Katholisch in Brieselang
Vom Charme der kleinen Herde

![]() |
Dorothea Ahrens (rechts) engagiert sich seit 30 Jahren im Pfarrgemeinderat von St. Marien und übernimmt auch in Gottesdiensten manche Aufgabe – hier während einer Erstkommunion. Fotos: Privat |
Fragt man einen Brieselanger, warum er dort lebt, stößt man auf verständnisloses Schweigen. Wie kann man so eine Frage überhaupt stellen? Es ist doch so schön ruhig und grün hier im Havelland: die prächtigen Alleen, der Wald zum Wandern, der Nymphensee zum Baden. Wir haben doch alles, heißt es. Arbeitsplätze, Kitas, Schulen, Gesundheits- und Sozialeinrichtungen, gute Verkehrsanbindungen ins nahe Berlin und zur Landeshauptstadt Potsdam.
Das findet auch Dorothea Ahrens aus der Pfarrgemeinde St. Marien. Sie ist in Brieselang geboren, „im Schlafzimmer meiner Eltern, weil die es nicht mehr geschafft hatten in den Luftschutzkeller“, erzählt sie und lacht. Bis heute wohnen sie und ihr Mann Rainer in diesem Haus. In Brieselang ist „Dorle“ in den Kindergarten und zur Schule gegangen, hat später, nach der Ausbildung zur Krankenschwester und 15 Berufsjahren im Berliner St.-Hedwig-Krankenhaus, im Brieselanger Ambulatorium gearbeitet. Als Betriebsschwester war sie für die gesundheitliche Betreuung aller Beschäftigten der ortsansässigen Betriebe zuständig.
![]() |
Dorothea und Rainer Ahrens mussten ihre goldene Hochzeit am 25. April aufgrund der aktuellen Situation im „Corona-Modus“ feiern. |
Vom „Hohenpriester“ zum Mitmachen ermutigt
Viel erzählen kann die kleine Frau mit dem gewinnenden Lächeln von der Zeit, als die DDR unterging. Von Friedensgebeten und vom damaligen Pfarrer Heinrich Gehrmann, der die St.-Marien-Kirche auch für politische Aktionen öffnete: „Mit seiner klaren Haltung war Pfarrer Gehrmann wie ein Fels in der Brandung. Und das nicht nur für Katholiken, sondern für jeden, der sich unters Kirchendach flüchtete. Viele nannten den Zwei-Meter-Mann deshalb respektvoll den ‚Hohenpriester‘ von Brieselang. Er ermutigte uns, in der Nachwendezeit politische Verantwortung zu übernehmen. ‚Hebt eure Hintern‘ hat er gesagt.“
Dorothea Ahrens stellte sich zur Wahl für die Gemeindevertretung und wurde für fünf Jahre zur ehrenamtlichen stellvertretenden Bürgermeisterin von Brieselang gewählt. Sich einzumischen in Wohl und Wehe der Menschen, liege ihr im Blut, sagt sie. Dorothea und Rainer Ahrens zählen zum „harten Kern“ der Pfarrgemeinde St. Marien, zu den Treuen, die mit der Kirche durch dick und dünn gehen. Fast 700 Mitglieder hat die Gemeinde. Aus dem Umland, etwa aus Zeestow, Schönwalde-Glien, Paaren im Glien, aus Dallgow-Döberitz oder aus Elstal, bekannt durch „Karls Erdbeerhof“, kommen rund 260 Katholiken hinzu.
Wie tickt eigentlich Kirche auf dem Land?
„Wir begegnen uns hier ja nicht nur bei Gottesdiensten oder Pfarrfesten, sondern bei der Arbeit, beim Einkaufen, in der Nachbarschaft, am Gartenzaun. Als ‚Eingeborene‘ werde ich auch oft nach dem Früher gefragt. Zum Beispiel, was es für unsere Tochter und unseren Sohn bedeutet hat, nicht zur Jugendweihe zu gehen.“
Wer sie erzählen hört von Pfarrjugend und Familienkreis, Erstkommunionen und Firmungen, den Wallfahrten nach Alt-Buchhorst oder vom Kirchenchor, der spürt: Kirche ist für sie Heimat. Trotz aller Ecken und Kanten, an denen auch sie sich einige blaue Flecke geholt hat. Seit 30 Jahren engagiert sie sich im Pfarrgemeinderat. Auch in schwierigen Konstellationen: „Manchmal war es echt zum Davonlaufen. Wie oft habe ich Gott gefragt, warum er das unserer Gemeinde zumutet.“ Zum Beispiel, als sonntags von den gut hundert Gottesdienstbesuchern vierzig übrigblieben und besonders junge Familien das Weite suchten. Vertreter der Gemeinde wandten sich daraufhin an die Bistumsleitung, eine Lösung wurde gefunden, und die „Geflüchteten“ kehrten zurück.
Im protestantischen Preußen waren die Katholiken immer in der Minderheit. Das sind sie auch im Land Brandenburg. Es ist eine „kleine Herde“, die sich zum Gottesdienst versammelt, berichtet Dorothea Ahrens, „doch durch die zugereisten Familien sind wir eine recht junge Gemeinde. Von Landflucht kann in Brieselang keine Rede sein. Anders sieht es in den Dörfern aus, die zur Pfarrei gehören“.
![]() |
Etwas unscheinbar und doch von Bedeutung für Brieselang: die St.-Marien-Kirche. |
Die Unterschiede beim Busfahren
St. Marien ist eine lebendige Gemeinde, engagiert in der Weitergabe des Glaubens an die Kinder, mit Angeboten für Jugendliche wie für Senioren – Seelsorge von der Wiege bis zur Bahre. „Eine kleine Schar bietet mehr Zusammenhalt. Kontakte entstehen leichter, auch manch neue Freundschaft.“ Die vielfältigen Angebote führten Alt und Jung, Alteingesessene und Neubürger zusammen. Dabei sei die unterschiedliche glaubenspraktische Sozialisierung eine besondere Erfahrung, sagt Dorothea Ahrens und erzählt die Geschichte von der Busreise: „Ostkatholiken steigen am Abfahrtsort in den Reisebus ein und fahren in diesem Bus bis zum Zielort durch. Westkatholiken wählen eher den Linienbus. Sie steigen unterwegs an Haltestellen wie Taufe, Erstkommunion, Firmung oder Hochzeit ein und manchmal auch wieder aus. Sind also nicht immer aktiv in der Gemeinde oder jeden Sonntag in der Kirche.“
Die „kleine Herde“ von Brieselang ist präsent, sie mischt sich ein. Die Türen der Kirche und des Gemeindezentrums stehen allen offen. Sieht ganz so aus, als hätten alle Brieselanger etwas davon, dass es die Gemeinde St. Marien gibt.
Von Juliane Bittner