits der Moderne und der Neuen Sachlichkeit gewichen. Kriegszerstörung, moderner Kunstgeschmack und Rebarockisierung ließen diesen Stil sakraler Kunst in der Folge aus dem öffentlichen Bild der Kirchengestaltung mehr und mehr verschwinden. „Wir haben mit St. Joseph in Berlin neben den Klosterkirchen in Eibingen und St. Gabriel in Prag eine der wenigen noch erhaltenen Beuroner Kirchen“, weiß Thiede.
Auch heute noch geht in St. Joseph nicht alles sofort. Die Restaurierungsarbeiten werden abschnittsweise durchgeführt. „Wir machen immer dann den nächsten Schritt, wenn die Finanzierung steht“, erklärt Thiede. Was jetzt noch fehlt, ist das Mittelschiff, der größte zusammenhängende Abschnitt. Was sich unter dem mittlerweile stark angegrauten Gelb des Langhauses verbirgt, weiß niemand so genau. „Dort oben“, deutet Thiede auf eine leichte, kreisrunde Erhebung, „dieses Medaillon, darunter vermutet man eine Stadtmotivik, vielleicht ein Himmlisches Jerusalem. Doch wissen tun wir es nicht.“ Eine Situation, die die ganzen bisherigen Arbeiten begleitet hat. „Restaurierung nach Befund“, lautet die Maßgabe für dieses im Erzbistum Berlin einmalige Projekt. Architekt Hoffmann erklärt: „Wir schauen, was drunter ist, analysieren die Farben und rekonstruieren dann.“
Wann es los geht? „Die Finanzierung für den nächsten Abschnitt steht“, weiß Thiede. „Wir könnten anfangen“, meint Hoffmann. Doch nun sei man erst einmal Gastgeber und Ersatzstandort der Kathedralkirche, betonen beide. „In fünf Jahren, vielleicht“, lächelt Thiede.
 
Von Alfred Herrmann