Verschiedene orthodoxe und katholische Kirchen in der Ukraine

Vielfalt ist ein gutes Fundament

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In der Ukraine gibt es seit 1989/90 wieder offiziell verschiedene orthodoxe und katholische Kirchen. Trotz mancher Probleme wirken die Christen positiv auf das Miteinander im Land ein, betont Kirchenhistoriker Oleh Turiy.

Ein Mann zündet in der Wladimir-Kathedrale der Orthodoxen Kirche der Ukraine in Kiew vor dem Gottesdienst eine Kerze an.    Foto: kna/Sergey Korovayny

 

Viele Christen der orthodoxen und katholischen Kirchen sowie der protestantischen Kirchen und Gemeinschaften in der Ukraine unterstützen die demokratische Entwicklung im Land, betont Oleh Turiy. Für die Ukraine sei trotz auch mancher Spannungen „eher eine Zusammenarbeit der verschiedenen Denominationen charakteristisch als irgendwelche Feindschaft und Kämpfe“, so der Kirchenhistoriker bei einem Online-Vortrag, zu dem das Hilfswerk Partnerschaftsaktion Ost des Bistums Magdeburg eingeladen hatte. Turiy lehrt an der Ukrainisch-Katholischen Universität Lwiw (Lemberg) und sprach zum Thema „Das kirchliche und religiöse Leben in der Ukraine im Kontext der sozialen und politischen Veränderungen nach dem Zerfall der Sowjetunion/des Ostblocks“.

Vermittlungsrolle der Kirchen
Die Kirchen und auch andere religiöse Gruppen hätten „bei der Orangen Revolution (2004) und der Revolution der Würde (Maidan 2013/14)“ durchaus verantwortlich gewirkt, führte Turiy aus. Die Priester hätten „sehr oft eine Vermittlungsrolle eingenommen“ und Verhandlungen zwischen beiden Seiten geführt. Die Kirchen hätten sich in einem Rat zusammengeschlossen und sich im Namen der Mehrheit des Volkes dafür ausgesprochen, „dass die Ukraine als Land unabhängig sein sollte, mit einer Orientierung auf die Europäische Union und in Richtung Vereinigung mit dem größten Teil von Europa“. Alle Kirchen hätten sich „deutlich gegen die russische Okkupation der Krim ausgesprochen“ und sich bei den Präsidentenwahlen „gemeinsam für demokratische Prinzipien, Wahlrechte, menschliche Würde“ eingesetzt. Insofern sei die große religiöse Vielfalt und Freiheit im Land „ein gutes Fundament für die ukrainische Zivilgesellschaft, ein friedliches Miteinander und ein Indikator für eine demokratische Entwicklung der Ukraine“.

ZUR SACHE
Kirchen in der Ukraine
  • Ukrainische Orthodoxe Kirche (Moskauer Patriarchat): An der Spitze steht Metropolit Onufriy. Sie hat 12 400 Pfarreien und 9300 Geistliche.
  • Orthodoxe Kirche der Ukraine (Patriarchat von Konstantinopel): Die OKU wird von Metropolit Epiphaniy Dumenko geleitet. Sie hat 7000 Pfarreien und 4500 Geistliche.
  • Ukrainische Griechisch-Katholische Kirche (UGKK) mit Großerzbischof Sviatoslaw Shevchuk mit 3700 Pfarreien und 2600 Geistlichen. Die UGKK ist mit Rom uniert, praktiziert aber den byzantinischen Ritus.
  • Römisch-Katholische Kirche in der Ukraine (RKK) mit Erzbischof Mieczyslaw Mokrzycki mit 900 Pfarreien und 550 Geistlichen.
  • Ruthenische Griechisch- Katholische Kirche (Eparchie von Mukachevo).
  • Verschiedene protestantische Kirchen und Gemeinschaften
  • Vom Kulturministerium der Ukraine wird die Zahl der Pfarreien, Geistlichen und Kirchen erhoben. Die Mitgliederzahlen können nur geschätzt werden. (oj/tdh)

Gut 70 Prozent der Menschen in der Ukraine bezeichnen sich nach Angaben des Wissenschaftlers heute als gläubig, gut 90 Prozent davon seien Christen. Das sei umso erstaunlicher, als die Ukrainer zu Sowjetzeiten massiver atheistischer Propaganda ausgesetzt waren. Der Kampf mit der Religion, so Turiy, sei Staatsideologie gewesen, der jedes Mittel recht war: „Zerstörte, niedergebrannte, entweihte Gotteshäuser, erschossene, inhaftierte und in sibirische Gulags deportierte orthodoxe, katholische und andersgläubige Geistliche und Laien, alles in allem verfolgte, in den Untergrund gejagte oder völlig vernichtete Kirchen wie die Ukrainische Autokephale Orthodoxe Kirche zu Beginn der 1930er Jahre oder die Ukrainische Griechisch Katholische Kirche 1946 in Galizien und 1949 in Transkarpatien.“
Ein weiterer Aspekt sei die Instrumentalisierung der legalen Kirchenstrukturen für „eine atheistische Innen- und Außenpolitik“ gewesen. Eine besondere Rolle sei dabei der Russisch Orthodoxen Kirche zugedacht gewesen, die als „Verteidigerin des sozialistischen Vaterlandes, Mitgestalterin der neuen historischen Gemeinschaft des Sowjetvolkes und Sprachrohr der sowjetischen Friedenspolitik in der internationalen Arena“ zu dienen hatte.
Der mit dem Regime erreichte modus vivendi habe der Russischen Orthodoxie Vorteile gebracht, so der Kirchenhistoriker weiter. Versuche einer Autokephalie (selbstbestimmte Leitung) der Ukrainisch Orthodoxen seien unterdrückt worden. Das Territorium sei ausgeweitet, die Zahl der Kirchen und Gläubigen auf Kosten der Liquidierung der Ukrainisch Griechisch Katholischen Kirche vergrößert worden. „Eine Reihe von orthodoxen Bistümern und Kirchen, die früher niemals zu ihr gehört hatten, wurden unter die Jurisdiktion des Moskauer Patriarchats gestellt.“ In der Gorbatschow-Zeit sei die Russisch Orthodoxe Kirche, die „in einem Teil ihrer Geistlichkeit unter Gläubigen in Misskredit geraten“ war, wegen dieser Entwicklungen erheblich kritisiert worden.
Die aus dem Untergrund auftauchende Ukrainische Griechisch Katholische Kirche und die Entstehung von Gemeinden der Ukrainisch Autokephalen Orthodoxen Kirche 1989 hätten dann schnell den Verlust der Monopolstellung der Russisch Orthodoxen Kirche angekündigt. „Ein gleichzeitiges Anwachsen der Religiosität unter den Bedingungen der neuen Religionsfreiheit wurde von einer Verschärfung der religiösen Konflikte in der Ukraine begleitet, die die internationalen ökumenischen Beziehungen ernsthaft verkomplizierten.“ Die Unabhängigkeitserklärung der Ukraine habe „einen zusätzlichen staatspolitischen Kontext für die Aktivitäten aller Kirchen auf ihrem Gebiet“ geschaffen.
Heute bedeutsam sind die Ukrainische Orthodoxe Kirche (Moskauer Patriarchat) und die von Konstantinopel anerkannte Orthodoxe Kirche der Ukraine. Letztere entstand erst Ende 2018 durch die Vereinigung der Ukrainisch Orthodoxen Kirche (Kiewer Patriarchat) und der Ukrainisch Autokephalen Orthodoxen Kirche, die beide nicht kanonisch anerkannt waren. Kleiner sind die beiden katholischen Kirchen.

Kirchenhistoriker Turiy lehrt an der Ukrainisch-Katholischen Universität Lwiw (Lemberg).    Foto: Privat

Religiöser Friede trotz mancher Spannungen
Vertreter des Moskauer Patriarchats sähen in Russland und der Ukraine, so sage es deren Patriarch Kyrill, „das Bollwerk der orthodoxen, ostslawischen Zivilisation“: „Kiew ist unser Konstantinopel mit ihrer heiligen Sophia und geistliches Zentrum der russischen Orthodoxie. Nur so verstehen wir Kiew als die südliche Hauptstadt der russischen Orthodoxie.“ Seitens Moskaus, so Professor Turiy, betrachtet man die Orthodoxen hier „als wichtigen Bestandteil der Identität dieser Kirche. Alle wissen, dass die Taufe der Ostslawen über Kiew kam. Deshalb verstehen wir, warum für Russland die Ukraine so wichtig ist – aus geopolitischen und aus ideologischen Gründen.“

Die „Orthodoxe Kirche in der Ukraine“ verstehe sich „als Alternative zur russischen Propaganda und Aggression“, so Turiy. Petro Poroschenko, 2014 bis 2019 Präsident der Ukraine, habe betont: „Der Kreml versteckt überhaupt nicht, dass er die Russisch Orthodoxe Kirche als eines der Hauptinstrumente des Einflusses auf die Ukraine betrachtet.“ Trotz dieser Polarisierung, so Turiy, könne man aber „nicht sagen, dass alle Bischöfe, Geistlichen und Gläubigen der Ukrainisch Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats politisch russisch orientiert sind. Das sind Ukrainer, teilweise ukrainische Patrioten.“ Viele blieben jedoch in ihrer Kirche, aus Verbundenheit mit einer konkreten Gemeinde, einem Pfarrer. So herrsche trotz mancher Probleme „insgesamt religiöser Friede“ in der Bevölkerung.

Von Eckhard Pohl