Ausstellung „Bombensicher“ auf Schloss Weesenstein
„Wir ertranken im Wein“
Ein Schreckliches und mögliches Kriegsszenario: Die Sixtina brennt. Die Filmintallation steht am Begin der Ausstellung auf Schloss Weesenstein. Fotos: Holger Jakobi |
Stille. Die Besucher blicken auf die Sixtinische Madonna. Plötzlich ein Rascheln und Knistern. Flammen züngeln an der Madonna empor, bevor das ganze Bild im Feuer untergeht. Diese Video-Installation steht am Anfang und sie macht sofort betroffen. Sie zeigt, was aus dem weltbekannten Gemälde am 13. Februar 1945 – der Nacht, in der Dresden massiven Luftangriffen ausgesetzt war und zu großen Teilen zerstört wurde – geworden wäre: Asche.
Bereits vor Kriegsbeginn reagiert
Warum es nicht soweit kam, dokumentiert die Ausstellung „Bombensicher“, die bis 7. Oktober auf Schloss Weesenstein bei Dresden gezeigt wird. Roland Enke erinnert in seinem Beitrag „Schloss Weesenstein als Auslagerungsort für Werke der Dresdner Gemäldegalerie“ – erschienen im Katalog – daran, dass bereits vor Beginn des deutschen Überfalls auf Polen am 1. September 1939 Maßnahmen zum Schutz der Museumsschätze ergriffen wurden. „Noch schien der Krieg weit entfernt, noch blieb das Zerstörungspotenzial durch gegnerische Fliegerbomben reine Utopie.“
Konkret erließ der Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Bernhard Rust, am 28. August 1939 eine Anordnung zum „vorsorglichen Schutz von Kulturgütern und Kunstwerken der Museen, Sammlungen und Schlösser“. Mit der Schließung von Museen und ersten Auslagerungen wurde reagiert. Auf der Suche nach geeigneten Verstecken geriet Schloss Weesenstein schnell ins Blickfeld. Dicke Mauern, tiefe Keller erscheinen den NS-Kulturfunktionären ideal. Mit den Auslagerungen wurde 1942/43 begonnen. Zuerst wurden Werke gesichert, die man in eine sogenannte erste Kategorie eingeordnet hatte. Darunter die Sixtinische Madonna, die in einem Eisenbahntunnel bei Cotta untergebracht wurde. Weitere Verstecke waren unter anderem die Festung Königstein, das Stift Joachimstein an der Neiße (heute Polen), das Großdepot auf der Albrechtsburg in Meißen oder die Kapelle auf Schloss Sachsenburg. In Weesenstein fanden unter anderem Jan van Eycks kleiner Flügelaltar, Jean-Etienne Liotards „Schokoladenmädchen“ oder Rembrandts „Simson, an der Hochzeitstafel das Rätsel aufgebend“ Schutz. Aber auch der Maya-Codex, Bestände der Landesbibliothek und der naturkundlichen Sammlungen wurden verstaut. Vieles von dem ist für alle Zeit verloren. Besonders die Kunstgüter privater Sammler sind verschollen. Sie hatten sie ebenfalls den Verstecken anvertraut. Der Grund dafür: Die so genannten „Trophäenbrigaden“ der Roten Armee leisteten nach ihrem Einrücken ganze Arbeit. Es waren Experten, die genau wussten, wonach sie suchten.
In der Ausstellung kommen Zeitzeugen zu Wort. So die damals zehnjährige Brigitte Mumme. Sie sagt: „Wo ist die Sixtina? Wo ist die Sixtina? rief ein Offizier immer und immer wieder. Es hat höchstens zwei Wochen gedauert, bis alles weg war.“ Die Dresdner Kunstschätze wurden zwischen 1955 bis 1958 von der Sowjetunion zumeist zurückgegeben. Doch längst nicht alles. Verschwunden ist bis heute zum Beispiel die wertvolle Dante-Bibliothek aus dem Besitz von König Johann von Sachsen, die 1945 aus dem Schloss Moritzburg entwendet wurde.
Zu Wort kommen weitere Zeitzeugen. Darunter Oskar Pusch, dessen Erinnerungen von einem Schauspieler. Oskar Pusch, der in der Dresdner Bombennacht seine Frau verloren hatte, wurde vom Landesverein Sächsischer Heimatschutz, dem damaligen Eigentümer, nach Weesenstein geschickt. Damit unterstützte der Verein die im Schloss lebende Verwalterin. In seinen Erinnerungen heißt es: „Um vor unvorhergesehenen Überfällen wenigstens der Frauen gegenüber gewappnet zu sein, hatten wir Männer eine ständige Nachtwache bei zweistündiger Ablösung eingeführt. Die SS (Sturmstaffel, militärische Organisation unter der Führung von Heinrich Himmler, die an den Verbrechen der Nazis beteiligt war) hatte ich händeringend von der Nutzlosigkeit ihres Tuns überzeugen wollen, bis sie schließlich zu unserer Erleichterung in Richtung Burkhardswalde abzogen.“
Doch es gab noch ein weiteres Problem: Die 200 000 Flaschen Wein eines Dresdner Großhändlers. Die Angst ging um, dass dieser den heranrückenden Russen in die Hände fallen könnten. Oskar Pusch erinnerte sich: „Hungernde und dürstende Flüchtlinge zogen ununterbrochen am Schloss vorüber und wir ertranken im Wein.“ Weesensteins damaliger Bürgermeister zog in Erwägung, den Wein einfach in die Müglitz zu kippen. Pusch weigerte sich. „Das war bei der großen Menge nahezu unmöglich und es widersprach auch meiner Achtung vor den Weinen der Mosel und des Rheines.“ Schließlich einigte man sich, ihn für wenig zu verkaufen. „Wir gaben den umliegenden Gemeinden, Lazaretten und den Bewohnern Gelegenheit, Wein billig zu Gunsten des Besitzers zu erwerben. Das Geschäft ging glänzend.“ Doch die Menge blieb. Oskar Pusch kam dem Verlangen entgegen, den Wein kostenlos in Empfang zu nehmen. Jeder konnte so viele Flaschen mitnehmen, wie er tragen konnte. Bei der Aktion soll allerdings eine Mitarbeiterin so begeistert bei der Sache gewesen sein, dass sie nach gutem Weingenuss nicht mehr arbeitsfähig war.
Nachstellung eines Kunstlagers für wertvolle Bilder. |
„Das Mittelalter kam wieder in Erinnerung“
Die Dokumentation Oskar Puschs und die Gestaltung der einzelnen Stationen der Ausstellung mit Holzkisten, die Unruhe in das sonst so beschauliche Schloss bringen, versetzen die Besucher in die letzten Kriegstage des Jahres 1945 und in die Wochen danach. Oskar Pusch: „Besonders die Nächte vor dem Einmarsch der Russen waren schaurig gewesen. Immer wieder kamen feindliche Geschwader von Flugzeugen aus dem Westen. Wir hörten die Alarmsirenen von Heidenau und verbrachten die Zeit dann dicht gedrängt in unseren starken Felsenkellern. Das Mittelalter kam wieder in Erinnerung.
Die Ausstellung thematisiert ebenso den Kunstraub der Nazis in ganz Europa. Im so genannten „Sonderauftrags Linz“ für das geplanten „Führermuseums“ von Adolf Hitler hatten die Dresdner Galeriedirektoren Hans Posse und Hermann Voss beauftragt, dafür ab 1939 tausende Kunstwerke zusammenzutragen. Eine ihrer „Quellen“ waren jüdische Sammlungen. Mit dem Überfall auf Polen und dann auf die Sowjetunion begann unter dem NS-Ideologen Alfred Rosenberg der organisierte Raub von Kunst- und Kulturgüter in den besetzten Gebieten. „Unter ihm“, so Margitta Hensel im Katalog, „kam es mit weit mehr als 20 000 Werken zum größten Kunstdiebstahl in der Geschichte. Hauptsächlich jüdisches Eigentum wurde beschlagnahmt – die Menschen wurden meist deportiert und in den Lagern in den Tod geschickt.“ Zu den deutschen „Sammlern“ gehörte auch Hermann Göring. Nach der Besetzung von Paris fuhren in seinem Auftrag 29 Züge Raubgut ins Deutsche Reich.
Im Jahr 2018 wird das Jubiläum der 700-jährigen Ersterwähnung von Schloss Weesenstein in einer markgräflichen Urkunde gefeiert. Die Ausstellung „Bombensicher! Kunstversteck Weesenstein 1945“ findet im Rahmen des von der EU geförderten dreijährigen Projekts „Adelsschätze. Die Lust am Sammeln in Sachsen und Böhmen“ statt.
„Bombensicher“ auf Schloss Weesenstein bis 7. Oktober täglich von 10 bis 18 Uhr.
Von Holger Jakobi