Paulusschüler, Mediator, Gesandter

Wer war Timotheus?

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Sieben Wochen lang stammt die zweite Lesung des Sonntags aus einem der beiden Briefe an Timotheus. Teilweise sind sie sehr persönlich. Das wirft die Frage auf: Wer war dieser Mann?

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Bischof und Märtyrer soll Timotheus gewesen sein. Vielleicht. Hier eine Buchmalerei aus dem Menologion Basileios II., um 1000. Foto: wikimedia

Von Susanne Haverkamp

Da haben sich zwei gesucht und gefunden. Oder besser: Einer hat gesucht, Paulus, und zwar einen zuverlässigen und treuen ständigen Mitarbeiter – und einer wurde gefunden: Timotheus. Zahlreiche Schriften des Neuen Testaments bezeugen: Mit der ersten Begegnung der beiden war ein Dreamteam geboren.

Timotheus ist derjenige von den über 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der ersten Stunde, die in der Apostelgeschichte und den Briefen erwähnt sind, von dem wir am meisten wissen. Allerdings längst nicht so viel, dass es für eine ganze Biografie reichen würde. Die Leerstellen werden gerne mit Legenden aufgefüllt. Aber die kommen am Schluss. Am Anfang steht wie üblich die Herkunft, die Familie. Und die scheint weiblich geprägt gewesen zu sein.

Timotheus stammt aus Lystra im Südosten der heutigen Türkei, rund 300 Kilometer entfernt von Paulus’ Heimatstadt Tarsus. Paulus besuchte die Stadt auf seiner ersten Missionsreise (Apostelgeschichte 14,8–20), heilte dort einen Lahmen und predigte gegen die heidnischen Götter, die er „Nichtse“ nannte. Doch sein Erfolg war überschaubar: Bei einem Tumult wurde er mit Steinen beworfen, vor die Stadt geschleift und entging nur knapp dem Tod.

Erzogen von Großmutter und Mutter

Einen gewissen Eindruck scheint er dennoch hinterlassen zu haben. Denn als Paulus wenige Jahre später auf seiner zweiten Missionsreise wieder in Lystra vorbeikommt, gibt es bereits eine christliche Gemeinde. 
Zu ihr gehören offenbar die gebürtige Jüdin Loïs, ihre Tochter Eunike und deren Sohn Timotheus; von dessen Vater ist nur insofern die Rede, dass er „Grieche“ war, also an heidnische Götter glaubte. Die Frauen hingegen scheinen Timotheus christlich erzogen zu haben, denn im zweiten Timotheusbrief heißt es: „Ich denke an deinen aufrichtigen Glauben, der schon in deiner Großmutter Loïs und in deiner Mutter Eunike lebendig war und der nun, wie ich weiß, auch in dir lebt.“ (2 Tim 1,5)

Paulus muss schon vorher in den Städten Derba und Ikonien von diesem Timotheus gehört haben; als geeigneten Mitarbeiter haben ihn die dortigen Gemeinden wohl empfohlen. Und nach dem Kennenlernen sah Paulus das offenbar auch so – bis auf eine Kleinigkeit: Weil sein Vater Heide war, war Timotheus unbeschnitten, und das hätte bei anderen judenchristlichen Gemeinden Ärger hervorrufen können. Und so ließ Paulus den neuen ständigen Mitarbeiter „mit Rücksicht auf die Juden, die in jenen Gegenden wohnten, beschneiden“. (Apg 16,3)

Ob das eine historische Tatsache ist oder eher ein Hinweis der Apostelgeschichte auf die damals hochumstrittene Beschneidungsfrage, darin sind sich Bibelwissenschaftler uneins. Sicher aber ist: Von Stund an war Timotheus der engste Mitarbeiter des Paulus, sein Vertrauter, seine rechte Hand. In zahlreichen Paulusbriefen wird er als Mitabsender ausdrücklich erwähnt, anderswo nennt Paulus ihn „Sohn“ (1 Korinther 4,17), „Bruder“ (2 Korinther 1,1) oder Mitarbeiter (1 Thessalonicher 3,2; Römer 16,21).

Mitautor und Feuerwehrmann

Am wichtigsten war aber wohl seine Rolle als bevollmächtigter Gesandter. Schon im ersten Brief an die Thessalonicher, geschrieben um das Jahr 50/51 nach Christus und damit das älteste Zeugnis des gesamten Neuen Testaments, kommt das zum Ausdruck. Paulus schreibt dort: „Darum hielten wir es nicht länger aus; wir beschlossen, allein in Athen zurückzubleiben, und schickten Timotheus, unseren Bruder und Gottes Mitarbeiter am Evangelium Christi, um euch zu stärken und in eurem Glauben aufzurichten, damit keiner wankt in diesen Bedrängnissen“ (1 Thessalonicher 3,2–3).

Als Paulus diesen Brief an die Gemeinde schreibt, ist Timotheus schon wieder bei ihm: „Inzwischen ist aber Timotheus von euch zu uns zurückgekommen und hat uns gute Nachricht von eurem Glauben und eurer Liebe gebracht.“ Vermutlich ist der Brief, der Timotheus als Mitverfasser nennt, inhaltlich wesentlich bestimmt von dessen Bericht aus Thessalonich.

Im Jahr 54 schickt Paulus Timotheus nach Korinth. Hier muss er sich als Mediator beweisen, denn die dortige Christengemeinde ist zerstritten; Spaltungen, Parteiungen und Richtungsstreit prägen das Bild. Vielleicht auch deshalb mahnt Paulus eindringlich: „Wenn Timotheus kommt, achtet darauf, dass ihr ihn nicht entmutigt, denn er arbeitet im Dienst des Herrn wie ich. Keiner soll ihn gering schätzen.“ (1 Korinther 16,10) Wie die Reise ausging, weiß man nicht. Timotheus scheint sich aber Respekt verschafft zu haben, denn im zweiten Korintherbrief wird er ausdrücklich als Mitverfasser genannt; seine Autorität stärkt die des Paulus.

Und dann gibt es da noch die beiden Briefe an Timotheus. Sie sind deuteropaulinisch, das heißt: Als Absender steht Paulus drauf, aber sie sind später von jemandem geschrieben, der sich auf die Autorität des Paulus beruft. Angeschrieben wird Timotheus als Gemeindeleiter in Ephesus, Bibelwissenschaftler sagen aber: Die Briefe spiegeln Probleme, die deutlich später auftraten; dass Timotheus als Empfänger genannt wird, ist eher theologische Fiktion als historische Wirklichkeit.

Mythen und Legenden

Und damit sind wir bei den Mythen und Legenden, die sich rund um den heiligen Timotheus entwickelt haben. Quelle sind vor allem die sogenannten „Timotheusakten“, das sind Schriften, die im vierten Jahrhundert entstanden sind und später erweitert und ergänzt wurden. Nach diesen Akten war Timotheus der erste Bischof von Ephesus. Im Neuen Testament ist davon nicht die Rede, aber nachdem das Bischofsamt so wichtig geworden war, dachte man sich: Muss wohl so gewesen sein.

Ebenso wichtig war das Martyrium. Auch Timotheus soll es erlitten haben, sagen die Akten. Er soll in Ephesus während eines wichtigen heidnischen Festes gegen Götzendienste protestiert haben, woraufhin ihn die Menge gesteinigt habe. Sogar das Datum wissen die Akten: 22. Januar. Jahr unbekannt.

Sein Leichnam soll nach Konstantinopel überführt und neben Lukas und Andreas bestattet worden sein, wie Hieronymus 356 erzählt. Von dort kamen die Gebeine 1204 in die Kathedrale von Termoli, wo sie am 11. Mai 1945 bei Bauarbeiten wiederentdeckt wurden. Vielleicht sind es seine. Vielleicht auch nicht.