Interview mit Bischof Heiner Wilmer
„Wir können immer noch viel von Godehard lernen“
Vor 1000 Jahren wurde der heilige Godehard zum Bischof von Hildesheim geweiht. Am 5. Mai 2022 startet aus diesem Anlass ein Godehardjahr. Was ist das Ziel? Worum geht es dabei? Bischof Heiner Wilmer gibt darüber im Interview mit der KirchenZeitung Auskunft.
Herr Bischof, Sie haben ab Mai kommenden Jahres ein Godehardjahr ausgerufen. Was erwarten Sie davon?
Mit dem Godehardjahr wollen wir zu unseren Quellen, um uns zu stärken und um uns gegenseitig, aber auch anderen in Kirche und Gesellschaft, Wege zu Hoffnung, Begeisterung und Zuversicht aufzuzeigen. Der heilige Godehard bietet sich als Inspiration förmlich an. Er hat Menschen zusammengeführt, sich für Bildung eingesetzt, war bei den Armen und hat aus einem tiefen Glauben gelebt. Wir können viel von ihm lernen.
In den ersten Informationen über das Jahr wurde mehrfach darauf hingewiesen, dass es bei den Planungen nicht um einen Event-Charakter gehen dürfe. Um was geht es denn?
Es geht darum, uns neu geistlich zu verwurzeln, um dann gestärkt die nächsten Schritte zu gehen: Ausgespannt zwischen: Wo kommen wir her? Auf welche Fundamente können wir bauen? Wo wollen wir hin? Zu wem sind wir gerufen? Was ist unsere Aufgabe im Hier und Jetzt? Wir wollen einander ermutigen, unseren Glauben zu vertiefen sowie neue Wege und Formen zu wagen, um das Evangelium zu bezeugen.
Der Titel des Jahres lautet „Glauben geht. GO!“ Wie geht glauben heute? Wie wichtig ist Bewegung dabei?
Christinnen und Christen machen immer wieder die Erfahrung, dass ihr Glaube nicht statisch ist: Unser Glaube kennt Höhenflüge und Durststrecken, Umwege und Sackgassen, manchmal auch Panoramastraßen. Es ist hilfreich, sich diese innere Bewegung bewusst zu machen, sie sich zuzugestehen und gerade dann, wenn es schwierig wird, dranzubleiben. Für mich ist es immer wieder gut, dies auch körperlich zu erleben. Dies hilft mir, innerlich nicht zu verkrampfen und stumpf zu werden.
Der Untertitel heißt „Jesuanisch, benediktinisch, menschlich“. Klingt etwas sperrig, was verbirgt sich dahinter?
Zunächst Jesuanisch: Godehard hat sich an Jesus Christus orientiert. Das hat ihn frei und zuversichtlich sein lassen. Als Christinnen und Christen wird uns die gute Botschaft geschenkt. Eine Botschaft, die uns immer wieder aufrichtet. Gleichzeitig sind wir gerufen, diese Botschaft auch weiter zu schenken, damit möglichst viele Kraft, Zuversicht und Stärke für ihr Leben erhalten. Dann benediktinisch: Godehard lebte nach der Regel des heiligen Benedikt. Er lebte aus dem Gleichgewicht von Beten und Arbeiten und Lesen, von geistlicher Ruhe und kreativem Aufbruch. Die Benediktsregel und das geistliche Leben der Benediktiner sind heute noch ein faszinierender Lebensentwurf, der auch außerhalb von Klostermauern inspirieren kann. Schließlich menschlich: Von Godehard wird häufig erwähnt, wie wichtig es ihm war, nah an den Menschen zu sein. Dazu gehörten für ihn nicht nur das Zuhören, Schulen bauen und Orte der Seelsorge zu schaffen, sondern auch ein Ausbau der Armenfürsorge. Heute tangiert das besonders Fragen von Kinderarmut, Bildungsgerechtigkeit und Inklusion, aber auch Themen wie Migration, Europa und Solidarität. Hinter so einem kleinen, fast selbstverständlichen Begriff wie „menschlich“ verbergen sich also fast alle politischen Fragen dieser Zeit.
Welche Bedeutung hat Godehard für die Geschichte des Bistums?
Der heilige Godehard ist einer der berühmtesten und einflussreichsten Hildesheimer Bischöfe (1022–1038) und hat viele Generationen von Gläubigen inspiriert. Viele, viele Menschen sind in früheren Zeiten zu seinem Grab gekommen, um Stärkung für ihren Weg zu bekommen. In der Haltung Jesu zu leben, hat den heiligen Godehard zutiefst durchdrungen – als Mensch, als Benediktiner und als Bischof. Godehard war ein großartiger Seelsorger und Erneuerer. Godehards Ansatz war weniger zu befehlen als zu überzeugen. Er hat klar Position ergriffen und sich für eine geistliche Erneuerung eingesetzt. Auch gegen Widerstände setzte sich Godehard schon vor seiner Zeit in Hildesheim als Abt für Reformen in Niederaltaich, Tegernsee und Bad Hersfeld ein. In Hildesheim galt sein Augenmerk auf dem Ausbau der Armen- und Krankenfürsorge sowie der Förderung der Bildung. Es ist belegt, dass er Kirchen im ganzen Bistumsgebiet gründete.
Was können wir heute von Godehard lernen?
Es ist in der Vita überliefert, dass Godehard 1022 nach dem Tod Bernwards die kaiserliche Anfrage, das Bischofsamt in Hildesheim zu übernehmen, zunächst vehement ablehnte. Lieber wollte er in Bayern Abt bleiben, als im hohen Norden Bischof werden. Dennoch ließ er sich mit 62 Jahren, für damalige Zeit schon recht alt, auf diesen Schritt ein. Er tat den ersten Schritt in die Ungewissheit hinein, was ihn erwarten würde, er zeigte Mut und einen Aufbruchsgeist. Sein Glaube gab ihm Kraft. Offenheit, Neugier, Wille zur Erneuerung und Zuhören waren seine Stärken – alles Eigenschaften, die wir heute brauchen können.
Unter dem Label Godehardjahr laufen Veranstaltungen wie der alljährliche Religionslehrertag, ein Treffen zum interreligiösen Dialog oder ein sogenanntes Meadow-Festival. Was hat das mit Godehard zu tun? Wird dem Heiligen da etwas übergestülpt?
Das Godehardjahr dient dazu, uns zu vergewissern und das zu stärken, was uns in eine Kirche der Zukunft leitet. Und viele der Themen, mit denen wir uns als Kirche beschäftigen – von Bildung über Berufung hin zu allen sozialen Bereichen – lassen sich, ohne uns zu verbiegen, direkt mit Godehard und seiner Vita verbinden. Als ein Bischof, dem Dialog und Nähe zu den Menschen wichtig waren, genauso wie Teilhabe und Gerechtigkeit, gepaart mit einer tiefen Verankerung in der Heiligen Schrift, liefert er uns Impulse für die unterschiedlichen Situationen. Er hilft uns, genau hinzuschauen und zu reflektieren, wie wir Kirche eine zukunftsweisende Gestalt geben können und damit Erbe und Auftrag miteinander verbinden.
Ein Element im Godehardjahr ist eine Pilgertour von Niederaltaich nach Hildesheim. Was genau ist geplant?
Wir werden den Weg von Niederaltaich nach Hildesheim zu Fuß zurücklegen. Dies wird ein Gemeinschaftsprojekt: Der Weg ist in acht Routen unterteilt worden, sodass verschiedene Gruppen jeweils ein Teilstück zurücklegen. Es gibt kürzere und längere Strecken, manche sind etwas herausfordernder, andere etwas leichter. Mehrere Schulklassen wollen sich beteiligen. Das freut mich sehr. Wir haben auch bereits einige Pilgerbegleitungen, weitere werden gesucht. In meinen Ferien habe ich in Niederaltaich mit dem dortigen Abt Marianus Bieber und dem Ortsbischof Stefan Oster über unseren Pilgerweg gesprochen. Die Planungen laufen auf Hochtouren. Das Bistum Passau und die anderen Bistümer auf dem Weg haben uns alle ihre Unterstützung zugesagt. Das ist wirklich großartig. Ich lade alle Gläubigen unseres Bistums ein, diesen Pilgerweg mitzugehen. Auf der Homepage des Godehardjahres findet sich der aktuelle Stand der Planungen.
Wir haben im Bistum, in Deutschland und jetzt auch weltweit einen Synodalden Weg. Die Kirche von Hildesheim befindet sich auf vielen Ebenen im Umbruch. Wie fügt sich da das Godehardjahr ein?
Der heilige Godehard ist zwar nicht der Erfinder der Synodalität, aber er hat seinem Bistum das Synodale ins Stammbuch geschrieben: In seiner Zeit hat er hier im Bistum Hildesheim viele Synoden durchgeführt. Und tatsächlich hat es im Bistum nach der Zeit Godehards immer wieder Synoden gegeben. Wir können hier immer noch viel von ihm lernen. Synodalität betrifft das ganze Volk Gottes. Das, was mich wirklich freut ist, dass wir im Moment in der Kirche viel Diskussion und Engagement erleben. Es wird sehr viel gerungen. Im Bistum. In Deutschland und in der ganzen Welt. Das ist nicht leicht. Aber notwendig. Es geht gerade ums Eingemachte. Und ich bin davon überzeugt, dass uns Godehard immer wieder rät, noch tiefer zu schauen. Die eigentliche Frage ist doch: Warum gibt es die Kirche? Wozu ist sie da? Sie ist dazu da, den Menschen nicht nur zu sagen, dass Gott mit ihnen zu tun haben will, sondern: Gott ist für dich da. Er geht mit dir durch dick und dünn. Wenn wir uns diesen tiefen Fragen nähern, können wir, davon bin ich überzeugt, unsere Strukturfragen leichter lösen.
Corona ist nicht vorbei, die Planungen für viele Veranstaltungen bleiben mit Unsicherheiten behaftet. Haben Sie in dieser Situation über eine Absage des Godehardjahres nachgedacht?
Ich bin zuversichtlich, dass wir nächstes Jahr viel weiter sind als jetzt. Wir müssen natürlich in unseren Planungen umsichtig und flexibel bleiben. Es kann sein, dass wir aufgrund der Corona-Lage bestimmte Elemente des Godehardjahres nicht so realisieren können wie gedacht. Aber: Das Godehardjahr findet statt.
Eine Frage zu einem anderen Thema: Während der letzten eineinhalb Jahre hat die Kirche angesichts von Corona zahlreiche Aktivitäten ins Digitale verlagert. Erste Stimmen sagen schon, „Wir sollten das beibehalten“. Kann das tatsächlich auf Dauer eine Alternative sein? Lebt Kirche nicht ungemein von persönlicher Begegnung? Geht Glauben wirklich digital?
Das Herz ist real, nicht digital. Insofern sind digitale Formate eine sinnvolle Ergänzung, aber sie ersetzen die persönliche Begegnung nicht. Ebenso geht es nicht ohne Orte der Glaubenserfahrung und der Besinnung. Deshalb ist es ja, trotz aller Einschränkungen, so wichtig gewesen, die Kirchen während der Pandemie offen zu halten. Und ich bin sehr dankbar, dass so viele sich dafür eingesetzt haben und noch einsetzen, dass wir präsentische Gottesdienste feiern können. Ich danke allen Menschen in unserem Bistum, die viele neue Nöte gesehen und anderen geholfen haben, geplant oder einfach ganz spontan.
Fragen: Matthias Bode