Fasten unterwegs
Wie eine Pause im Leben

Foto: imago/zoonar
Während der Touren gibt es nur Tee, Wasser und Gemüsebrühe.
Eines gehörte für Christoph Michl zu jeder Tour dazu: der Gang in Kirchen und Kapellen am Wegesrand. Dort hat er gerne eine Rast gemacht, wenn er mit einer Gruppe Fastenwanderer unterwegs war. „Es war auch oft der Wunsch der Teilnehmer, dort hineinzugehen“, sagt Michl. Einen Liederzettel mit bekannten Stücken wie „Großer Gott, wir loben dich“ oder „Du, Sonne der Gerechtigkeit“ hatte er immer im Rucksack. Er spürte: Das Fasten und ein Besuch in der Kirche passen zusammen. Dort kamen die Teilnehmer zur Ruhe und konnten ihren Gedanken nachgehen. „Die Kirche ist ein Raum der Stille und der Besinnung. Genau das Richtige beim Fastenwandern“, sagt Michl.
1984 hat der heute 78-Jährige zum ersten Mal das Fastenwandern in einer Gruppe angeboten. Er selbst war schon damals von der Mischung aus sportlicher Herausforderung und Nahrungsverzicht begeistert. Heute gibt es viele Anbieter solcher Exerzitien, immer mehr Menschen möchten das Fastenwandern ausprobieren.
In der Regel ist eine Wandergruppe eine Woche unterwegs. Früher wanderten Michls Gruppen fastend bis zu 20 Kilometer pro Tag. Heute ist das Wanderpensum in der Regel auf 12 bis 17 Kilometer beschränkt. Morgens gibt es Wasser und Kräutertees, Hafertee und Zitronenwasser, tagsüber frischen Saft und am Abend eine leichte Gemüsebrühe. Mehr nicht.
„Früher hieß es immer, dass Leute, die fasten, sich nicht anstrengen dürfen. Sie sollten sich ruhig verhalten, zu Hause bleiben, am besten auf dem Sofa liegen. Aber das stimmt nicht“, sagt Michl. Er hat über all die Jahre erlebt, wie das Fasten Energie freisetzt. „Wir fühlen uns stärker, freier und können viel mehr schaffen.“ Wenn der Körper sich nicht mehr mit der Verdauung beschäftigen müsse, kämen die Teilnehmer zur inneren Ruhe, entspannten sich und könnten ihren Gedanken leichter nachgehen. „Sie finden nun auch eher einen Zugang zur Schöpfung und zum Schöpfer.“ Er selbst ist fastend von der Nordsee bis in die bayerischen Alpen gelaufen. Er war in Israel, Ägypten, Tunesien und im Himalaya unterwegs.
"Die Gemeinschaft in der Gruppe trägt die Leute. Die vergessen schlicht die Nahrungsaufnahme."
Und die Lust, etwas Deftiges oder Süßes zu essen? „Lust vielleicht. Aber Hungergefühle kennen die wenigsten“, behauptet Michl. Er erzählt, dass Teilnehmer seiner Touren durchaus Respekt, gar Angst davor hatten, die Wanderung nicht ohne ein Brötchen oder wenigstens einen Müsliriegel zu schaffen: „Aber jeder hat es gepackt. Die Gemeinschaft in der Gruppe trägt die Leute. Die vergessen schlicht die Nahrungsaufnahme.“

Manche sagen, der dritte Fastentag sei ein Krisentag, an dem das Hungergefühl besonders stark sei und man das Fasten an sich infrage stelle.Michl hat das nie gespürt. „Das Fasten ist für mich eine Pause im Leben, um frisch und lebendig zu bleiben.“ Das hat er auch bei seinen Touren mit Gruppen erlebt: Der Stress lässt nach, Unruhe und Ängste verschwinden. „Die Freude am Leben nimmt zu und die Dankbarkeit. In der Gruppe fühlen sich die sicher.Die Leute bekommen durch das Fasten einen neuen Schwung“, sagt er.
Seit einigen Jahren führt Michl keine Touren mehr. Stattdessen hat er ein ausgebildetes Team an Fastenwanderleitern aufgebaut. Er lebt bei Stade, in der Nähe von Hamburg, und konzentriert sich auf das Schreiben von Büchern. Denn ihm ist wichtig, dass den Menschen bewusst wird, wie sie sich ernähren sollten und welche Auswirkungen das für die Gesundheit hat. „Die Industrienahrung schadet unserem Körper weithin“, sagt er.
Am Ende des Fastens, wenn man sich mit einem Apfel und Salat langsam wieder an feste Kost gewöhnt, hat er den Gruppen beigebracht, sich bewusst Zeit für das Essen zu nehmen und dankbar für die Nahrung zu sein, sie zu genießen und sie bewusst und gründlich zu kauen. „Das entlastet auch den Magen und den Darm“, sagt Michl. So bliebe die Energie da, wo sie wichtig sei: im Kopf und im Herzen.