Auf ein Wort

Wie oft muss ich vergeben?

Die Frage beschäftigte schon die Jünger Jesu. Die Antwort: Vergeben müssen wir immer wieder. Aber es gibt auch Grenzen, schreibt Pater Franz Richardt, Franziskaner im Kloster Ohrbeck bei Osnabrück.

Das kennen wir alle aus Erfahrung: Vergeben ist nicht leicht, aber ohne Vergebung geht das Leben auch nicht. Es ist frustrierend, immer wieder auf den gleichen Fehler, die gleiche Charakterschwäche, die gleiche Vergesslichkeit bei anderen zu stoßen und dennoch zugewandt zu bleiben. Petrus fragt, wie oft er vergeben muss: „Bis zu siebenmal?“ Jesus darauf: „Nicht: bis zu siebenmal, sondern bis zu siebzigmal siebenmal.“ Auf Deutsch: immer wieder. Täglich neu. Eine Überschrift in einem Schülerspiel zu dieser Stelle lautete: „Vergebung lernen hat kein Ende, aber Vergebung verweigern ist lebensgefährlich.“ Ja, Vergebung zu bekommen, tut gut. Vergebung verweigert zu bekommen, tut weh, kann zugrunde richten. 

Oft empfindet sich ja jemand selbst als Last, wenn er oder sie immer wieder bekennen muss: „Ach, hab ich vergessen.“ Wer wäre nicht gerne anders, frei von Fehlern, frei von diesem „Immer wieder“. „Einer trage des anderen Last“, das fördert gedeihliches Miteinander, meint der Apostel Paulus. Deswegen bleibt „Siebenmal siebzigmal“ für das normale Alltagsleben unaufgebbar.

Bei schweren Verletzungen allerdings, zum Beispiel bei Gewalt jedweder Art, sexualisierter Gewalt oder geistlichem Machtmissbrauch, wird man mit einer solchen Forderung vorsichtig sein. Es kann sein, dass Vergebung zeitweise gar nicht geht. Oft braucht es lange Zeit und mühsame Reifungsprozesse, bis jemand so weit ist, innerlich von der Verletzung unabhängig zu werden. Das ist dann das Siebenmalsiebzigmal. Die Mühe ist bewundernswert, kann aber nicht gefordert werden.

Pater Franz Richardt