Reste des Augustiner-Chorherrenstifts Kloster Neuwerk in Halle
Zweifelsfrei die letzten Spuren
Bei Ausgrabungen im Botanischen Garten in Halle haben Archäologen überraschend Reste der südlichen Seitenapsis und Teile der Apsis der Kirche des Klosters Neuwerk entdeckt. Zudem fanden die Wissenschaftler 117 Gräber aus dem Mittelalter sowie weitere bis zu 2900 Jahre alte Siedlungsspuren. All dies wurde Ende Mai der Öffentlichkeit vorgestellt. Fotos: Eckhard Pohl |
Die Fachleute halten es für eine Sensation: Im April sind bei archäologischen Grabungen im Botanischen Garten in Halle Reste der Grundmauern der Kirche des Klosters Neuwerk entdeckt worden. Der genaue Standort war bisher unklar gewesen.
„Das Augstiner-Chorherrenstift Kloster Neuwerk war vom 12. bis Anfang des 16. Jahrhunderts der bedeutendste kirchliche Stützpunkt im Süden des Erzbistums Magdeburg“, sagte der Leiter des Landesamtes für Archäologie und Denkmalpflege, Harald Meller, zur landes- und kirchengeschichtlichen Bedeutung des Fundes. „Das Stift stellte die Pfarrerschaft in Halle, besaß umfangreiche Güter und Privilegien.“ „Die freigelegten Fundamentreste und die sich anschließenden Ausbruchsgruben lassen die südliche Seitenapsis und Teile der Hauptapsis eines großen Kirchenbaus erkennen. Es sind zweifelsfrei die letzten verbliebenen Spuren der Kirche des Klosters Neuwerk“, erläuterte Projektleiterin Caroline Schulz bei der Vorstellung der Ausgrabungen Ende Mai.
Grabungsleiter Dirk Plaschta am Ende der Fundamentreste der südlichen Seitenapsis. Außen an der Mauer befand sich ein Grab. |
Geistiges Zentrum in der Region Halle
1116 hatte der Magdeburger Erzbischof Adelgotus mit Hilfe der Bürger Halles mit der Errichtung des Klosters Neuwerk begonnen. Der Legende nach entschied man sich für den Bauplatz nördlich der Stadtmauern auf einem Bergsporn über der Saale, weil dort ein wohlhabender Bürger in einer Vision eine glühende Egge gen Himmel aufsteigen gesehen haben wollte. Am 5. Juli 1121 stellte Graf Rogerus von Veltheim das offizielle Stiftungsprivileg aus und konstituierte das Kloster als geistiges Zentrum Halles, dem die Pfarrkirchen und die geistliche Gerichtsbarkeit unterlagen. Dem Kloster wurde als erster Einrichtung Halles das Schulrecht verliehen. Spätestens nach der Übertragung von Reliquien des heiligen Alexander 1124 wurde die Kirche geweiht. Eine überkommene Siegeldarstellung zeigt ein viertürmiges, romanisches Gotteshaus mit Portal und rundbogigen Fenstern. In der Dreyhauptschen Chronik aus der Mitte des 18. Jahrhunderts ist von Kapellen sowie mehreren Altären die Rede.
Bereits 1121 war das Stift mit Markt- und Zollrechten ausgestattet worden und besaß umfangreiche Ländereien und Mühlen. Der Standort an der Heer- und Handelsstraße nach Magdeburg entwickelte sich zur Siedlung und späteren Amtsstadt Neumarkt, die mit Halle konkurrierte. Pfarrkirche war die heutige St.-Laurentius-Kirche.
Die in das neue Stift eingezogenen Kanoniker stammten vermutlich aus dem damals in der Diözese Passau gelegenen Kloster Reichersberg. Dessen Propst Berewigus war wegen politischer Unstimmigkeiten nach Sachsen geflohen und hatte in Giebichenstein nahe Halle Aufnahme gefunden. Berewigus von Rodenbach wurde erster Propst von Neuwerk. Sein Nachfolger Lambert leitete das Kloster 26 Jahre. Er wurde 1144 dort beigesetzt und später heiliggesprochen.
„Der legendär reiche Besitz des Klosters, das 1184 als Moritzstift sogar ins hallesche Stadtgebiet expandierte“, ist aufgrund der guten Quellenlage gut bekannt, hieß es bei der Vorstellung der Ausgrabungen. Seine Stellung „als einflussreiches Archidiakonat im Erzstift Magdeburg und als Ort monastischer Gelehrsamkeit“ sei hingegen „stiefmütterlich“ überliefert und vermutlich durch die Wirren in der Reformationszeit in Vergessenheit geraten.
Die romanische Liebfrauenkirche in Halberstadt war einst das Gotteshaus des dortigen Augustiner-Chorherrenstifts. So ähnlich könnte auch die Kirche im Kloster Neuwerk ausgesehen haben. |
Steine für die Residenz Kardinal Albrechts
Überliefert und jetzt auch durch den Fund nur spärlicher Mauerreste bezeugt ist die radikale Beseitigung des Chorherrenstifts unter Kardinal Albrecht (†1545). Zu Beginn des 16. Jahrhunderts war das Kloster in den Strudel der Reformation geraten. 1520 begann Albrecht, der Erzbischof von Magdeburg und Mainz war, in Halle mit dem Bau des 1523 geweihten Neuen Stifts, dessen Zentrum die heute evangelische Domkirche war. Das Stift übernahm die Verwaltungs- und Gerichtsfunktion von Neuwerk. 1528 wurde das alte Kloster an den Kardinal übergeben und 1530 aufgelöst. Neben Propst und Prior gab es noch 20 Augustiner-Chorherren. 1531 fand die letzte Messe statt. Danach wurden Kirche und Klausurgebäude restlos abgetragen und für den Bau der Neuen Residenz am Neuen Stift verwendet. „Kardinal Albrecht wollte keine mächtige Konkurrenz in Halle“, so Landesarchäologe Meller.
Bei den seit 2019 erfolgten Grabungen, die im Vorfeld des Neubaus eines Herbariums der Martin-Luther-Universität stattfanden, wurden nur spärliche Fundamentreste entdeckt. Zugleich wurde aber in den Ausbruchsgruben der einstigen Fundamente viel Füllmaterial aus dem 16. Jahrhundert gefunden, an dem sich der frühere Verlauf der Mauern ebenfalls ablesen lässt. Der übergroße Teil des Areals, auf dem Kirche und Klausurgebäude standen, ist heute allerdings überbaut und nicht zugänglich.
Vor allem östlich der Hauptapsis der Kirche legten die Archäologen auch 117 Gräber von Frauen, Männern und Kindern aus dem Hoch- und Spätmittelalter sowie einige Grabbeigaben frei. Darüber hinaus fanden sie umfassende Besiedlungsspuren bis in die späte Bronzezeit vor 2900 Jahren. Das Augustiner-Chorherrenstift stand also auf einem alten Siedlungsgebiet.
Von Eckhard Pohl