Schlechtes Benehmen in der Kirche
Wenn im Gottesdienst Nüsse fliegen
Schlechtes Benehmen in der Kirche? Wenn wir glauben, dieses Thema sei aus gutem Grund in aller Kürze abzuhandeln, liegen wir falsch. Der Hildesheimer Theologe Guido Fuchs hat ein ganzes Buch über dieses Thema geschrieben.
Wo anfangen? Nehmen wir zum Beispiel Papst Urban VIII., der 1642 ein Machtwort sprach und den Genuss von Tabak im Gottesdienst verbot. Wie bitte? Warum? „… weil Kleriker und Priester sogar während der Feier der hochheiligen Messe sich nicht scheuen, den Tabak mit dem Munde oder mittels der Nase zu sich zu nehmen, die heiligen Linnengewänder des Heiligtums zu besudeln und die Kirchen zum Ärgernis der Frommen unter Missachtung der heiligen Handlung mit dem ekelhaften Geruche zu infizieren“. Starker Tobak, dem der Heilige Vater in seiner Bulle „Cum ecclesia“ ein Ende setzen musste.
Es ist ein ganzes Register von Fettnäpfchen, Fehltritten, ungehobeltem Benehmen und peinlicher Missachtung jeglicher Etikette, was der Hildesheimer Theologe Guido Fuchs in seinem Buch „Kleine Geschichte des schlechten Benehmens in der Kirche“ zusammengetragen hat. Um eins aber gleich vorweg zu nehmen: Auf den rund 180 Seiten geht es nicht um den erhobenen Zeigefinger oder um eine Art Hitparade, bei der die größte Verfehlung unter dem Beifall der Schadenfrohen und Selbstgerechten auf Platz Eins landet. Vielmehr geht es Fuchs darum, all das, was wir in seinem Buch – mal ungläubig, mal amüsiert – erfahren, in den Zusammenhang mit der Liturgie zu stellen, in unser sich seit Beginn an wandelndes Verständnis, was uns wichtig und heilig ist. Oder in manchen Fällen eben besser sein sollte. Eine Liste von Schenkelklopfern würde dieser Sache nicht gerecht.
Schon Paulus schrieb mahnende Worte
So erfahren wir gleich zu Beginn, wie sich schon die ersten Christen Gedanken über den würdigen Umgang mit dem Herrenmahl gemacht haben, also dem, was wir heute im Gottesdienst als Kommunion bezeichnen und nur noch als – kurz gesagt – symbolische Handlung in Form einer Hostie und manchmal einem kleinen Schluck Wein kennen. Für die kleine Gemeinde in Korinth war dieses Herrenmahl in Verbindung mit dem Gottesdienst tatsächlich eine sättigende Mahlzeit. zumindest für die Betuchten; denn wer wegen seiner Arbeit später kam, musste sich mit den Resten zufrieden geben. Wir lesen also von sozialen Unterschieden, die Paulus zum Anlass nimmt, der von ihm gegründeten Gemeinde die Leviten zu lesen. Schleches Benehmen sei es, wenn die einen satt und schon betrunken sind, während die anderen noch Kohldampf schieben. Stellen wir uns vor, so ungerecht würden heute Gäste einer ganz profanen Geburstagsfeier behandelt, dann wird klar, dass Paulus hier, wo es um die Gemeinschaft mit Christus geht, in seinem Brief an die Korinther geradezu einen Skandal kritisiert.
Nur Äußerlichkeiten – das wäre verkürzt
Guido Fuchs macht an diesem Beispiel deutlich, worum es ihm vor allem geht: Schlechtes Benehmen in der Kirche auf reine Äußerlichkeiten zu verkürzen, würde der Sache nicht gerecht. Denn, so zitiert er aus dem vor 20 Jahren erschienenen Knigge des äthiopischen Prinzen und Unternehmensberaters Prinz Asfa- Wossen Asserate: Es reicht nicht aus, irgendwelchen Benimmregeln zu folgen; es geht um die innere Haltung und die Herzensbildung.
Eigentlich wissen wir ja selbst genau: In der Nase popeln, angeregte Unterhaltung mit dem Banknachbarn vor Beginn des Gottesdienstes, Kaugummi kauen – das macht man einfach nicht, auch wenn es regelmäßig zu beobachten ist. Was aber, wenn wir auf die Idee kämen, während der Predigt Nüsse zu knacken oder durch die Gegend zu werfen? Undenkbar? Von wegen! Genau das nämlich war öfter Grund zur Klage als wir es uns vorstellen wollen, zum Beispiel in Bern vor 300 Jahren. Möglicherweise schütteln Sie ungläubig den Kopf, wenn Sie in diesem Zusammenhang erfahren, dass solch ungebührliches Verhalten auch noch einen religiösen Hintergrund hat: Symeon von Emesa, Eremit des 6. Jahrhunderts und „Narr um Christi Willen“, zog nicht nur einen toten Hund hinter sich her, sondern bewarf die Menschen im Gottesdienst mit Nüssen und blies die Kerzen aus.
Nehmen wir ein anderes Beispiel, die Predigt. Es gab Zeiten, da erfuhr sie Aufmerksamkeit, von der mancher Pfarrer heute nur träumen kann, wenn er in die gelangweilten Gesichter vor sich schaut. So mitreißend waren diese Ansprachen, so aufwühlend und emotional, dass die Gläubigen in Scharen kamen, Beifall klatschten, mit ihren Schnupftüchern winkten – und dann den Gottesdienst verließen, weil sie den Rest für uninteressant hielten.
Wir lernen: Kein Abstand ist geringer als der zwischen zwei Fettnäpfchen. Das zieht sich mit schöner Konstanz durch 2000 Jahre Kirchengeschichte in immer neuen Varianten bis in unsere Tage; denn selbstverständlich sollte heute das Handy nicht im Gottesdienst klingeln. Aber ist es Etikette, wenn der Pfarrer während der Predigt das Display im Auge behält, weil er dort seine Stichpunkte notiert hat? Kommt durchaus vor, weiß Guido Fuchs und schildert, dass selbst vor dem ausgesetzten Allerheiligsten die Litanei vom Handy abgelesen wird.
Stefan Branahl