Caritas-Straßenambulanz in Hannover

Wo es wirklich weh tut ...

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Tagestreff, Männerwohnheim, Notunterkunft: Die Straßenambulanz des Caritasverbandes Hannover ist eine Arztpraxis auf Rädern. Die KirchenZeitung war mit auf „Sprechstunde“.


Startklar: Arzt Benjamin Hoffmann und Kranken-
schwester Regina Zimmermann haben alle
Utensilien verstaut. | Foto: Wala

Alles dabei? Benjamin Hoffmann wirft noch mal einen Blick in seine Arzttasche, die Hand geht zum Stethoskop, das er sich schon um den Hals gelegt hat. Batterien steckt der 35-Jährige ein. Für ein mobiles Kartenlesegerät.

Hoffmann ist seit einem knappen halben Jahr festangestellter Arzt bei der Straßenambulanz der Caritas Hannover. Der erste in 18 Jahren. Seit 1999 kümmert sich die Caritas medizinisch um Frauen, Männer und auch Kinder, die auf der Straße leben, keine Krankenversicherung haben oder schlicht den Weg in eine Arztpraxis nicht schaffen. Der Hintergrund: Die Zahl der Wohnungslosen in der Landeshauptstadt steigt – die Verwaltung geht von 4000 Menschen aus.

Gleichzeitig geht die Zahl der ehrenamtlich Engagierten bei der Straßenambulanz zurück. „Wir suchen dringend Ärzte, ehrenamtlich oder auch in Teilzeit“, sagt  Projektkoordinatorin Ramona Pold. An sieben Standorten ist die Arztpraxis auf Rädern neun Mal in der Woche für Patienten da.

Ambulanz leistet 2500 Behandlungen pro Jahr

Im letzten Jahr wurden mehr als 2500 Behandlungen durchgeführt – von Infekten über die Wundversorgung bis hin zu längerfristigen Therapien.  

Die Wundversorgung machte einen Großteil seiner Arbeit aus, berichtet Benjamin Hoffmann. Gerade auf der Straße können scheinbar harmlose Verletzungen schwere Folgen haben. Von der fachärztlichen Ausbildung her Anästhesist, hat sich Hoffmann jetzt wieder intensiv mit Allgemeinmedizin beschäftigt. Insbesondere in der Wundversorgung habe sich viel verändert, erzählt er bei der Fahrt zur ersten Sprechstunde, der Tageswohnung und Treff Kötnerholzweg. Hoffmann sitzt selbst am Steuer.

Der eigentlich für die Ambu­lanz reservierte Parkplatz ist besetzt. „Wieder einmal“, sagt Regina Zimmermann schulterzuckend. Die 66-jährige Krankenschwester ist heute als Ehrenamtliche dabei.  Eigentlich müsste sich das Ordnungsamt darum kümmern. Aber passiert ist nichts, wie Hoffmann und Zimmermann bei einer kurzen Stippvisite bei der Leiterin des Tagestreffs erfahren.

Eine junge Frau ist die erste Patientin des Tages. Tattoos, Piercing, gezackte Muster im Haar. Ein hartnäckiger Durchfall quält sie. Hoffmann und Zimmermann nehmen sich Zeit. Wiederholt fragen sie nach und immer mehr Details ihrer Krankengeschichte werden offenbar. Ein Zuckertest wird gemacht. Der Wert ist leicht erhöht, aber im Toleranzbereich.

Auffällig: Auch bei den drei weiteren Patienten, die Regina Zimmermann zum Teil aus dem Tagestreff abholt, geht es nicht um schnelle Diagnosen und die Vergabe von Medikamenten. Arzt und Krankenschwester versuchen hinter die Symptome zu schauen – auch bei Patienten, die in der Ambulanz  schon länger bekannt sind.

„Erkältung, Schmerzen … – das sind meist nur vordergründige Erscheinungen“, meint Regina Zimmermann. Seit sechs Jahren, mit Eintritt in den Ruhestand, engagiert sich die Krankenschwester bei der Straßenambulanz: „Wir versuchen die Alltagssorgen unserer Patienten mit in den Blick zu nehmen. Schließlich möchten wir ihnen auch ein Stück Würde zurückgeben. Das ist uns ganz wichtig.“
 


Spritzen geben, Medikamente verordnen – und
reden: Alltag in der Straßenambulanz. | Foto: Wala

Nächste Station: ein Männerwohnheim der Stadt Hannover. Eine ehemalige Grundschule. Kleine Zimmer, durchgelegene Matratzen, fehlende Schränke,  wenig Waschgelegenheiten, verkrustete Tassen, Wasserkocher an abenteuerlichen Elektrokonstruktionen.  Ein Obdach zum Abschrecken ...

Hausbesuche im Männerwohnheim

Heute ist überraschend wenig los. Hoffmann und Zimmermann  können sich auf zwei „Hausbesuche“ konzentrieren. Beim ersten Patienten hat Hoffman in den vergangenen Wochen gegen offene Beine gekämpft, ihm auch einen mobilen Pflegedienst besorgt. Bettlägerig hat der Mann lange Zeit niemanden an sich herangelassen – mit gravierenden Folgen. Jetzt sind die Beine rot und geschwollen. Sie nässen noch, aber sind weitgehend geschlossen. In wenigen Tagen wird der Mann in ein Pflegeheim umziehen. „Endlich“, sagt Hoffmann.
Der zweite Hausbesuch: Der Patient sitzt im Rollstuhl.  Schmerzen, Lähmungserscheinungen, eine schwere Leberzirrhose: „Ich habe viel gesoffen – und bin jetzt hier gelandet“, räumt er freimütig ein: „Dass sich die Ambulanz hier um mich kümmert, dass ist eine großartige Sache.“  

Hoffmann hatte über ein mit der Caritas zusammenarbeitendes Labor das Blut des Patienten untersuchen lassen. Die Diagnose: eine durch den Mangel von Vitamin B 12 bedingte Anämie, eine Folge der geschädigten Leber. Er möchte ein langfristige Therapie mit dem Medikament versuchen. Der Patient stimmt zu.

Hoffmann und Zimmermann wirken nachdenklich auf der Fahrt zurück zum Caritasverband. Dort gibt es am Nachmittag eine weitere Sprechstunde. Armut macht krank – das wissen beide. Aber gerade deshalb gehen sie immer wieder dahin, wo es weh tut.

Kontakt: Straßenambulanz, Caritas Hannover, Ramona Pold, Telefon: 05 11/126 00 10 72, E-Mail: r.pold@caritas-hannover.de

Rüdiger Wala