Görlitzer Jerusalem

Wie aus der Zeit der Kreuzritter

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Auch wenn manche sich wünschen, das Görlitzer Jerusalem sei entstanden als Folge himmlischer Eingebungen – die Gründe sind durchweg menschlicher Natur: Sex, Macht und Geld. Erhalten geblieben ist uns ein originaler Nachbau des Heiligen Grabes, wie es ihn heute so kein zweites Mal mehr gibt.


Der gekreuzigte Christus in der Görlitzer Golgatha-Kapelle.

Wer wem zuerst schöne Augen gemacht hat, spielt für den Fortgang der Geschichte eine untergeordnete Rolle. Es bleibt aber festzuhalten: Eine heiße Affäre zwischen dem Sohn eines reichen Görlitzer Kaufmanns und der Nachbarin, ebenfalls aus gutem Hause, blieb nicht ohne Folgen. Es geht um Georg Emmerich, zum Zeitpunkt des Geschehens nicht mehr ganz taufrische 40, aber nach Abschluss des Jura-Studiums heimgekehrt voller Tatendrang, und die hübsche Benigna Horschel, die kurz darauf ihren Eltern reinen Wein einschenken muss.

Das wird nicht nur familienintern zu einer energischen Aussprache gekommen sein, auch die künftigen Großväter dürften ein paar deutliche Worte gewechselt haben. Das Problem: Eine Hochzeit kommt nicht infrage; denn die Familien gehören unterschiedlichen Konfessionen an und damit auch verfehdeten politischen Lagern. Bürgermeister Urban Emmerich vertritt als Katholik die Sache des ungarischen Königs. Ratsherr und Protestant Nikolaus Hörschel ist überzeugter Anhänger des böhmisch-hussitischen Königs. Beide Herrscher liegen im Streit, es geht um die Frage, wer im Sechsstädtebund (neben Görlitz gehören dazu Bautzen, Kamenz, Lauban, Löbau und Zittau) das Sagen hat.

Eine Pilgerfahrt als Zeichen der Sühne

Wir können davon ausgehen, dass das vor der schadenfrohen Öffentlichkeit bald nicht mehr zu verheimlichende Ergebnis der Liebesnacht stadtintern für reichlich Gesprächstoff gesorgt haben dürfte. Die Frage: Wie kommt Georg Emmerich aus dieser Nummer raus? Die Antwort: Eine Pilgerfahrt ins Heilige Land als öffentliches Zeichen der Sühne. Damals – wir reden vom 15. Jahrhundert – nicht unüblich für Leute, die Dreck am Stecken hatten und sich ein solch abenteuerliches Unternehmen finanziell und zeitlich leisten konnten.
 


„Zum Heiligen Kreuz“ im Abendlicht.
Von der Golgathakapelle führt ein
Riss hinab in die Adamskapelle.

Jemand wie Emmerich junior machte sich kaum in Sack und Asche auf den weiten Weg, sondern war in der Regel von einem Gefolge begleitet, das ihn unterwegs aus gefährlichen Situationen raushauen konnte, ihm das Nachtlager organsisierte und für ein halbwegs angenehmes Reisen sorgte. Immerhin wird der bußfertige Pilger, so schildern es die historischen Unterlagen, bei seinem Besuch in Jerusalem 1465 zum Ritter des Heiligen Grabes geschlagen.
Vor Ort versinkt Georg Emmerich nicht nur im frommen Gebet, sondern verfolgt auch noch einen ehrgezigen Plan: Er will nach seiner Rückkehr die heiligen Stätten Jerusalems nachbauen lassen. Das dürfte Eindruck schinden und seinen Ruf dauerhaft rehabilitieren. Während er sich also daran macht, die örtlichen Gegebenheiten zu skizzieren und zu vermessen, spielt ihm das Schicksal in der Heimat in die Hände.

In Görlitz kommt es nämlich zu einer Kraftprobe, die als „Pulververschwörung“ in die Geschichtsbücher eingeht. Ohne jetzt in die vielen Details abzuschweifen, deren letztlicher Wahrheitsgehalt immer noch Historiker beschäftigt, kann der Fortgang dieser Aktion so zusammengefasst werden: Der Versuch misslingt, die katholischen Kräfte in Görlitz zu entmachten, unter den Protestanten wird konsequent aufgeräumt und auch Nikolaus Hörschel verliert jedes Privileg als Ratsherr.

Die Situation ist so, dass nach der Rückkehr des Pilgers niemand es wagt, spöttische Bemerkungen wegen einer Liebesnacht auch nur in Erwägung zu ziehen. Stattdessen steigt Georg Emmrich die Karriereleiter bis zur letzten Stufe, heiratet in eine reiche Familie ein, wird erfolgreicher Kaufmann und hat das Amt des Bürgermeisters quasi abonniert.
 


„Was sucht ihr den Lebenden
bei den Toten?“ Blick auf das
Heilige Grab mit den weggeräumten
Felsen.

Das alles im Hinterkopf zu haben ist durchaus erhellend, wenn wir heute im Görlitzer Landschaftspark eine Kopie der Heiligen Stätten bewundern. Damals lag das Gelände noch außerhalb der Stadt, auf dem Hügel gab es einen sogenannten Schandacker. Emmerich wählte es, weil es ziemlich genau 720 Meter gelegen ist von der Kirche St. Peter und Paul, in etwa also die Länge des Kreuzweges Jesu hat, der Via Dolorosa. Oberhalb des Baches Lunitz, der ihn an den Kidron erinnerte, ließ er zwar etwas verkleinert, aber maßstabsgetreu ein zweites Heiliges Grab bauen mitsamt der Adams- und Golgathakapelle und der Salbungskapelle. Der Olivenhain Gethsemane und die Wiese, auf der die Jünger lagerten, sind ebenfalls nachempfunden.

Sellbst an die Steine der Grabwächter wurde gedacht

Wenn wir uns für ein paar Minuten auf einen der beiden Steinquader vor dem Heiligen Grab setzen, können wir uns fühlen wie die Wächter, die vor 2000 Jahren den Leichnam Jesu bewachten. Wir sehen auch genau das, was es heute in Jerusalem so nicht mehr zu sehen gibt: Die Grabeskirche, erbaut Ende des 11. Jahrhunderts von den Kreuzrittern nach der Eroberung von Jerusalem. Immer wieder ist sie umgebaut, erweitert und neu gestaltet worden, das Grab Jesu selbst wurde zuletzt nach schwierigen Verhandlungen zwischen den verschiedenen christlichen Konfessionen vor fünf Jahren instand gesetzt.

Warum schwierig? Weil der wohl bedeutsamste Ort der Christen heute nicht nur von den Katholiken beansprucht wird, sondern auch von den Griechisch-Orthodoxen, der Armenischen Apostolischen Kirche, den Syrisch-Orthodoxen von Antiochien, von den Kopten und den Äthiopiern. Jeder achtet penibel auf seine Rechte, und notfalls werden Ansprüche hin und wieder handgreiflich geregelt. Von daher können wir sagen: Allzu viel hat sich seit dem Konfessionsstreit zu Zeiten Georg Emmerichs in Görlitz nicht geändert.

Stefan Branahl