Die Bedeutung der Predigt im Gottesdienst - ein Interview

Wenn die Predigt aufstößt ...

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Eine Wittichenauer Weihnachtspredigt wird über die Pfarrei hinaus diskutiert. Es geht um Inhalte, aber auch um die Bedeutung der Predigt im Gottesdienst und angemessene Formen, auf das Gesagte zu reagieren. Der Tag des Herrn sprach darüber mit dem Erfurter Liturgiewissenschaftler Benedikt Kranemann.

An der Predigt sind Gottesdienstbesucher hierzulande in der Regel eher nicht aktiv beteiligt.   
Foto: Walter Wetzler
Wie können Gottesdienstbesucher angemessen auf eine Predigt reagieren, wenn sie den Eindruck haben, dass der Prediger durch seine Worte Menschen verletzt oder in anderer Weise von der Botschaft des Evangeliums abweicht?
 
Sicher wäre es gut, zunächst innerhalb der Gemeinde auf den Prediger zuzugehen und mit ihm ins Gespräch zu kommen. Es hat eine Zeit gegeben, in der viele Gemeinden Predigtgespräche anboten. Dort gab es die Möglichkeit nachzufragen, manche Aspekte zu vertiefen und auch kontrovers über die Predigt zu sprechen.  In manchen Gemeinden gibt es Bibelteilen und andere Formen des Schriftgesprächs oder Kirchenkaffees, bei denen die Teilnehmer auf einfache Weise auch mit den Predigern ins Gespräch kommen. All dies kann zu einer verbesserten Qualität der Predigten und damit der Liturgie beitragen. Die Erwartungen an Gottesdienste sind gestiegen. Wenn Gottesdienstbesucher über die Qualität der Liturgie sprechen, haben sie zuerst die Musik und die Predigt im Blick. Es wird in unserer Kirche gerade viel über Synodalität geredet. Dabei wird immer deutlicher, dass Kirche nicht darin bestehen kann, dass die einen das abnicken, was andere sagen. Eine Auseinandersetzung mit Predigt- inhalten und ein gemeinschaftliches Ringen darum ist wichtig. Es liegt nahe, im Zuge dessen auch verstärkt über die Predigtkultur nachzudenken.
 
HINTERGRUND
Umstrittene Predigt
Die Weihnachtspredigt des Benediktinerpaters Joachim Wernersbach in Wittichenau (Bistum Görlitz) ist in vielen Medien diskutiert worden. Auslöser war eine von Gottesdienstbesucherinnen initiierte Online-Petition, die dem Prediger homophobe und diskriminierende Äußerungen vorwarf.
Die saarländische Abtei Tholey, die Pater Wernersbach für die Seelsorge in Wittichenau freigestellt hatte, nahm die Predigt zum Anlass, dem 62-Jährigen vorläufig die pastorale Betätigung für das Umland von Tholey zu verbieten. Abt Mauritius Choriol kündigte an, eine kirchliche Untersuchung mit Analyse des Predigttextes zu beauftragen. Zudem bat er den Görlitzer Bischof Ipolt, der sich zunächst nicht zu dem Vorgang äußern wollte, um eine  Stellungnahme. Laut Katholischer Nachrichtenagentur erklärte Ipolt, der Pater „sollte auf jeden Fall persönlich Stellung beziehen zu seiner Predigt und sich für einzelne gegebenenfalls verletzende oder missverständliche Äußerungen auch entschuldigen“. Die von ihm angesprochenen Fragen gehörten aber „durchaus in den Diskurs unter uns Christen und müssen vom Evangelium her beleuchtet werden“. Dafür sei eine Predigt aber „nicht der richtige Ort“. (tdh)

Was verstehen Sie unter einer guten Predigtkultur?

 
Zu einer guten Predigtkultur gehört meines Erachtens, dass die, die predigen, glaubwürdig sind und nah dran sind an der Gegenwartskultur und an den Fragen, die Menschen heute bewegen. Neben der Lebenserfahrung von Priestern und Diakonen sollten dabei – selbstverständlich mit Kompetenz – vielfältige andere Erfahrungen mit eingebracht werden, zum Beispiel die von Müttern, Journalisten oder Medizinern, von Frauen und Männern aller Generationen. Durch die geltende Festlegung, dass die Auslegung des Evangeliums in Messfeiern Priestern und Diakonen vorbehalten ist, nehmen wir uns derzeit große Chancen für den Gehalt und die Akzeptanz der Predigt. Natürlich wird das regional unterschiedlich gehandhabt. Es bräuchte aber verlässliche Regelungen. Und es müsste mehr in eine gute Predigt-Ausbildung investiert werden.
 
Gehört zu den Qualitätsmerkmalen einer Predigt auch, dass sie niemanden verärgert?
 
Nein. Zu einer guten Predigt gehört, dass man sich mit ihr auseinandersetzen, ja auch an ihr reiben kann. Sie fordert die Anwesenden heraus, das Geschehen des Gottesdienstes zu vertiefen. Wer Widerspruch erntet, erfährt doch immerhin, dass seine Zuhörer geistig wach sind. Eine Predigt, die den Meinungsquerschnitt der Gemeinde abbildet, wäre langweilig und oberflächlich. Meiner Beobachtung nach erwarten Gottesdienstbesucher gar nicht so sehr, dass die eigene Meinung in der Predigt bestätigt wird. Wichtiger ist ihnen die  überzeugende Person, deren Lebenserfahrung hinter den Worten erkennbar ist und mit der die Auseinandersetzung lohnt.  
Natürlich dürfen Einzelne oder Gruppen nicht diffamiert werden, wie das in Wittichenau offenbar geschehen ist. Niemandem darf der Glaube abgesprochen werden und Predigten sollten auch nicht moralinsauer daherkommen.
 
Ist die Predigt denn überhaupt der richtige Ort für kontroverse Themen?
 
Unbedingt. Wenn man die vier Evangelien liest, stößt man auf vier kontroverse Theologien. Die Bibel zeigt, dass man über den Glauben im Gespräch sein muss. In der Geschichte der Predigt gab es immer wieder große Prediger – zum Beispiel aus den Orden –, die Kontroversen hervorgerufen haben, dadurch aber auch Debatten um Glaubensfragen weitergebracht haben.
 
Und wie sieht es bei der Weihnachtspredigt aus? Ein langjähriger Predigtausbilder am Erfurter Priesterseminar pflegte seinen Schülern zu empfehlen, sie sollten ihren Zuhörern an Weihnachten nicht mit allzu kritischen Worten den Gänsebraten verderben ...
 
Benedikt Kranemann

Ich meine nicht, dass man sich nur auf die vorgeblich friedliche Atmosphäre von Weihnachten beschränken sollte. Weihnachten hat auch seine provokanten  Seiten. Ein guter Prediger spürt heraus, was zu welchem Anlass angemessen ist, was zum Beispiel zu Weihnachten, einer Tauf- oder Hochzeitspredigt angesagt ist oder in eine bestimmte Jahreszeit passt. Je mehr er im Kontakt mit seiner Gemeinde ist, umso besser spürt er das. Auf keinen Fall aber sollte er  – oder eben sie – sich darauf beschränken, mit schönen Worten Hehres zum Ausdruck zu bringen.

 
Manche Priester klagen, man könne heutzutage gar nicht mehr klar die kirchliche Lehre vertreten ...
 
Was ist denn „die“ kirchliche Lehre? Das, was im römischen Katechismus steht? Das, was ein Papst, ein Bischof, eine Theologin oder ein Theologe sagen? Das lässt sich doch so auf den Punkt gar nicht formulieren.
Predigten müssen die Frohe Botschaft in ihrer Lebensrelevanz deutlich machen, so, dass ihre Zuhörer für ihr Christsein im Alltag bestärkt werden. Predigten sollen heute lebensnahe Verkündigung bieten.
 
Soziale Medien haben in Wittichenau für eine zusätzliche Polarisierung gesorgt. Das ist sicher nicht hilfreich, liegt aber wohl in der Natur der Sache. Könnten die sozialen Medien vielleicht dennoch eine gute Rolle bei der Auslegung der Bibel übernehmen?
 
Durchaus. Es gibt ja zum Beispiel mittlerweile Gruppen, die sich in sozialen Netzwerken zum Bibelteilen treffen. Um sich über die Predigt auseinanderzusetzen, etwa in Wittichenau, wo die Predigt ja in Präsenz gehalten wurde, ist es wohl hilfreicher, dies ebenfalls in Präsenz zu tun. Sich zeitnah nach einer Predigt, die Anstoß erregt hat, noch einmal zu treffen und darüber zu diskutieren, ermöglicht eine andere Sachlichkeit.
Wenn Gesprächsteilnehmer sich in einem geschützteren Raum darüber austauschen, was sie zum Beispiel gestört hat und wodurch sie sich persönlich angegriffen fühlen, ist es einfacher, einander zu verstehen.
 
Interview: Dorothee Wanzek