Kolpingsfamilien helfen Neuzeller Zisterziensern

Zeitreise durch die Bücherwelt

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Die Kolpingsfamilien Wittichenau und Hoyerswerda helfen den Neuzeller Zisterziensern beim Aufbau einer Klosterbibliothek. Im Herrenhaus Räckelwitz werden die Buchspenden zwischengelagert und einsortiert.

Zisterzienserpater Alberich und seine Helfer inmitten der gespendeten Bücher.
Fotos: Holger Jakobi

 

„Wenn wir bei einer Millionen Büchern angekommen sind, dann feiern wir ein Fest“, meint augenzwinkernd Bernhard Piatza aus Wittichenau. Derzeit sind es etwa 50 000 Bücher, die im Herrenhaus Räckelwitz – lange Jahre als Krankenhaus und Geburtsklinik „Malteserstift“ geführt – gelagert werden. Mit den Beständen wollen die Neuzeller Zisterzienser die Bibliothek ihres geplanten Klosterneubaus Maria Friedenshort aufbauen.

Bücher des Leipziger Oratoriums geholt
Begonnen wurde im Dezember 2021 mit einem Angebot, die Bibliothek der Leipziger Oratorianer zu übernehmen. Zusammen mit dem Justiziar des Bistums Dresden–Meißen, Stephan Freiherr Spies von Büllesheim, überlegte sich Pater Alberich Maria Fritsche eine Möglichkeit zur Übernahme. „Es musste alles recht schnell gehen. Bei uns in Neuzelle haben wir allerdings nur sehr wenig Platz, da wir lediglich im Pfarrhaus wohnen“, erinnert sich der junge Ordenspriester aus Senftenberg. Baron Spies – der auch im Vorstand des deutschen Malteserordens aktiv ist – bot an, das Räckelwitzer Herrenhaus zu nutzen, welches weiterhin Eigentum der Malteser ist. Am Christi Himmelfahrtswochenende 2022 kam Pater Alberich mit Studenten aus Jena und einer Spedition aus Guben für die Umzugsarbeiten in Leipzig-Lindenau zusammen. Inzwischen haben die Patres die Verantwortung für weitere geisteswissenschaftliche Bibliotheken, etwa aus Berlin und München, übernommen. Große Teile lagern vorübergehend in Archivboxen. Die Kartons ziehen leicht die vorhandene Feuchtigkeit an, auch wenn die Räume trocken sind.
Zusammen mit Bernhard Piatza und anderen Mitgliedern der Kolpingsfamilie Wittichenau und Hoyerswerda engagieren sich Martina Rentsch und ihr Mann beim Einsortieren der Bücher in die Regale. Martina Rentsch: „Die Bücher nehmen in den Kisten Schaden, da konnte ich nicht zusehen.“ Auch die Regale  wurden gespendet, mussten und müssen zusammengebaut werden. Die Idee für das Projekt hatte Bernhard Piatza: „Als ich von den Büchern erfuhr, dachte ich, dass dies etwas für uns sein könnte. Es ließ mich einfach nicht los.“ Schließlich suchte sich Bernhard Piatza Mitstreiter in der Kolpingsfamilie und fand sie. Er sagt: „Es ist eine Aufgabe von Kolping, sich zu engagieren, so sehen wir unser hiesiges Engagement.“

Das Herrenhaus in Räckelwitz und die Kapelle gehören den Maltesern.


Bernhard Piatza führt durch die Räume. Bis zur Decke stehen die Regale. „Viele Bücher gibt es mehrfach, sie tauchen in jeder Spende auf“, betont er. So beispielsweise das Lexikon für Theologie und Kirche. Andererseits ist er sich sicher, dass unter den Büchern einige wertvolle Perlen verborgen sind. Diese zu finden ist erst möglich, wenn der Bestand gesichtet werden kann. „Wir selbst sichten und bewerten nichts, wir räumen nur ein.“ Unten im Regal befindet sich neben sehr viel Theologie die Piper-Dostojewski Ausgabe aus den 20er Jahren. Der Antiquariatswert kann bei dieser Ausgabe durchaus bei 200 Euro liegen. Weitere, einzelne Titel dieser Ausgabe finden sich verteilt in vielen Regalen. Dort stehen alte Gebetsbücher einträchtig neben Friedrich Nietzsches „Der Fall Wagner“ oder einer Hegelausgabe des Leipziger Krönerverlages. Dazu gibt es jede Menge Kunst- und Reisebildbände, aber auch hier und dort Romane aus der Zeit des Nationalsozialismus. So Edwin Erwin Kolbenheyer „Das gottgelobte Herz“ – ein Roman aus der Zeit Meister Eckharts. Er ist in Teilen in der mittelalterlichen Umgangssprache verfasst und von daher schwer lesbar. Andererseits ist das Buch eine Quelle zum Umgang der Nazis mit der Mystik. Der Gang der Augen, die sich über die Regale tasten, wird schnell zu einer Zeitreise durch die geistige Welt des 19. und 20. Jahrhunderts.

„Uns geht die Arbeit nicht aus“
Es geht hinauf ins zweite Obergeschoss des Herrenhauses. Hier wird deutlich, auf was sich die beiden Kolpingsfamilien eingelassen haben. Die Decken wurden noch in Klinikzeiten abgehangen, die Raumhöhe ist daher niedrig. Regale aufbauen lohnt sich nicht. Hier ist es etwas feuchter als in der unteren Etage, im Sommer wird es sehr heiß werden. In den Räumen stapeln sich Kisten. Manche sind rissig oder drücken langsam ein. Bernhard Piatza lächelt: „Uns geht die Arbeit nicht aus.“
Inzwischen ist Pater Alberich Fritsche im Herrenhaus eingetroffen. Prior Pater Simeon hat dem 31-jährigen Mitbruder den Dienst des Bibliothekars vor etwa drei Jahren anvertraut. Heute geht es besonders um die Frage, ob in der Mitte der Räume Regale aufgebaut werden können. Darüber muss ein Statiker entscheiden. Pater Alberich Maria berichtet von neuen Beständen, die kommen sollen. Längst kann er nicht mehr zu jedem Spender fahren, um sich die Bücher anzusehen oder sie eventuell abzuholen. Im Gespräch geht es auch um die Kisten im zweiten Obergeschoss. Die Wittichenauer wollen sie unten einordnen, der Pater möchte sie gerne oben belassen, damit die Bestände sich nicht allzu leicht vermischen.

Dramatische Situation: Viele Bücher lagern noch in Kisten.


Im Gespräch teilt er mit, dass die Bibliothek im neuen Kloster Maria Friedenshort erst im zweiten oder dritten Bauabschnitt errichtet wird. Angedacht sind eine Handbibliothek mit Leseplätzen und ein größeres Bücherdepot im Keller. Pater Alberich und die Wittichenauer gehen davon aus, dass nur eine geordenete Auswahl den Weg ist neue Kloster finden kann. Bernhard Piatza freut sich auch auf die Möglichkeit der Bücherausleihe für Klostergäste und Interessierte. Und doch werden wir hier in Räckelwitz viele Bücher aussortieren müssen, schätzt er vorsichtig ein. „Vielleicht versuchen wir mit Titeln, die mehr als dreifach vorhanden sind, einen Probelauf auf dem digitalen Büchermarkt. Ein möglicher Verkauf ist jedoch nicht sehr ergiebig, da es gerade sehr wenig Philosophie- und Theologiestudenten im deutschen Sprachraum gibt“, betont Pater Alberich.
Martina Rentsch und Bernhard Piatza werden noch viele Male im Herrenhaus Räckelwitz helfen. Insgesamt sind es sieben Personen aus den Kolpingsfamilien, die zum heutigen Arbeitseinsatz nach Räckelwitz gekommen sind. Im Winter treffen sie sich oft, im Sommer – wenn der Garten ruft – weniger. Sie haben einen warmen Raum gefunden, einen, in dem die Wärme – es sind schwere gusseiserne Heizkörper unter den Fenstern montiert – noch ankommt. Hier fangen sie an mit dem Gebet, hier kommen sie in den Pausen zusammen.

Von Holger Jakobi