Jugendarbeit

Wo Jugendliche Ballast loswerden

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Zwei Frauen lächeln in die Kamera.
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Foto: Matthias Schatz

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Nina von Ohlen (re.) und Projektleiterin Karla.

In Via bietet mit dem „Krisennetz“ ein neues Gesprächsangebot für Jugendliche und junge Erwachsene, und zwar von Angesicht zu Angesicht.

„Wir geben keine Ratschläge“, stellt Ann-Christin klar. Ratschläge sind ja bekanntlich auch Schläge. Und die können Menschen in der Krise nun wirklich nicht vertragen. Das weiß auch die 27 Jahre junge Ehrenamtliche, die sich in dem neuen Projekt „Krisennetz“ von In Via Hamburg, einem Fachverband der Caritas, engagiert. „Wir fragen vielmehr, wie sich die Person in der vergangenen Woche gefühlt hat.“ Solche Gespräche finden von Angesicht zu Angesicht statt, etwa in einem Café, beim Spaziergang in einem Park oder auch in einem behaglich eingerichteten Raum bei In Via. Die Organisation ergänzt damit ihr Online-Projekt U25. Das neue Angebot wende sich „an Menschen, die keine professionelle Hilfe in Anspruch nehmen wollen, andererseits aber einen Gesprächspartner brauchen“, erklärt Nina von Ohlen, Leiterin Ehrenamt bei In Via Hamburg und zuständig für U25 Hamburg und das Krisennetz.

Das Krisennetz steht für junge Menschen bis zum Alter von 27 Jahren bereit. „Wir wollen sie ein halbes Jahr begleiten, treffen uns dazu mit ihnen pro Woche für eine Stunde oder auch alle zwei Wochen für zwei Stunden“, sagt Karla, die das Projekt leitet und ebenfalls nur – wie die ehrenamtlichen Beraterinnen – mit Vornamen genannt werden möchte. Die 32 Jahre alte Lara begleitet ehrenamtlich derzeit eine Siebzehnjährige. „In dieser Lebensphase kommt sehr viel zusammen: Ausbildung, eigenständiges Leben, persönliche Themen. Mein Auftrag ist es, zunächst zuzuhören.“ So könne die Jugendliche Ballast loswerden, ohne bewertet zu werden. „Gemeinsam sortieren wir die Dinge und setzen Prioritäten.“

Ann-Christin (li.) und Lara im Gesprächsraum bei In Via, wo sie sich auch mit Jugendlichen treffen. Foto: Matthias Schatz

„Wer Beratung sucht, beschreibt oftmals eine Lebenssituation, in der er nicht so weitergehen kann, wie er sich das vorgestellt hat“, berichtet Nina von Ohlen. Sie berichtet von einer 16-Jährigen, die Ängste drücken und die daher nicht mehr zur Schule gehen will. „Andere haben niemanden, mit dem sie richtig sprechen können. Sie fühlen sich in ihrem Umfeld nicht wohl, sind einsam und brauchen jemanden, der ihnen neutral zuhört.“ Durch die Gespräche sollten sie dann auch Anstöße bekommen. Im Vorfeld werde auch eingegrenzt, ob die Person suizidgefährdet sei. In diesem Falle werde an eine andere Beratung weitervermittelt.

Zwiespältig wird die Rolle der sozialen Medien gerade im Hinblick auf das auch gesellschaftlich immer bedeutsamer werdende Thema Einsamkeit gesehen. „Sie suggerieren ein Bild von Gemeinschaft. Digitale Kontakte können aber die Begegnung nicht ersetzen“, sagt Lara. Teils beeinträchtigten sie das Selbstwertgefühl, etwa durch Cybermobbing. „Andererseits ermöglichen diese Medien aber auch soziale Kontakte.“ Der Weg zu In Via sei bei einigen auch Anstoß, mehr Zeit draußen zu verbringen, weiß Nina von Ohlen.

Meist sind es junge Frauen, die sich ehrenamtlich im Krisennetz engagieren. Von den 14 Beratern sind nur drei männlich, obwohl die Ratsuchenden bislang etwa jeweils zur Hälfte männlich und weiblich sind. Sie haben zunächst eine Ausbildung durch Karla und Nina von Ohlen erhalten. In 20 Stunden, die sich auf fünf Termine verteilen, werden ihnen Fragemethoden und Zuhörtechniken vermittelt. Ann-Christin und Lara haben zudem einen pädagogischen Hintergrund. Der ist aber keine Voraussetzung für die Tätigkeit. Wohl aber sollten sie mindestens 18 Jahre alt und eine empathische Haltung haben, wie Karla sagt.

„Wir sind begeistert, dass wir so schnell so viele Ehrenamtliche gewinnen konnten“, sagt Nina von Ohlen. Wenigstens für dieses Jahr sei damit der Bedarf gedeckt. So gelte es nun vor allem, auf das neue Angebot aufmerksam zu machen.

Matthias Schatz