Basisgemeinde Sankt Hedwig in Leipzig feiert starke Gemeinschaft

Zehn Jahre gemeinsam

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Die Basisgemeinde Sankt Hedwig in Leipzig ging aus der Auflösung der Pfarrei Sankt Hedwig hervor. Wort-Gottesdienst und Agape in starker Gemeinschaft zu feiern, war für alle neu. Als mündige Christen haben sie es gewagt.

Das gemeinsame Essen im Anschluss an die geistliche Gemeinschaft ist fester Bestandteil des Abends: Jeder bringt etwas zu essen und Geschirr mit, alles wird geteilt und es ensteht schnell ein reger Austausch miteinander.    Fotos: Ruth Weinhold-Heße

 

Als sich der letzte zuständige Seelsorger, Pater Klaus Gräve, im Herbst 2012 von der katholischen Leipziger Gemeinde St. Hedwig verabschiedete, drückte er Berit Biewald am Ende das Holzkreuz in die Hände. Er ermutigte sie als „mündige Christin“ gemeinsam mit den anderen ihren Weg zu gehen. Berit Biewald war selbst eine Zeit lang im Pfarrgemeinderat und saß jeden Sonntag im Gottesdienst von St. Hedwig – schon als Kind. Sie erinnert sich daran, wie heimatlos sie sich fühlte und wütend, dass die Entscheidung des Bistums gegen den Erhalt der eigenständigen Gemeinde gefallen war.

ZUR SACHE
Bewegung Basisgemeinde
„Basisgemeinde“ ist der deutsche Begriff für eine meist katholische kleinere christliche Gruppe. Die Bewegung enstand in Lateinamerika, wo nach dem II. Vatikanischen Konzil und der II. Generalversammlung des Lateinamerikanischen Episkopats in Medellín 1968, die Selbstorganisation der Laien in der katholischen Kirche unterstützt wurde. Das war auch nötig, weil es zu wenige Priester für die wachsenden Pfarreien gab.
In den folgenden Jahrzehnten entstanden Basisgemeinden vor allem in latenamerikanischen wirtschaftlichen Randgebieten, teilweise mit starkem politischen Bewusstsein.
Sie fanden Nachahmer in Nordamerika und Europa. In Asien und Afrika gab es parellel eine ähnliche Entwicklung. Die kirchlichen Basisgemeinden waren dabei primär eine Hinwendung der Kirche zu den Menschen. Sie waren die Entdeckung der eigenen Gaben und der Verantwortung jedes Getauften in und für die Kirche am Ort.

Die erst in den 1950ern vorwiegend von schlesischen Flüchtlingen gegründete Gemeinde war in gewissem Sinn immer etwas Besonderes. Nie konnte eine Kirche in der Leipziger Südvorstadt gebaut werden. Es wurden Wohnungen angemietet – zu DDR-Zeiten teilweise extrem baufällig. In den letzten zehn Jahren vor der Schließung wurden die Gottesdienste in einem leeren Geschäft neben einer Drogerie-Kette gefeiert und die Gemeinde war fortan als „Schlecker-Kirche“ bekannt. Mit ihrer familiären Atmosphäre hatte sie Zulauf.
Zehn Jahre später steht das Holzkreuz auf dem Boden im Saal des „Haus Steinstraße“, einer Kultureinrichtung, wo die Gemeinde heute ihren Geburtstag feiert. Sie fand Asyl in Beratungsräumen in der Grassistraße 19, wo sonst an jedem vierten Sonnabend im Monat 18 Uhr die Wortgottesfeiern stattfinden. Heute ist das Kreuz hier Teil eines Kreises von über 40 Stühlen, die am Ende alle besetzt sind. Einige Musiker mit Gitarren und Querflöte sitzen gegenüber.

Ein kirchlicher Ort, offen für Alternativen
Die Basisgemeinde Sankt Hedwig, wie die Gläubigen die größtenteils aus der ehemaligen Südvorstädter Pfarrgemeinde stammen ihre Gemeinde nennen, versteht sich als „Zusatzangebot“ in der kirchlichen Landschaft der Stadt. Es wird experimentiert an diesem kirchlichen Ort, der Alternativen sucht. Ende November blickten sie auf zehn Jahre zurück. Es sei der Verdienst der Frauen gewesen, dass es weiterging, erinnert sich Michael Funke: „Beim letzten Gottesdienst von Sankt Hedwig haben die Frauen geweint und Adressen eingesammelt.“
Schon vorher hatte der Bischof St. Hedwig und St. Bonifatius zusammengelegt. „Das wurde damals über die Gemeinde hinweg entschieden“, sagt Pfarrer Christoph Baumgarten, der heute leitender Pfarrer der Pfarrei Leipzig Süd ist. Sicher auch, weil es kein Kirchengebäude gab. Er selbst sehe das Engagement der Leute positiv. „Die Eigeninitiative ist ja das, was wir wollen. Davon bräuchten wir viel mehr.“
Viele der ehemaligen Gemeindeglieder sind inzwischen in anderen Leipziger Gemeinden integriert. Manchen ist die Basisgemeinde die einzige geistliche Heimat geworden. Die Gemeinde ist basisdemokratisch aufgebaut. Es gibt keinen Pfarrer, aber einen Sprecherkreis, zu dem auch Berit Biewald gehört. Im Januar wird der neu gewählt. An der jüngsten Stadtsynode in Leipzig waren sechs aus der Gemeinde beteiligt – auch auf Einladung der St. Bonifatiusgemeinde.
„Was ist von der alten Hedwig geblieben?“ fragt Michael Funke an diesem feierlichen Abend, und beantwortet seine Frage selbst: „Die Haltung, das Miteinander, der Zusammenhalt – das habe ich woanders nicht erlebt.“ Und tatsächlich verbinden Freundschaften die Glaubensgeschwister, ein wichtiger Bestandteil des Abends ist das gemeinsame Essen.
Aber auch die Wortgottesfeier ist besonders: Alle, die möchten, können einen Impuls geben. An diesem Abend sind es drei Frauen und ein Mann, die ihre Gedanken zu einer Bibelstelle teilen. Da bekennt diesmal eine: „Ich höre diesen Text immer mit einem Zwiespalt.“ Und erklärt einen neuen Blickwinkel auf den an diesem Tag bei der Lesung vorgegebenen Text.

Michael Funke ist einer von denen, die im Kreis Wein verteilen. Jeder hat sein eigenes Glas mitgebracht.

 

Austausch über Bibeltexte wichtig
An die Impulse schließt sich die „Murmelrunde“ an. Die Gemeinde tauscht sich über das Gehörte in kleinen Gruppen aus. Gabriele Funke, die selbst zu DDR-Zeiten als Katholikin evangelische Theologie studierte, erzählt: „Noch bei Pater Gräve habe ich angeregt, über die Predigt und den Bibeltext ins Gespräch zu kommen. Für mich ist dieser Teil mit das Wichtigste am Abend.“
Die Fürbitten stehen für alle offen, die spontan ein Gebet sprechen und eine Kerze anzünden wollen. Für das Vaterunser nutzen die Gläubigen heute eine Neuübersetzung aus dem Aramäischen. Neben Altbekanntem können so neue Gedanken entstehen.
Zu Beginn der Agape spricht die Gemeinschaft den Segen über Brot und Wein, danach wird beides im Kreis verteilt. „Er hat einen Tisch in die Mitte der Welt gestellt“, mit diesem Satz wird dann jedesmal der Übergang zur gemeinsamen Mahlzeit eingeleitet. Es wird tatsächlich der Tisch in die Mitte gestellt und mit mitgebrachten Speisen gefüllt.
Bei Brot, Salaten, Wein und Saft kommen die Menschen ins Gespräch und man merkt, sie kümmern sich umeinander. Und sie kümmern sich um andere, denn jedes Mal sammeln sie haltbare Lebensmittel für die  „Leipziger Oase“, die Ökumenische Kontaktstube für Wohnungslose. Michael Funke zitiert einen Gedanken über den Sinn der christlichen Gemeinschaft so: „Ist man Gemeinde, weil man sonntags zusammen Gottesdienst feiert, oder feiert man sonntags Gottesdienst, weil man Gemeinde ist?“ Für die Basisgemeinde Sankt Hedwig gelte Letzteres.

Die nächste Wortgottesfeier findet an Heilig Abend statt. Weitere Informationen: 01 77 / 6 94 20 33
Jeder ist willkommen.

Von Ruth Weinhold-Heße