Tipps einer Resilienztrainerin

Wo sind meine Kraftquellen?

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Resilienz ist die Fähigkeit, aus einer Krise herauszufinden. Das ist in jedem Menschen angelegt und kann trainiert werden, sagt Trauerbegleiterin und Resilienztrainerin Sandra Kötter. Um wieder ins Leben zurückzufinden, ist es wichtig, vertraute Menschen, Aufgaben und Kraftquellen zu haben.


Aus welchen Aktivitäten ziehe ich Kraft? Für viele Menschen kann das die Bewegung in der Natur sein.  Foto: image images/Jan Eifert

Eigentlich ist Resilienz ein Begriff aus der Werkstoffkunde, mittlerweile wird er auch in vielen Ratgebern verwendet, um die psychische Widerstandsfähigkeit einer Person zu beschreiben. Wenn Trauerbegleiterin Sandra Kötter in ihren Seminaren zu Resilienz und Trauer dieses Thema vorstellt, ist es ihr wichtig, gleich zu Anfang den Wortursprung zu erklären: „Resilire“ bedeutet in der Werkstoffkunde, dass ein Stoff sich durch einen Aufprall oder Schlag verformt, dann aber wieder in die ursprüngliche Form zurückfindet. Dieser Vergleich hinke etwas, meint Kötter, denn auf den Menschen bezogen könne man natürlich nicht sagen, dass er nach einer Krise noch genauso sei wie zuvor. Ein Schicksalsschlag hinterlasse Spuren. Resilienz bedeute eher die Fähigkeit, wieder ins Leben zurückzufinden; manche Menschen gingen sogar gestärkt aus einer Krise hervor. 

Das können sich Trauernde im Moment des Verlusts nicht vorstellen. Für viele Trauernde fühlt sich ihr Alltag an, als sei alles wie in Watte gepackt, als laufe das Leben an ihnen vorbei. Ihr  eigenes Leben hält an, während für die anderen der Alltag weitergeht. Es sei wichtig, dass die Menschen sich ausreichend Zeit zum Trauern nehmen, Zeit, die sie brauchen, sagt Sandra Kötter. Wie lange jemand trauere, sei sehr individuell, da dürfe es keine Ermahnungen wie „Du musst doch jetzt aber ...“ geben.

Es könne aber für Trauernde hilfreich sein, sich zu überlegen, wann sie in ihrem bisherigen Leben schon schwierige Situationen erlebt und wie sie diese überstanden haben: „Was hat Ihnen geholfen?“ und „Wer hat Ihnen geholfen?“. Vielleicht könne man auf das Netz der guten Freunde und Verwandten zurückgreifen. Man müsse sich klarmachen: „Ich kann Hilfe holen und die auch annehmen.“ Darüber hinaus gibt es nach Auffassung von Resilienzforschern verschiedene Faktoren, die den Menschen helfen können, eine Krise zu überstehen. Im Modell von Monika Gruhl und Hugo Körbächer gehören dazu Optimismus, Akzeptanz und  Lösungsorientierung.


Die neue Situation akzeptieren
Menschen, denen genügend Zeit zum Trauern gelassen wurde, kommen selbst zu dem Punkt, an dem sie feststellen, dass sie die neue Situation akzeptieren müssen. Daraus ergibt sich eine Lösungsorientierung. Wie geht es weiter? Was kann ich jetzt tun? Was können die nächsten Schritte sein? Für manche ist es hilfreich, den Schrank mit den Sachen des Verstorbenen aufzuräumen, vielleicht etwas wegzugeben, für andere ist es wichtig, die Kleidung noch einmal zu ordnen, zu waschen und neu wegzuhängen. Ob dies nach einer Woche oder einem Jahr geschieht, ist je nach trauernder Person verschieden. 


Die Zukunft gestalten
Beim Stichwort Zukunft geht es nicht ums große Ganze, nicht um die Antwort auf die Frage „Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?“. „Den morgigen Tag gestalten, kann genug Zukunft sein“, sagt Kötter. Trauernde seien oft erschöpft, hätten Schwierigkeiten, überhaupt aufzustehen, sagt Sandra Kötter. Da könne es hilfreich sein, dem Tag Struktur zu geben und damit Zukunft zu gestalten. Vielleicht gibt es eine Freundin, die morgens anruft und fragt, wie es geht. Oder der Trauernde verabredet sich zum Kaffeetrinken und hat damit ein Tagesziel, auf das er hinarbeiten kann. Auch die Arbeit sowie die Verantwortung für andere, für Pflegebedürftige, Kinder oder Enkel geben dem Tag Struktur.
sich selbst regulieren


Jeder Mensch solle sich genügend Zeit zum Trauern nehmen, 
und sich dann auf seine Stärken besinnen, sagt die Trauerbegleiterin
Sandra Kötter. Foto: Andrea Kolhoff

Berufstätige empfinden es oft als hifreich, wenn sie an ihren Arbeitsplatz zurückkehren können. Es hilft, dem Tag Struktur zu geben und sich selbst zu regulieren, indem man seine Pflicht erfüllt. „Manches ist ja auch Routine“, sagt Sandra Kötter. Die Arbeit lenkt ab. Die Trauernden haben das Gefühl, gebraucht zu werden. Auch wenn die Arbeitswelt oft nicht auf Trauernde eingestellt ist, sollten Kollegen und Vorgesetzte den trauernden Kollegen ermöglichen, zur Arbeit zu kommen, wenn diese es wünschen, meint Kötter. Andererseits könnten Ärzte Trauernde krankschreiben, die sich noch nicht in der Lage sehen, zu arbeiten. 


Den Blick für das Gute behalten
Patentrezepte, wie eine Krise oder ein  Trauerfall zu bewältigen sind, gebe es nicht, sagt Kötter. Doch sei es hilfreich, nach Momenten des Innehaltens zu fragen, was in Krisensituation geholfen hat. „Vielleicht ist da auch jemand, der mich an meine Stärken erinnert.“ Resilienz sei in jedem Menschen angelegt. Wie ausgeprägt oder trainiert die Fähigkeit zu innerer Stärke ist, sei verschieden. Ein Faktor, der vielen Menschen das Leben erleichtere, sei ihr Optimismus. Das bedeute nicht, das Leben durch die rosarote Brille zu sehen. Es bedeute, den Blick für das Gute zu behalten.


Beziehungen hinterfragen
In jedem Fall sei es wichtig, zu überlegen, wer aus dem Freundes- und Verwandtenkreis guttut. „Trauernde brauchen jemanden, der ihnen zuhört, der mit ihnen schweigt, der das aushält,“ sagt Kötter. Und da sei es gut, Beziehungen auch zu hinterfragen. „Es ist wichtig, da auch auf Bauch und Herz zu hören.“ Verantwortung für sich selbst übernehmen, heiße auch, nur mit denen im Kontakt zu bleiben, „die mir guttun“. Beziehungen zu Menschen, „die nerven, die Energie rauben“, solle man unterbrechen.


Kraftquellen suchen
Um das eigene Leben kraftvoll gestalten zu können, braucht jeder Mensch Energie, einen ausgeglichenen Energiehaushalt. In Krisen fehlt oft diese positive Energie. Deshalb kann man sich fragen: Aus welchen Aktivitäten und Erlebnissen ziehe ich Kraft?

Auch Trauernde können sich fragen: Was sind meine Energiespender? Sport, lesen, kochen, Musik hören, radfahren, die Enkelkinder sehen? Und sie überlegen, was ihnen Kraft raubt, auf körperlicher, emotionaler und mentaler Ebene. Ein Garten kann Kraft schenken, aber auch rauben: Die Gartenarbeit kann beglückend sein, wenn vieles im Garten liegenbleibt, macht es unzufrieden. 

Andrea Kolhoff

Kontakt zu Resilienztrainerin und Trauerbegleiterin Sandra Kötter unter www.sandra-koetter.de