Ordensleben heute
Von Klöstern, die wachsen
Fotos: istockphoto/Nikada
# Benediktinerinnen in Düsseldorf
„Jetzt sind uns die Wände im Weg“
Von Andreas Otto
Kaum hat sich die Tür für den Besucher geöffnet, da sprudelt die Gastgeberin schon los. Wie man das von Führungen durch neue vier Wände kennt, spricht sie begeistert über die Lage, den Zuschnitt der Zimmer, die tolle Aussicht. Nur: Diesmal geht es nicht um irgendeine Wohnung, sondern ein ganz spezielles Objekt. Schwester Emmanuela zeigt ihr neues Kloster.
Die Benediktinerin und ihre Mitschwestern in Köln erleben etwas völlig Untypisches: Obwohl die krisengeschüttelte Kirche massenhaft Mitglieder verliert und viele Klöster mangels Nachwuchs dichtmachen, erfährt ihre Gemeinschaft genau das Gegenteil: Ein bemerkenswert stetiger Zuwachs hat ihr Kloster im Stadtteil Raderberg an seine Kapazitätsgrenze gebracht. Vor dreieinhalb Jahren zog dort die 33. Nonne ein – und Schwester Emmanuela erinnert sich an den Satz einer Novizin: „Jetzt sind uns die Wände im Weg.“ Statt einer möglichen Erweiterung des Gebäudes wagte die Kommunität einen anderen Schritt: die Gründung eines neuen Klosters – und zwar im etwa 60 Kilometer entfernten Angermund, dem nördlichsten Stadtteil von Düsseldorf. Hier, in ländlicher Umgebung, versuchen nun sechs der Kölner Benediktinerinnen einen Neuanfang. Vor eineinhalb Jahren zogen sie in einen Ziegelbau aus den 1960er Jahren.
„Diese Mischung aus Einfachheit und Klarheit. Diese Atmosphäre der Stille. Eine tolle Immobilie“
Beim Rundgang mit Schwester Emmanuela wird klar, was sie an ihrem neuen Zuhause so fasziniert. Es ist das Konzept des Architekten Emil Steffann. Er entwarf das Gebäude als geistlichen Ort für Dominikanerinnen. Aber ihre Gemeinschaft wurde immer kleiner. Nach längerer Suche fanden sie in den Benediktinerinnen Nachfolgerinnen für ihr Katharinenkloster. Dieses liegt etwas erhöht auf einem künstlichen Hügel und verbindet auf eigene Weise Tradition und Moderne.
Alles, was man von einem Kloster erwartet, ist da. Zum Beispiel eine Kapelle. Die Sitzreihen ordnen sich aber im Halbrund um den Altar, ganz im Sinne der jüngeren Theologie mit ihrer Betonung der Gemeinschaft der Glaubenden. Schwester Emmanuela lenkt den Blick auf die Mauerstruktur aus unsortierten Steinen und das Spiel mit Licht. „Diese Mischung aus Einfachheit und Klarheit. Diese Atmosphäre der Stille. Eine tolle Immobilie“, schwärmt die 61-Jährige.
Mehr als 60 Klosterzellen ließ Steffann auf drei Stockwerken und 2500 Quadratmetern entstehen – eine Größe, die sich nur bei näherem Hinsehen erschließt. Und das Besondere der Anlage fiele auch erst dann richtig ins Auge, würde man im Garten eine Drohne aufsteigen lassen. Dann zeigt sich eine Anlage mit fünf Ecken: das Pentagon von Angermund. In der Mitte findet sich ein Innenhof, um den sich ein Kreuzgang und weitere Gänge mit den Zimmern legen.
Zur Auswahl standen auch ein großes altes Pfarrhaus im Ruhrgebiet und der Trakt eines Tagungshauses im Münsterland. Doch beides passte nicht so gut zu dem, was die Nonnen im Sinn haben: ein von alter benediktinischer Regel bestimmtes Leben mit viel Schweigen und täglich fünf Gebetszeiten, das sich aber nach außen hin öffnet – für einzelne Gäste oder kleine Gruppen, die ein paar Tage oder länger in der Gemeinschaft mitleben wollen. „Kloster als Lebensschule“, nennt das Schwester Emmanuela, wobei es nicht um die Gewinnung neuer Mitglieder gehe, sondern allgemein um Orientierung für sich selbst.
Seit gut einem Jahr leben die Schwestern in Angermund und renovieren nun nach und nach mit viel Eigenarbeit Dutzende von Räumen. Schwester Josephine, die als Mutter von drei Kindern und inzwischen sieben Enkelkindern relativ spät zum Orden fand, hat ein Talent für die Ausgestaltung der Zimmer: pastellfarbene Gardinen und helle Wände, an denen abstrakte Gemälde des Künstlers Wilhelm Opiela hängen. Sie stammen aus dem Fundus seines Sohnes Jan, der als Priester nicht allein leben will und ins Obergeschoss eingezogen ist. Häufig feiert „Bruder Jan“ mit den Schwestern in der Klosterkapelle die Sonntagsmesse, die inzwischen 80 bis 120 Besucher aus der Umgebung anzieht.
Die Frage, was die besondere Attraktivität der Gemeinschaft ausmacht, kann Schwester Emmanuela nicht beantworten. „Es gibt kein Erfolgsrezept“ – und viele ähnlich ausgerichtete Orden, die keinen Nachwuchs generieren. Viel spricht dafür, dass ihre agile Ausstrahlung zu dem Zulauf beiträgt. Bis 2022 war die promovierte Musikwissenschaftlerin, die sich zum Coach ausbilden ließ, Priorin und damit Chefin in Köln. Jetzt steht sie als ernannte Oberin der neuen Niederlassung vor. Doch ihre eigene Rolle redet Schwester Emmanuela klein – sie habe allenfalls „erfolgreich das neue Leben nicht an seiner Entfaltung gehindert“.
Vor allem aber steht sie dafür, dass wesentliche Beschlüsse gemeinsam getroffen werden. Ein Beispiel dafür ist der Entscheidungsprozess für Angermund. Nachdem alle Argumente ausgetauscht waren, zogen sich die Nonnen erst einmal drei Tage und Nächte zum Gebet zurück, um dann zur geheimen Abstimmung zu schreiten. Statt der erforderlichen Zweidrittelmehrheit gab es am Ende ein einstimmiges Votum. Binnen 15 Jahren muss sich das Angermunder Kloster von Köln abnabeln und autonom werden, so will es das Kirchenrecht. Das heißt auch, wirtschaftlich auf eigenen Füßen zu stehen. Schwester Clara trägt mit ihren Kräuterworkshops und ihrer Heilpraktiker-Praxis in einem der Räume zum Unterhalt bei. Ein anderer Gedanke springt Schwester Emmanuela im Kopf herum: die Garage zu einem Café umzubauen. Eine Idee von vielen.
In kleinen Klostergemeinschaften wie in Angermund sieht die Hausoberin ein Modell für die Zukunft der Kirche: „Denn diese Segelschiffe sind doch viel beweglicher, um neue Ufer zu erreichen, als der große Tanker eines breit aufgestellten Bistums.“
# Dominikaner in Vechta
„Es gibt etwas, das mehr wert ist“
Von Luzia Arlinghaus
Durch die große Fensterfront des Dominikanerklosters in Vechta kann man direkt auf einen Sportplatz schauen. Eine Pfadfindergruppe mit ungefähr 20 Jugendlichen rennt an diesem Freitagnachmittag über den Rasen, danach kommt eine Gruppe jüngerer Kinder. Sie toben und albern mit ihren Gruppenleitern herum. Zur einen Seite grenzt das Kloster an Wald und Sportplatz, zur anderen an die Klosterkirche und Schule. Das macht den Konvent in Vechta besonders. Denn es ist immer was los.
Die Schule mit ihren rund 700 Schülerinnen und Schülern und ungefähr 60 Lehrerinnen und Lehrern sei eines der „Hauptprojekte“ der Dominikaner, sagt Pater Ludger Fortmann (54), Prior des Klosters. Das Kolleg St. Thomas, ein katholisches Gymnasium, das seit über 100 Jahren besteht, wird in der Kleinstadt auch „Paterkasten“ genannt und ist für einige Schülerinnen und Schüler nicht nur der Ort, an dem sie pauken, sondern auch einer, an dem sie ihre Freizeit verbringen. Pfadfinder und Messdiener rekrutieren ihren Nachwuchs aus den Schulklassen und leiten ihre Gruppenstunden auf dem Klostergelände, ein Volleyballverein trainiert in der Schulsporthalle und es gibt in der Schule einen Chor und ein Orchester. Deswegen fühlen sich nach dem Abitur viele Schüler weiter mit dem Kolleg verbunden. „Thomaner“ oder „Thomanerin“ zu sein, ist identitätsstiftend.
Pater Gregor Naumann ist 35 Jahre alt. Als er vor über zehn Jahren nach Vechta kam, hatte er wenig Lust, Religionsunterricht an der Schule zu geben. Theologie hatte er schließlich studiert, weil er Seelsorger sein wollte. Nach ein paar Schulstunden aber merkte er: „Mit Schülern zu arbeiten, macht ja Spaß.“ Er studierte Politik als zweites Fach, ging fürs Referendariat zwei Jahre nach Köln und kehrte 2023 zurück nach Vechta – als Lehrer am Kolleg.
„Ich glaube, dass es kaum einen anderen Ort gibt, wo man Menschen über einen so langen und prägenden Lebensabschnitt begleiten kann wie in der Schule“, sagt Pater Ludger. Wenn er Wut in der Gesellschaft spürt, denke er, dass das „auch damit zu tun hat, dass die christliche Hoffnungsbotschaft und Gelassenheit aus der Welt verschwindet und eine Lücke hinterlässt“. Pater Ludger sagt: „Das finde ich schlimm.“ Was sie den Schülerinnen und Schülern mit in ihren Tornister geben wollen, sei die Gewissheit, unbedingt von Gott geliebt zu sein, sagt Pater Gregor, „egal, welche Leistung jemand erbringt oder ob er sich mal danebenbenimmt“.
Vor ein paar Monaten hat Pater Ludger einen ehemaligen Schüler und seine Frau getraut. Er weiß, dass es nicht mehr selbstverständlich ist, dass Paare ihre Ehe durch ein kirchliches Sakrament stärken. Viele wollen nur die standesamtliche Hochzeit oder eine freie Trauung. Deshalb schätzt Pater Ludger, dass ehemalige Schüler sagen: „Wenn ich heirate, meine Oma beerdigen oder mein Kind taufen lasse, dann mit den Dominikanern.“
In Vechta gehören die Männer mit ihren weißen Ordenskleidern und dem Rosenkranz am Gürtel einfach zum Stadtbild dazu. Seit ein paar Jahren haben sich zu den Patres zwei Dominikanerschwestern dazugesellt. Schwester Kerstin-Marie Berretz (44) lebte neun Jahre in einem großen Konvent in Oberhausen, wo der Altersdurchschnitt bei über 80 Jahren lag. Weil den Dominikanerinnen gleichzeitig immer mal wieder Novizinnen beitreten, suchten die Schwestern nach einem Ort, an dem junge Dominikanerinnen sein können, ohne permanent befürchten zu müssen, dass ihr Konvent bald schließt. Diesen Ort hat Kerstin-Marie in Vechta gefunden. Vor einem Jahr ist ihre Mitschwester Christina nach Vechta gekommen. Sie wohnen zusammen in einem Haus direkt am Schulhof und unterrichten Religion am Kolleg. Den Schülern will Kerstin-Marie vermitteln, dass „Christsein heute etwas mit meinem Leben zu tun hat. Ich muss nicht mehr so viel Angst haben, dass ich morgen weniger Geld im Portemonnaie habe, wenn ich lerne, es gibt etwas anderes, das mehr wert ist.“
Die beiden Schwestern mögen es, wie intensiv die Dominikaner in der Stadt integriert sind. „Man kommt hier in Vechta so leicht mit Leuten ins Gespräch. Ich habe schon mit wildfremden Leuten nach dem Fahrradfahren ein Bierchen gezischt. Jeder kennt das Kolleg. Das muss man mögen, aber ich finde es super“, sagt Schwester Kerstin-Marie. In den neun Jahren in Oberhausen sei sie viel anonymer unterwegs gewesen.
Auch Pater Gregor hat nach dem Referendariat in Köln schnell wieder Anschluss in Vechta gefunden. Dass er sich wohlfühlt, hat aber nicht nur mit der Stadt zu tun. Auch in einer Stadt, in der die Bahnverbindung geschmeidiger und die Winter angenehmer wären, würde er sich unwohl fühlen, wenn die Gemeinschaft nicht zu ihm passte, sagt er. Im Orden zu leben, heißt schließlich, gemeinsam zu wohnen, zu beten und zu arbeiten, auch wenn die Mitbrüder keine besten Freunde sind. „Wir haben ein angenehmes Gebetsleben. Es ist nicht total überbordend“, sagt Pater Gregor. Es werde nicht alles gesungen und er müsse sich nicht besonders anstrengen. Stattdessen beten sie dreimal am Tag 20 bis 30 Minuten, in denen „ich mit meinem lieben Gott in Kontakt kommen kann“, sagt er.
Wie jedem Orden machen auch den Dominikanern die Kirchenkrise und der Nachwuchsmangel zu schaffen. 2007 musste der Konvent in Walberberg schließen.
In Köln musste 2022 ein Konvent schließen, weil die meisten Brüder über 80 sind. Das Noviziat, die Ausbildungsstätte der Dominikaner, war über drei Jahrzehnte in Worms. Jetzt gibt es nicht mehr genug Patres, um die Novizen zu betreuen, deshalb ist die Einrichtung 2023 nach Vechta gewechselt. Neben den elf Dominikanerinnen und Dominikanern im Alter von 35 bis 88 Jahren leben und lernen jetzt drei junge Mitbrüder aus Augsburg, Siegen und Ungarn für ein Jahr in Vechta.
„Wir wollten uns rausholen aus dieser Man-erzählt-sich-was-Ecke“
Dass sich Menschen von der Kirche und vom christlichen Glauben entfernen, wissen die Patres. Sogar in ihrer Region, dem traditionell tiefkatholischen Oldenburger Münsterland, ist das spürbar. Wie überall ist ein Grund dafür der körperliche und geistliche Missbrauch und dessen Vertuschung. Als Leiter eines ehemaligen Jungeninternats wollten die Patres, von denen zu Internatszeiten noch keiner unterrichtete, Klarheit schaffen. „Wir wollten uns rausholen aus dieser Man-erzählt-sich-was-Ecke. Wir wollten fundiert und eingebettet in einen historischen Kontext wissen, wie das Internatsleben war“, sagt Pater Ludger. Aus eigener Initiative gaben sie eine Studie in Auftrag, die sich nicht ausschließlich mit Missbrauch, sondern auch mit der Internatsgeschichte befassen sollte. Eine Historikerin der Universität Vechta wertete Akten aus, befragte fast 200 ehemalige Schüler und verfasste eine 600 Seiten umfassende wissenschaftliche Arbeit, die Ende vergangenen Jahres veröffentlicht wurde. Das Fazit: Ehemalige, die das Kolleg in den 1950er und 1960er Jahren besuchten, berichteten von körperlicher, psychischer und sexualisierter Gewalt.
Pater Ludger erzählt, viele Ehemalige hätten ihm die Rückmeldung gegeben, dass sie es richtig finden, dass die Dominikaner eine Studie in Auftrag gegeben haben. Weil sie einen ehrlichen Blick auf das ermöglicht, was damals war. Und weil sie in ihrer Offenheit dazu beiträgt, dass die Menschen in Vechta das schätzen, was heute ist. Mittlerweile sind die Patres vor allem dafür bekannt, dass sie gut besuchte Sonntagsgottesdienste feiern und immer mal wieder die Menschen aus ihrer Stadt zu sich einladen. Zur Erbsensuppe beim Sommerfest, zum Frühstück nach der Frühschicht oder zum Umtrunk nach der Osternachtsmesse. Und die Menschen kommen gerne.
Zur Sache: In Deutschland leben aktuell 10.953 Ordensfrauen in 964 klösterlichen Niederlassungen sowie 3.349 Ordensmänner in 385 Niederlassungen. Die Hälfte der Männer sind älter als 65 Jahre. Bei den Ordensfrauen sind sogar rund 82 Prozent älter als 65 Jahre.