Schuldnerberatung der Caritas in Dresden

Wenn die Löcher zu groß sind

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Jana Schulze-Rehagel berät Schuldner für die Caritas in Dresden. Sie beschreibt, wie Menschen in die Schuldenfalle geraten – und warum von den Folgen des russischen Krieges gegen die Ukraine bisher wenig zu spüren ist.

Caritas-Schuldnerberaterin Jana Schulze-Rehagel    Foto: Andreas Borowicz

„Den klassischen, den typischen Schuldner gibt es nicht, jeder Fall ist verschieden. Das Leben ist zu vielgefächert, jeder Mensch schreibt seine eigene Geschichte“, sagt Jana Schulze-Rehagel. Seit 15 Jahren ist sie als Schuldner- und Insolvenzberaterin tätig, versucht, gemeinsam mit ihren Klienten Wege aus der Schuldenfalle zu finden. Seit sechs Jahren ist sie bei der Caritasberatung in Dresden.

Werbung verführt junge Leute zu hohem Konsum
Obwohl alle Schichten und Generationen vertreten sind, sagt Schulze-Rehagel, fällt ihr auf, wie viele Leute bereits in jungen Jahren zu ihr in die Beratung kommen. „Etwas salopp könnte man sagen: Viele sind jung und naiv“, sagt Schulze-Rehagel. „Sie leben über ihren Verhältnissen, haben nie gelernt, mit Geld umzugehen.“ Dieser Missstand vererbe sich regelrecht: „Von manchen jungen Menschen waren schon die Eltern hier.“
Wegen der Versäumnisse im Elternhaus sieht sie gerade in der Schule großen Nachholbedarf. Wo Heranwachsende auf den Ernst des Lebens vorbereitet werden sollen, müssten ihrer Meinung nach viel mehr Kenntnisse im Umgang mit finanziellen und rechtlichen Dingen vermittelt werden. „Zum Beispiel, wie ein Vertrag aufgebaut ist und worauf man achten muss, gerade mit Blick auf Laufzeiten und das Kleingedruckte.“ Der Klassiker: die scheinbar niedrigen Preise im ersten Vertragsjahr bei neuen Handys, die die Händler durch wesentlich höhere Kosten in den Folgejahren wieder ausgleichen.
„Die Werbung tut ihr Übriges. Gerade jungen Leuten wird vorgegaukelt, sie müssten immer das neueste Modell haben, um nicht hinterherzuhinken“, sagt Jana Schulze-Rehagel. Bei ihr in der Schuldnerberatung, sagt die Beraterin, werden die Nachteile der Konsumgesellschaft am lebendigen Beispiel sichtbar.
Aber auch Menschen im mittleren und höheren Alter haben mit Schulden zu kämpfen. „Bei dem einen ist die Selbstständigkeit in die Hose gegangen, der nächste hat Unterhaltsschulden nach einer Trennung. Und ein anderer kann wegen seiner Krankheit nicht mehr normal arbeiten gehen und hat deshalb nicht mehr so viel Geld zur Verfügung.“ Und dann sei da natürlich noch die Altersarmut, die um sich greife.

„Seit wann habe ich denn zwei Handyverträge?“
Eine Erstberatung in der Schuldnerberatung vergleicht Schulze-Rehagel mit einer Erstuntersuchung beim Arzt. „Wir klopfen alles ab, durchleuchten die finanzielle Situation. Dafür erstellen wir, was normalerweise jeder führen sollte: einen Haushaltsplan mit allen Ausgaben und Einnahmen.“ Viele betreten damit Neuland und stellen erstmals fest, wie viele regelmäßige, teils gar nicht bekannte Posten am Ende vor allem auf der Ausgabenseite stehen: Warum zahle ich immer noch diese Versicherung? Und seit wann habe ich eigentlich zwei Handyverträge?
Danach wird geschaut: Welche Verträge aus besseren Zeiten werden nicht mehr gebraucht? Welche Unterstützung bietet der Staat, wie etwa Wohngeld oder den Familienpass, mit dem manche Einrichtungen kostenfrei besucht werden können? „Viele haben gar nicht auf dem Schirm, dass es solche Angebote gibt“, sagt Jana Schulze-Rehagel.
Die Coronapandemie habe die Situation verschärft, gerade bei denjenigen, die bei den staatlichen Hilfspaketen durchs Raster gefallen waren. „Auf einmal standen auch der Yogalehrer, der privat unterrichtende Musiklehrer und andere aus dem Künstlermilieu bei der Beraterin vor der Tür.“

Energiekostenpauschale wurde einfach gepfändet
Ganz anders sieht es aus, wenn es um die Folgen des russischen Krieges gegen die Ukraine geht. „Es kommt ja gerade erst die Zeit, in der wir die Heizung aufdrehen“, so Schulze-Rehagel. Aber die enormen Preissteigerungen in allen Bereichen, zum Beispiel an der Supermarktkasse? „Die werden sich auswirken. Aber die meisten kommen nicht gleich zu uns, wenn die ersten Rechnungen nicht mehr beglichen werden können. Teilweise werden jahrelang Löcher gestopft, ehe sie merken: Es geht nicht mehr.“
Was sie von Kanzler Scholz‘ „Wumms“-Maßnahmen hält? „Als Schuldnerberaterin kann ich das nicht abschließend bewerten“, sagt Schulze-Rehagel. „Einerseits helfen die Maßnahmenpakete natürlich. Andererseits handelt es sich meist um Einmalzahlungen, deren Effekt schnell wieder verpufft. Der nächste Monat wird dann umso härter.“ Aus ihrer Sicht braucht es Lösungen, die von Dauer sind. Ein weiteres Problem, das die Caritas-Beraterin schon erlebt hat: „Nachdem die Energiekostenpauschale auf dem Konto eingegangen war, konnte sie gepfändet werden. Bei Gericht musste man dafür einen Antrag auf Freigabe stellen. Wir kennen Fälle, bei denen trotzdem die Pauschale gepfändet wurde, da der Klient es falsch formuliert hatte. Als er zu uns kam, war es schon zu spät.“
Und was empfehlt sie denjenigen, die zur Caritas in die Beratung kommen und nicht wissen, wovon sie Weihnachtsgeschenke für ihre Kinder bezahlen sollen? „Für absolute Härtefälle, für Menschen am untersten Existenzminimum gibt es da Möglichkeiten. In Dresden und Ostsachsen zum Beispiel die Stiftung Lichtblick, eine Initiative der Sächsischen Zeitung, die Bedürftigen ganz gezielt hilft. Vergleichbares gibt es auch in anderen Regionen.“

Von Stefan Schilde